Betriebliches Vorschlagwesen : Motivieren in schlechten Zeiten

Welser Profile
© Helene Waldner

Fantasie in Ketten. Auftragseinbrüche, Kurzarbeit, Kündigungen: Bei vielen österreichischen Fertigungsbetrieben geht das Jahr heuer nicht ohne tiefe Einschnitte zu Ende. Mit dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP, Prozess stetiger kleiner Verbesserungsschritte, siehe auch Kasten) sparen Großbetriebe Millionen Euro ein“, sagt Wissenschaftler Wilfried Sihn, Geschäftsführer von Fraunhofer Austria. Im KMU-Segment seien es immer noch hundertausende Euro, die zu erzielen sind. Der Villacher Halbleiterhersteller Infineon spart dank des Vorschlagswesens nach eigenen Aussagen jährlich zehn Millionen Euro. Doch wie steht es um die betriebliche Ideenproduktion, wenn Arbeitsplätze wackeln? Und: Welche Belohnungskonzepte funktionieren, welche nicht? Das INDUSTRIEMAGAZIN hörte sich um.

Beim niederösterreichischen Sonderprofilehersteller Welser Profile ist die Mitarbeitermotivation kein zartes Pflänzchen, das sich leicht vom Wind knicken lässt. Denn obwohl dem Vorstand Wolfgang Welser derzeit eine besonders steife Brise um die Ohren weht – zuletzt kündigte er 27 Mitarbeiter –, schnurrt der Motor des betrieblichen Vorschlagswesens: Von Jänner bis Oktober lieferten die 50 aktivsten Mitarbeiter im traditionsreichen Familienunternehmen satte 1500 Vorschläge – in Zeiten niedriger Auftragseingänge und Personalkürzungen ein Spitzenwert. „Unsere groß angelegte Schulungsoffensive setzt bei den Mitarbeitern sicherlich zusätzliche Motivation frei“, sagt Wolfgang Welser. 13 Mitarbeiter durchlaufen eine Six-Sigma-Green-Belt-Ausbildung, weitere 600 Mitarbeiter wurden in einer eintägigen Schulung mit der Thematik Arbeitsplatzoptimierung durch die 5S-Methode vertraut gemacht. Mangelnde Motivation? Kein Thema. „Schon eher, wie die Fülle an Vorschlägen zeitnah umzusetzen ist“, sagt Welser.

Einen Zusammenhang von Krise und abnehmender Bereitschaft bei der Belegschaft, sich über die Maßen einzubringen, will Norbert Schalko, Produktionsleiter beim Automobilzulieferer Pollmann Austria, sehr wohl erkennen – trotz „funktionierendem KVP“. Die Krise – die Mitarbeiterzahl am Standort Karlstein musste um 70 reduziert werden – sorge für einen Negativtouch. „Die Entfaltungsfreude nimmt ab, man ist weit weniger visionär“, beobachtet Schalko im eigenen Unternehmen. Die Disziplin sei weiterhin hoch, doch „stark getriggert von der Angst, sich keinen Schnitzer erlauben zu dürfen“. Das nördliche Waldviertel ist sicher ein Extrembeispiel: Die Angst vorm Arbeitsplatzverlust regiert die Region, wo sonst kaum Jobs im Fertigungsumfeld zu finden sind. „In Krisenzeiten wird alles lockerer“, erzählt Franz Matschnigg, General Manager des Klagenfurter Werks des Alugussteilefertigers MWS Aluguss. Man trennte sich von 25 Mitarbeitern, viele sind in Bildungskarenz. „Wenn sie in der Fertigung ihre Projekte machen, behindert das schon die Prozesse“, sagt Matschnigg etwas säuerlich. Die Produktivität sei um zehn Prozent abgesunken, weil die Anspannung nachlasse und sich auch Zeit für ein Schwätzchen unter Kollegen findet. „Bei gut funktionierenden Systemen zeigt der Abschwung kaum negative Wirkung auf die Motivation“, meint hingegen Wissenschaftler Wilfried Sihn. Das eigentliche Problem: Zwei Drittel aller österreichischen Betriebe hätten zwar ein KVP-System, doch nicht einmal bei zehn Prozent würde es funktionieren. „Da gibt es Briefkästen, wo schriftliche Vorschläge vergilben oder keine Zuständigkeiten vereinbart sind“, bekrittelt Sihn.

