Hintergrund : Medienkommentare: "Ohne Volksabstimmung in Schuldenunion gezwungen"

EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
© Europäische Kommission

In vielen deutschen wie österreichischen Medien überwiegt wohlwollende Zustimmung zum Plan der Kommissionschefin Ursula von der Leyen, über Schulden finanzierte gigantische Summen als Kredite oder direkte Geldgeschenke unter den Staaten Europas zu verteilen.

So schreibt die linksliberale "Frankfurter Rundschau": "Viele sorgen sich angesichts der finanziellen Lasten, die per 30-Jahres-Kredit in die Zukunft geschoben werden. Doch was wäre die Alternative? (...) Es wird Zeit, eine neue Vision dagegenzusetzen, die vereinten Nationen von Europa, kein Superstaat mit "vereinigten" Staaten und großem "V". Aber eben doch ein stabiler Staatenbund, der sich nicht mehr im nächsten Sturm auseinanderpusten lässt."

Der "Kölner Stadt-Anzeiger" äußert sich ebenfalls sehr zustimmend, lässt aber zumindest Zweifel anklingen: "EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat das mit Abstand größte Gemeinschaftsprojekt der europäischen Geschichte vorgestellt: den 750-Milliarden-Euro-Plan zur Überwindung der Corona-Krise. Wird das wohl gut gehen? Viele sorgen sich angesichts der finanziellen Lasten, die jetzt tatsächlich per 30-Jahres-Kredit in die Zukunft geschoben werden."

Auch die Mainzer "Allgemeine Zeitung" lobt und betont den Zusammenhalt: "Die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden werden wie Deutschland nur dann wieder auf die Beine kommen, wenn alle EU-Staaten Boden unter die Füße bekommen. Oder anders betrachtet: Wenn nach den Briten auch noch die Italiener aus der EU drängen sollten, wäre diese gewiss bald Geschichte. Zu den schwächelnden USA würde sich dann auch noch ein zerfallendes Europa gesellen. Deswegen muss in Europa jetzt groß gedacht werden."

Skeptiker des Milliardenpakets medial in der Minderheit

Deutlich skeptischer ein Kommentar im "Morning Briefing" des Publizisten Gabor Steingart. Dort heißt es, die europäischen Rettungspolitiker Emmanuel Macron und Angela Merkel hätten "in Ursula von der Leyen ihre Lehrmeisterin gefunden. Nach dem 500-Milliarden-Euro-Plan von Franzosen und Deutschen lobt die EU-Kommissionspräsidentin – die über keinerlei eigene Steuereinnahmen verfügt – nun ein 750-Milliarden-Euro-Programm aus. Frei nach dem Motto: Wer kein eigenes Geld besitzt, sollte wenigstens großzügig mit dem der anderen sein."

159 Milliarden Euro allein für Spanien und Italien - als Geschenk

Dabei verweist Steingart auf die riesigen Milliardenbeträge der Summe, die als nicht rückzahlbare Geschenke für bedürftige Staaten gedacht seien. Vom gesamten Betrag sollen demnach allein für die Krisenländer Italien und Spanien als 300 Milliarden Euro reserviert sein. Italien solle 82 Milliarden Euro und Spanien 77 Milliarden Euro bekommen - geschenkt.

Die Rückzahlungen sollen ab dem Jahr 2028 starten und im Jahr 2058 enden. Steingarts Kommentar dazu: "Angela Merkel wäre dann 103 Jahre und Ursula von der Leyen 99 Jahre alt." Doch die negativen Folgen würden sehr viel früher, nämlich in unserer unmittelbaren Gegenwart, sichtbar werden, so der Kommentator weiter. Weil die Zinsen unterhalb der Inflationsrate liegen, komme es "auf den Sparbüchern zu einer noch nie dagewesenen Entwertung von Kaufkraft." Das Verschenken von Milliarden begünstige schlecht mit ihren Budgets wirtschaftende Staaten sowie korrupte und mafiöse wirtschaftliche Strukturen.

"Europa wird die Schuldenunion, die die Gründungsväter des Euro verhindern wollten"

Gabor Steingarts Fazit: "Europa wird genau die Schuldenunion, die die Gründungsväter des Euro verhindern wollten. Mittlerweile sind alle Sicherungen dieser Gründerzeit rausgeschraubt. Der Maastricht-Vertrag, der Stabilitätspakt und die Schwarze Null gelten nicht mehr. Nun darf sich auch die EU selbst verschulden, was bislang verboten war. Deutschland wird über einen juristischen Umweg in die Haftung gezwungen, ohne dass darüber je eine Aussprache im Volk stattgefunden hätte. (...) Die Finanzmärkte sind die eindeutigen Gewinner (...) Das internationale Großkapital, das Grüne, Linkspartei und SPD sich gerne vorknöpfen wollen, hat keine Angst vor diesem Maulheldentum, denn es lebt gesichert auf der Steueroase. Der Facharbeiter lebt nebenan. Er ist deutlich einfacher zu belangen."

Die Pandemie werde in eine Staatsschuldenkrise transformiert. Das münde wiederum in einer Vertrauenskrise. Steingart: "Der Opportunismus von Politikern und Medien, die heute morgen nahezu geschlossen der EU-Schuldenpolitik Beifall klatschen, ist beeindruckend und beängstigend zugleich."

Kanzler Kurz: Situation möglich, "wo nicht einmal Deutschland die EU retten kann"

Dieselbe Ausgabe des "Morning Briefing" bringt auch ein Interview mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Die breite Kritik an der Linie Österreichs sei überraschend, so Kurz: "Denn die Position, die wir vertreten, war vor zwei Wochen noch die Position, die in Deutschland vertreten worden ist." Es gebe viele Länder, die sich trotz Wirtschaftswachstums immer weiter verschulden würden. "Das kann langfristig nicht funktionieren. Wenn wir dort nicht die Trendwende schaffen, dann können wir in eine Situation kommen, wo noch nicht einmal mehr Deutschland die Europäische Union retten kann."

(red mit Material von dpa/APA)

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