Debatte : "Mehr sparen geht nicht"

Helga Krismer Alexander Vojta
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INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Bürgermeister Vojta, die Abschaffung des Bezirks Wien-Umgebung hat viel Staub aufgewirbelt, auch in Ihrer Gemeinde, Gerasdorf. Vor allem wegen der Art und Weise der Beschlussfassung und der Information. Wie geht es Ihnen damit, sind Sie ein Befürworter dieser Reform?

Alexander Vojta: Tatsächlich ist es so, dass die Gemeinden nicht vorinformiert waren. Ob das jetzt eine schöne Optik ist, ist Geschmackssache. Grundsätzlich waren aber alle Gemeinden im Bezirk Wien-Umgebung für eine Veränderung. Es gab schon mehrere Anläufe und jetzt eben auch ein Ergebnis.

Ihre Gemeinde sollte ja ursprünglich zum Bezirk Gänserndorf. Dagegen gab es aber Widerstand.

Vojta: Es hat sich gezeigt, dass man aus einer schnellen Entscheidung auch eine gute Entscheidung machen kann. Ich weiß nicht, wie man auf Gänserndorf gekommen ist, das wäre in Hinblick auf die Servicierung unserer Bevölkerung die schlechteste Lösung gewesen. Ich bin überhaupt nicht gegen Reformen. Die sind sinnvoll, wenn sie für die Bevölkerung einen zusätzlichen Nutzen bringen, wenn der Zugang zu Behörden gewährleistet ist. Das wäre bei einer Zuordnung von Gerasdorf zum Bezirk Gänserndorf nicht der Fall gewesen. Deshalb wurde eine Befragung der Bürger durchgeführt. Die Wahl fiel eindeutig auf Korneuburg. Das hat mich gefreut, dass sich die Bevölkerung da zu Wort melden und entscheiden konnte.

Das kleine Österreich verfügt über vier Verwaltungsebenen. Darüber liegt noch Brüssel, das auch ein Wörtchen mitzureden hat. Ist das nicht ein bisschen viel Verwaltung für so ein kleines Land?

Helga Krismer: Ich bin davon überzeugt, in einer Zeit, in der für die Menschen vieles unübersichtlich geworden ist, ist der Bezug zur lokalen und regionalen Ebene enorm wichtig. Wir wissen aus Umfragen, dass Kommunalpolitiker die besten Imagewerte haben. Je weiter weg die politische Ebene ist, desto weniger vertraut man den Abgeordneten. Dem Rechnung tragend, gehöre ich zu jenen, die glauben, dass die Regionen sehr wichtig sind.

Was heißt das für die Verwaltung?

Krismer: Wichtig ist es, den Knäuel der Gesetzgebung und Verwaltung in Österreich aufzudröseln. Was ist Landessache, was muss der Bund regeln, wo ist mittelbare Bundesverwaltung sinnvoll. Es wäre klug, das ganz klar und einfach zu strukturieren. Die einzelnen Verwaltungsebenen würde ich beibehalten, die Landtage aufwerten. Die Gemeinden sollten nicht weiter mit neuen Aufgaben überfordert werden. Bei vielen Gemeinden können mittlerweile die erforderlichen Mitarbeiter mit den notwendigen Qualifikationen nicht mehr gefunden werden.

In Österreich wird – entlang parteipolitischer Grenzen – entweder mehr Föderalismus oder ein Mehr an Zentralismus gefordert.

Benedikt Speer: So etwas wie das ideale Modell gibt es nicht. Die Diskussion in Österreich finde ich befremdlich. Man sollte immer unterscheiden: handelt es sich um eine politische Reform oder eine genuine Verwaltungsreform. Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Man kann sehr wohl eine Verwaltungsreform durchführen, die kaum Auswirkung auf die Politik hat. Andersrum wird es schon etwas schwieriger.

Wir haben es mit einem Staat von 8,5 Millionen Einwohnern zu tun, der in sich sehr heterogen ist. Es gibt weder rote noch schwarze Lösungen, sondern nur an die jeweilige Region angepasste. Dazu muss man die Bedürfnisse der Bevölkerung kennen und das funktioniert ab einer gewissen Ebene nicht mehr. Das kann nur dezentral erfolgen.

Aber können durch Zentralisierungen nicht hohe Einsparungen erzielt werden?