„Wir hören schon heraus, dass unsere Leute bei Vorschlägen mit großem Einsparpotenzial die Sorge haben, am eigenen Arbeitsplatz zu knabbern“, erzählt Rudolf Posch, Fertigungsleiter beim Automobilzulieferer Hoffmann Elektrokohle, Teil der krisengebeutelten Schunk-Gruppe. Was man dagegen unternehme? „Wir beruhigen und verweisen ans Umfeld, das zeigt Wirkung“, so Posch. Der Hintergrund: Schunk betreibt auch Werke in Mexiko und China, die dieselben Produkte auf denselben Maschinen („sogar von uns gebaut“) herstellen – in China mit Lohnkosten von 90 Cent die Stunde deutlich günstiger (Österreich: 26 Euro). Doch während in China ein Mitarbeiter zwei Maschinen bedient, hat ein österreichischer die Kontrolle über sechs Maschinen inne. „Wir sind viel produktiver, den Vorsprung können wir nur durch motivierte Mitarbeiter halten“, so Posch. Zeitkonten beim Spezialisten für Kohlebürsten wurden abgebaut, sechs Monate Kurzarbeit verordnet, eine Handvoll Kündigungen ausgesprochen – und dennoch: „Wenn es hochkommt, werden wir heuer 90 Vorschläge unserer Mitarbeiter umsetzen“, so Posch (2007: 125). Seit sechs Jahren praktiziere man nun KVP. Unter den eingebrachten Vorschlägen sind immer wieder solche, die richtig schöne Einsparungen bringen: So hat man aus Messing gefertigte Zuführkanäle zu den Schleifmaschinen durch solche aus Edelstahl ersetzt. „Messing ist zwar günstiger, doch nach tausend Betriebsstunden führen sie die Werkstücke infolge von Verschleiß ungenau in die Maschine, hat ein Mitarbeiter richtig erkannt“, so Posch.

Schnabulieren mit Frau Schaeffler. Doch schweben Mitarbeiter nicht permanent in Gefahr, sich selbst wegzurationalisieren? „Passiert dies, dann ist der KVP-Ansatz dem Tode geweiht“, sagt Forscher Wilfried Sihn kategorisch. Der fleißige Mitarbeiter müsse vom Chef vielmehr „hergezeigt“ werden. Erst so werde zusätzliche Motivation freigesetzt. „Spendiert eine Persönlichkeit wie Frau Schaeffler nicht ihren engsten, sondern besten Mitarbeitern ein Essen, wären die garantiert überglücklich“, sekundiert ein Gesprächspartner. „Wir haben ein Prämiensystem (ein bis zwei Prozent des erwirtschafteten Vorteils), „kleine Aufmerksamkeiten sind daneben aber definitiv wichtig“, sagt Produktionsleiter Norbert Schalko vom Zulieferer Pollmann. Verbesserungen stelle man in der Betriebszeitung vor, zuletzt etwa eine überragende Idee einer Mitarbeitergruppe: Sie fand heraus, wie man die Ausschussquote eines komplizierten mehrstufigen Herstellprozesses einer elektronisch-mechanischen Komponente auf ein Dreißigstel drückt. „Wenn der Chef dann Danke sagt, kann das viel bewirken“, so Schalko. „Unser Management kommuniziert stets offen und nimmt für Mitarbeiter jedwede Unsicherheit heraus“, betont auch Paul Kroh, KVP-Koordinator beim Aluminiumproduktehersteller Amag. Ende 2008 gab der Aluminiumpreis nach, die Umsätze des mehrfach für sein KVP-System prämierten Unternehmens gingen zurück. Der offene Umgang mit Problemen sorgte aber dafür, dass die Zahl der Mitarbeitervorschläge hoch blieb. „Die Gruppendynamik ist entscheidend“, so Paul Kroh. Dass die Kommunikation passt, ist auch dem Chiphersteller Infineon Technologies Austria wichtig. Von Sommer 2008 bis Frühjahr 2009 haben rund 300 Mitarbeiter das Unternehmen verlassen – nicht alle freiwillig. „Unsere Führungsebene schenkt immer reinen Wein ein, auch wenn es einmal nicht so läuft“, sagt Christiana Zenkl, Leiterin Human Resources. Mitarbeitern versucht man klarzumachen, dass Innovationen in der Krise zählen. Umschichten in den Hilfsbetrieb. Dass es neben Prämiensystemen, Exkursionen zum Kunden und Lob auch andere Motivatoren gibt, lebt man überzeugend bei Hoffmann Elektrokohle vor. Beim Automobilzulieferer schichtet man je nach Auslastung das Personal in die Hilfsbetriebe um. Wird in der Fertigung weniger Personal benötigt, sind die Mitarbeiter in die Serienneuanläufe involviert. Erst im Herbst hat man die Hilfsbetriebe (45 Personen) um acht Personen aufgestockt. Den Mitarbeitern gefällt’s: „Die Tätigkeiten werden als höherwertig angesehen, sie sind variantenreicher“, so Fertigungsleiter Rudolf Posch. Die Mitarbeitermotivation ist eben auch in Bad Goisern kein zartes Pflänzchen.