Industriesoftware : Milliardenzukauf: Siemens baut Geschäft mit Industriesoftware massiv aus

Siemens-Chef Joe Kaeser beschleunigt den Umbau des deutschen Traditionskonzerns. Jetzt hat Siemens angekündigt, den US-Softwarespezialisten Mentor Graphics um 4,5 Milliarden Dollar oder umgerechnet 4,13 Milliarden Euro zu übernehmen. Die Anteilseigner sollen 37,25 Dollar je Aktie erhalten.

"Mentor komplementiert unser starkes Angebot bei Mechanik und Software mit dem Design, Test und der Simulation von elektrischen und elektronischen Systemen", erklärte Siemens-Vorstand Klaus Helmrich. Vor wenigen Tagen hatte Kaeser bekannt gegeben, die traditionsreiche Medizintechnik seines Hauses an die Börse bringen zu wollen.

Massiver Ausbau im Geschäft mit Industriesoftware

Kaeser baut seit einiger Zeit das Geschäft mit Industriesoftware massiv aus. In den vergangenen Jahren erwarb Siemens gut ein Dutzend Firmen, die auf Industrie- und Produktionssoftware spezialisiert sind, darunter die US-Unternehmen UGS und CD-adapco.

Letzte Woche hatte Kaeser angekündigt, sich an der Simulationsfirma Bentley zu beteiligen. Er will Siemens als einen der führenden Ausrüster für "Industrie 4.0", die Digitalisierung der Industrie, positionieren.

Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2015/16 setzte Siemens mit Software und digitalen Diensten rund 4,3 Mrd. Euro um. Die Gesamteinnahmen der Münchner beliefen sich auf knapp 80 Mrd. Euro.

In Kaesers Entwicklungsplan bis 2020 spielt das Digitalisierungsgeschäft aber eine entscheidende Rolle. Der Markt dafür soll jährlich durchschnittlich acht Prozent wachsen, deutlich stärker als die Märkte für herkömmliche Automatisierungstechnik und Elektrifizierung und den zugehörigen Dienstleistungen. Von traditionellen Geschäftsfeldern wie der Telekommunikation, der Lichttechnik bei Osram oder elektronischen Bauteilen hat sich Siemens über die Jahre bereits verabschiedet.

Übernahme ist trotzdem ein ungewöhnlicher Schritt

Der Kauf von Mentor erscheint Experten allerdings in dem Zusammenhang etwas ungewöhnlich. Die in Wilsonville im US-Bundesstaat Oregon ansässige Mentor Graphics stellt Software für die Konstruktion von Halbleitern her.

Aus der sehr speziellen Welt der Mikrochips war Siemens vor eineinhalb Jahrzehnten mit der Trennung von Infineon ausgestiegen und hatte sich von der Halbleiterei und ihren Schwankungen seither ferngehalten. Zu Mentors Kunden zählen just Infineon und andere klassische Chiphersteller, aber auch große Automobilbauer und -zulieferer, die mit der Software der Amerikaner etwa Kabelbäume in Fahrzeuge konstruieren oder Leuchten designen. Die größten Rivalen sind die US-Firmen Cadense und Synopsis.

Mentor kam mit 5.700 Mitarbeitern zuletzt auf einen Jahresumsatz von 1,2 Mrd. Dollar und eine bereinigte Marge von 20,2 Prozent. "Siemens erwartet, dass diese attraktiven Margen auch in der Zukunft anhalten werden", hieß es. Der Konzern kündigte an, in drei Jahren werde Mentor zum Gewinn beitragen. In vier Jahren ließen sich Synergien auf der Ebene des Betriebsgewinns von 100 Mio. Euro erzielen. Reuters hatte bereits in der Nacht zu Montag über die bevorstehende Transaktion berichtet. Der Aktienkurs von Siemens stieg in einem freundlichen Gesamtmarkt um 1,1 Prozent.

Finanzfirma Elliott ist auch wieder an Bord - seit wenigen Wochen

Der umtriebige Mentor-Großaktionär, die Finanzfirma Elliott, unterstütze die Transaktion, teilte Siemens mit. Erst im September war der aktivistische Investor mit 8,1 Prozent bei Mentor eingestiegen und hatte erklärt, das Unternehmen sei deutlich unterbewertet. Elliott-Chef Paul E. Singer steigt oft bei Übernahmen ein, um den Preis kräftig nach oben zu treiben und mitzukassieren oder den Verkauf zu torpedieren - häufig mit Erfolg.

An der Börse war Mentor Graphics zuletzt rund 3,3 Mrd. Dollar wert. Siemens zahlt nun gut ein Fünftel mehr. Analysten sehen den Preis als nicht übermäßig teuer an. "Wir glauben, dass die Kombination mit dem bisherigen Softwaregeschäft bei Siemens das Unternehmen aus der System-Perspektive in eine starke Wettbewerbsstellung versetzt", erklärte Günther Hollfelder von Baader. (reuters/apa/red)