Speer: In Kärnten haben wir aufgrund der angespannten Budgetsituation gerade die Diskussion, ob man weitere Aufgaben zentralisieren könnte. Ich würde behaupten, nur begrenzt und jedenfalls nicht ohne einen ganz enormen Qualitätsverlust. Was mich dabei wirklich ärgert, ist die Tatsache, dass niemand auf die Zahlen achtet. Österreich hat eine Staatsbedienstetenquote von 10,4 Prozent. Einer der niedrigsten Werte in der EU. Die skandinavischen Länder liegen bei rund 30 Prozent und darüber. Wir sind im Bereich der Verwaltung am untersten Ende angelangt. Mehr sparen geht nicht.

Vojta: Beim Thema Einsparungen bin ich auch sehr vorsichtig. Die kolportierten 2 Millionen Euro pro Jahr, die die Abschaffung des Bezirks Wien-Umgebung bringen soll, sind nicht nachvollziehbar. Persönlich glaube ich, dass das zu keiner Einsparung führt. Das war ja keine Verwaltungsreform, sondern eine politische Reform. Da wurde ein historisches Überbleibsel entfernt.

Krismer: Wenn ich höre, dass die Verwaltung noch weiter abschlanken soll, werde ich nervös. Die Leute gehen ja schon mit den Aktenstößen nach Hause, weil sie nicht mehr zurande kommen. Die Diskussion ist unehrlich und nicht faktenorientiert.

In der Steiermark hat die Landesregierung eine Verwaltungsreform durchgesetzt und wurde vom Wähler dafür bestraft.

Speer: Es gab auch schon Reformregierungen, die Wahlen gewonnen haben, und wir wissen nicht, was passiert wäre, hätten sie die entsprechenden Reformen nicht durchgeführt. Es gab schon in den 70er-Jahren eine große Verwaltungsreform in anderen Bundesländern. Die Steiermark war damals viel zu zögerlich und musste jetzt nachziehen. Die kommunale Leistungsstruktur in manchen steirischen Regionen ist ja traurig: keine Nahversorgung und keine ordentliche Infrastruktur. Da musste man was tun, der Ansatz war richtig. Österreich fällt doch seit Jahren in zahlreichen Rankings zurück: Innovation, Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskraft, Korruption. Wenn wir nicht langsam aufwachen, dann werden wir irgendwann die Rechnung zu bezahlen haben.

Krismer: Ich glaube auch nicht, dass die Wahl in der Steiermark eine Denkzettelwahl wegen der Verwaltungsreform war. Es wird ja auch unsere Bundesregierung abgestraft und die macht seit langer Zeit überhaupt keine Reformen. Wir werden wieder lange diskutieren, ob Lehrer beim Bund oder bei den Ländern sein sollen. Das ist jedem Elternteil in Wirklichkeit vollkommen egal, da geht’s doch nur um Machtkämpfe. Der Mut darf uns jetzt

nicht verlassen, sonst sind wir bald europäisches Schlusslicht. Qualifizierung, Ausbildung, Schule – es gibt so viele Baustellen, wo wir uns nicht zurücklehnen dürfen. Ein Teil davon ist die Verwaltung. Es bräuchte klare Zuständigkeiten.

Vojta: Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Finanzierung laufen leider teilweise auseinander. Immer mehr Kosten für die Gemeinden können die Gemeinden nicht beeinflussen und wurden von ihnen auch nicht beschlossen. Wer die Kosten trägt, sollte für ein Thema auch verantwortlich sein und sollte dies auch beeinflussen können. 2008, zu Beginn der Finanzkrise, sanken die Einnahmen aus der Kommunalsteuer deutlich, gleichzeitig wurden die Landesabgaben erhöht. Von einem Tag auf den anderen fehlten in Gerasdorf eine Million Euro im Budget. Wir konnten das nicht beeinflussen, mussten aber dennoch alle Register ziehen und Notmaßnahmen treffen, um über die Runden zu kommen. Zu oft wird die Kostenlast auf die Gemeinde geschoben. Das Verursacherprinzip wäre sinnvoll. Wer die Kosten beschließt, soll sie auch tragen.

Die Verwaltung und deren Mitarbeiter genießen keinen besonders guten Ruf ...

Krismer: Der öffentliche Dienst hat leider ein schlechtes Image. Deshalb ist er für viele Arbeitnehmer nicht attraktiv. Hinzu kommt, dass die Einkommen nicht besonders hoch sind. Diese Tatsachen, gemeinsam mit dem öffentlichen Hinhauen auf die Verwaltung, führt zu einer Negativselektion bei den Mitarbeitern. Man kann nicht immer mehr Verwaltungsaufwand schaffen und auf der anderen Seite nicht danach trachten, für gut qualifiziertes Personal zu sorgen – mit Aufstiegschancen und allem was dazugehört.

