Bahnindustrie : Neue Paradestrecke München-Berlin: Licht und Schatten der Digitalisierung

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© Peter Martens

Von Berlin nach München in weniger als vier Stunden: Nach vielen Jahren Bauzeit und Ausgaben in Milliardenhöhe hat die Deutsche Bahn vergangene Woche die modernste Eisenbahnstrecke Deutschlands in Betrieb genommen.

Auf der lukrativen Strecke will der Bahnkonzern auch den Fluglinien Konkurrenz machen - denn die vier Stunden beziehen sich auf eine Fahrtzeit von Innenstadt zu Innenstadt, wie Richard Lutz, Konzernchef der Deutschen Bahn, betont. Auf dieser Strecke sollen die Züge mit bis zu 300 Kilometern pro Stunde fahren.

Ein Jahrhundertprojekt: Die Eckdaten

Für die DB ist es ein Jahrhundertprojekt - und für die Bauindustrie ebenfalls. Satte 26 Jahre dauerten die Planungen und der Bau.

Die Strecke zwischen München und Berlin ist 620 Kilometer lang. Auf 500 Kilometern davon wurden die Bahntrassen erweitert oder ganz neu gebaut. Allein 26 Tunnel liegen auf dieser Strecke, die in ihrer Gesamtheit 57 Kilometer lang sind. 37 Talbrücken wurden errichtet, darunter die mit 8,6 Kilometern längste Eisenbahnbrücke Deutschlands in der Nähe Stadt Halle. Ungefähr vier Millionen Tonnen Beton wurden verbaut.

Gewaltige Ausmaße bei der Bewegung von Material, schwerem Baugerät und menschlicher Arbeit, die dahinter stehen.

Erste Panne gleich auf der Rückfahrt

Vergangenen Freitag schließlich die feierliche Eröffnung in Berlin. Zwei ICE-Sonderzüge fahren nebeneinander im Berliner Hauptbahnhof ein. Angela Merkel hält eine Rede.

Doch noch am selben Abend stehen die wohlklingenden Phrasen der Bundeskanzlerin weit weniger im Fokus als das, was danach kommt. Ausgerechnet auf der ersten offiziellen Rückfahrt von Berlin nach München bleibt einer der beiden Sonderzüge stecken - mit etwa 200 Ehrengästen an Bord. Über eine Stunde steht der Zug, fährt dann weiter, muss aber in der Stadt Bamberg wieder einen Sonderhalt einlegen. Sechs Stunden dauert die feierliche Rückfahrt statt der versprochenen vier. Die erste große Blamage.

Weitere Ausfälle folgen

Die nächste folgt am Montag in der Früh. Um 7.38 Uhr soll ein ICE in Berlin starten und auf der neuen Strecke nach München fahren. Dieser Zug fällt komplett aus. Am heutigen Dienstag fällt dann genau dieselbe Verbindung um 7.38 Uhr noch einmal aus. Grund sei eine technische Störung am Zug, so eine Unternehmenssprecherin. Der ICE habe schon aus Hamburg nicht losfahren können.

Der Gerechtigkeit halber sei erwähnt: Seit Sonntag fahren andere Züge auf der neuen Strecke plangemäß. Und außerdem machen Schnee und Unwetter in diesen Tagen Bahnbetreibern auch anderswo schwer zu schaffen. Allerdings sieht auch ein glanzvoller Auftakt anders aus. Von "Spott und Häme" berichtet der Südwestrundfunk SWR. Viel peinlicher, meint auch ein Aufsichtsrat der Deutschen Bahn, habe der offizielle Betrieb auf der Trasse kaum starten können.

Digitales Kontrollsystem als zentrale Ursache der Probleme

Ein zentraler Grund für die bisherigen Pannen ist offenbar die Digitalisierung. Konkret: Das hochkomplexe "European Train Control System" (ETCS), das der französische Bahnindustriekonzern Alstom mit sehr viel Geld auf der Strecke und in den Zügen installiert hat. 110 Zuggarnituren hat die DB für das neue System aufgerüstet.

Auch auf der Strecke nach Wien im Einsatz

Ein größerer Teil von ihnen ist auf der Strecke zwischen München und Wien im Einsatz, weitere Garnituren verkehren auf den Strecken nach Belgien. Das heißt: Für die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke München-Berlin hat die DB nicht genug Züge mit den modernsten Systemen an Bord.

Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, geht es bei den anfänglichen Pannen um "deutlich mehr als nur die Häufung unglücklicher Umstände". Im Mittelpunkt steht der Zeitung zufolge das Kontrollsystem selbst.

Es gibt keine klassischen Signale mehr

Eigentlich symbolisiert ETCS den bisher größten Digitalisierungsschritt der Deutschen Bahn im Zugverkehr selbst: Mit diesem System fahren die Züge auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke fast automatisch. Züge "kommunizieren" mit im Gleis verbauten Sensoren. Klassische Signale gibt es hier keine mehr. Das eigentliche Ziel der DB: Das System in ganz Deutschland einzuführen.

Entsprechend aufwendig betreibt der Konzern die erste Einführung auf der Strecke München-Berlin. 1000 Testfahrten seien vor der offiziellen Eröffnung auf der Strecke erfolgreich absolviert worden, heißt es. Umso schwerer der jetzige Rückschlag.

Implementierung soll weitergehen

Trotzdem soll nach Plänen der DB die Implementierung des Systems weitergehen, schreibt hier die "Süddeutsche Zeitung". Das ETCS ermögliche eine engere Taktung der Züge auf einer Strecke und soll eines Tages die über 20 verschiedenen Kontrollsysteme im europäischen Bahnverkehr ablösen. Und natürlich, wie fast alle Digitalisierungsprojekte, die Zahl der Mitarbeiter senken.

Lösung in Sicht - "einzelne Ausfälle" weiter wahrscheinlich

Bei der Bahn sagen Eingeweihte, eine Ursache der aktuellen Probleme seien die in den Zügen eingebauten Systeme. Es sei zu hoffen, dass man hier in den nächsten Tagen zu Lösungen kommen werde.

Eine Erleichterung in dem Zusammenhang dürften auch neue Schnellzüge sein: Ab dem heurigen Dezember werden die ICE 4 schrittweise in den Verkehr genommen. Bis zum Jahr 2023 sollen die von Siemens gebaute vierte Generation der Schnellzüge dann rund 40 Prozent der gesamten ICE-Kapazitäten der Deutsche Bahn erreichen.

Trotzdem sei in den nächsten Tagen, so heißt es bei der Bahn, auf der neuen Paradestrecke weiter mit einzelnen Ausfällen zu rechnen.

Angesichts der Ausmaße des Projekts breitet sich freilich nicht bei jedem Beobachter Ärger und Schadenfreude über die Pannen zum Auftakt aus. Dieser Kommentator des legendären Münchner Jugendmagazins "jetzt" meint etwa, er bekomme bei den zahllosen Schimpftiraden auf die Bahn "den Eindruck, dass einem dabei alles Gartenzwergige und Currywurstige" entgegenkomme, das eben so typisch sei für viele öffentliche Äußerungen im Land.

(pm mit dpa, afp, reuters, apa)

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