Vojta: Obwohl Gerasdorf eine große Gemeinde im Speckgürtel von Wien ist, haben auch wir Probleme, qualifiziertes Personal zu bekommen. Da will ich nicht wissen, wie es einem Bürgermeister in einer 700-Einwohner-Gemeinde im Waldviertel geht. Man braucht als Bürgermeister eine gute Verwaltung, auf die man sich verlassen kann.

Speer: Bürgermeister sind in keiner komfortablen Position. Viele sind mit der Aufgabe überfordert und stehen mit einem Bein im Kriminal. Österreichweit sind viele Bürgermeister mit einer Amtshaftungsklage belegt. Da ist die Qualität der Verwaltung ganz wichtig. In der OECD hat Österreich allerdings eine formal vergleichsweise niedrig ausgebildete und schlecht bezahlte Verwaltung. Das ist das eigentliche Problem. Auch die Akademikerquote bei öffentlich Bediensteten ist viel zu niedrig. Die Anforderungen an viele Positionen in der Verwaltung sind in den letzten Jahren so gestiegen, dass sie sinnvollerweise nur mehr von Akademikern wahrgenommen werden können und in anderen Ländern auch werden.

Vojta: Bei uns war die Einstellung einer Akademikerin für den Finanzbereich fast ein Paradigmenwechsel. Da gab es viele Diskussionen, ob das wirklich notwendig ist. Ohne qualifizierte Verwaltung bleibt viel Arbeit beim Bürgermeister hängen. Aber als solcher hat man ohnehin keine freien Ressourcen und ist Bürgermeister oft nur nebenbei, weil das ja ein Schleudersitz sein kann. Mit einem Misstrauensantrag ist man von einem Tag auf den anderen abgewählt und dann wird man noch ausgelacht, wenn man ohne Job dasteht. Mitleid hat da keiner.

Speer: Das drängendste Problem ist ganz klar das Personal. Die wenigsten Verwaltungseinheiten betreiben vernünftiges Personalmanagement. Aufgrund der Ressourcenknappheit passieren mittlerweile viele kritische Dinge. Es wird vermehrt zu längeren Verfahrensdauern kommen und es kann auch vermehrt zu Unfällen kommen. Der HCB- Skandal in Kärnten ist ein Beispiel dafür. Das kann jederzeit auch anderswo passieren. Es gibt in vielen Verwaltungen schon jetzt zu wenige Mitarbeiter und manche Qualifikationen sind nicht mehr zeitgemäß. Verwaltungsjobs sind inzwischen oft zu unattraktiv.

Vojta: Der entscheidende Faktor für die Zukunft der Verwaltung ist die Qualifikation des Personals. Ich wäre da sehr für Kooperationen unter den Kommunen. Es muss nicht jede kleine Gemeinde einen Juristen beschäftigen, vielleicht sollten sich zehn Rathäuser einen teilen. Auch in anderen Bereichen kann das zielführend sein, um Fachleute an der Hand zu haben.

Wenn die Personalressourcen knapp sind, sollte man vielleicht an den Aufgaben schrauben?

Speer: Aufgabenreformen haben bisher noch in keinem Land wirklich funktioniert. Da wäre ich vorsichtig. Weil man ganz tief in die Besitzstände und Leistungskataloge eingreifen müsste. Eigentlich sind die Standards, die wir heute haben, nicht mehr finanzierbar, aber die Bürger sind bislang nicht bereit, Leistungskürzungen hinzunehmen. Das ist ein Riesenproblem für die Verwaltung und die Politik, denn wenn irgendetwas nicht dem Willen der Bürger entspricht, schlagen die Proteste sofort beim Bürgermeister auf. Die Aufgaben werden überdies nicht weniger, sondern mehr und komplexer. Dafür sorgt alleine die europäische Ebene. Vollziehen Sie beispielsweise das europäische Umweltrecht EU-konform. Ich kann nur sagen: viel Vergnügen. Man wird vielleicht zu einer Struktur und Aufgabenreform kommen, aber sicherlich nicht in einem solchen Ausmaß, dass sich das Leben in dieser Republik fundamental ändern würde.

Was wäre also zu tun?

Speer: Ich würde zuerst eine solide und ehrliche Ist-Analyse für die Verwaltung machen. Wir kennen den Status quo nicht, es gibt kaum valide Daten. Das nächste wäre die Frage nach der administrativen Kapazität. Ist eine Verwaltungseinheit in der Lage, ihre Aufgaben professionell, im Sinne der Bürger abzuwickeln. Man müsste auch über eine vernünftige Territorialreform sprechen.