Hintergrund : Machtkampf bei Siemens: Die 7 wichtigsten Antworten

(1) Machtkampf bei Siemens: Die aktuelle Situation

Siemens will knapp 7.000 Stellen streichen, davon mehr als 3.000 in Deutschland und rund 200 in seinem Werk in Wien. Dass der Technologieriese gleichzeitig Milliardengewinne einfährt, empört nicht nur Mitarbeiter, sondern weite Teile der Öffentlichkeit.

Vom Berliner Hinterhof zum Weltkonzern

Denn Siemens ist nicht einfach ein großer Industriebetrieb. Das Unternehmen, gegründet 1847 von Werner Siemens, startete in einem Berliner Hinterhof als kleine Werkstatt für Zeigertelegrafen und stieg in den folgenden Jahrzehnten zum Weltkonzern auf. Heute gehört Siemens zu den größten Technologiekonzernen weltweit mit Werken, Forschungszentren und Büros in nahezu allen Ländern und Regionen. Aktuell hat Siemens rund 372.000 Beschäftigte, davon 115.000 in Deutschland und knapp 11.000 in Österreich.

Autokorso und Schweigemärsche

Mit Demonstrationen quer durch Deutschland ist nun ein erbitterter Machtkampf zwischen Mitarbeitern und Gewerkschaft auf der einen und dem Management auf der anderen Seite entbrannt. Mitarbeiter formen Menschenketten um ein Turbinenwerk, fahren hupend durch Berlin und nehmen ihre Kinder zu Schweigemärschen mit.

Nun lädt die Konzernspitze von Siemens die Vertreter der Mitarbeiter zum Gespräch - doch der Betriebsrat sagt nein. Wie ist die Position des Managements rund um Joe Kaeser? Und wie schaut die Strategie der Arbeitnehmervertreter aus?

(2) Siemens schreibt Milliardengewinne: Warum so massive Kürzungen?

(3) Welche Pläne hat der Vorstand im Detail?

(4) Wie sind die Auswirkungen am großen Standort in Wien?

(5) Viele hundert offene Stellen: Können Mitarbeiter nicht einfach wechseln?

(6) Welche Strategie verfolgen Betriebsrat und Gewerkschaft?

(7) Wie sind laut Arbeitsrecht ihre Aussichten auf Erfolg?

Siemens hat im Vorjahr einen Gewinn von mehr als sechs Milliarden Euro erwirtschaftet - und zwar netto. Auch für das laufende Jahr erwartet der Konzern einen Milliardengewinn. Wieso will das Unternehmen trotzdem so viele Stellen abbauen?

Massiver Umbau

Siemens ist ein Mischkonzern mit Geschäftsfeldern von der Automatisierung bis zum Straßenbahnbau - und die Lage keineswegs überall rosig. So will das Unternehmen seine Sparte für Medizintechnik namens "Healthineers" demnächst ganz abstoßen. Die Sparte für Windkraftanlagen hat der Konzern mit Standorten in Spanien zu Siemens Gamesa zusammengefügt.

Und die in Österreich sowie Ostdeutschland stark vertretene Bahnsparte soll bald mit dem französischen Konzern Alstom fusioniert werden.

Rendite aus Kraftwerken und Bergbau sinkt

Die jetzigen Sparpläne treffen zwei Bereiche, die vom sinkenden Geschäft mit konventionellen Energien leben: Kraftwerke und Ausrüstung für die Förderung von Rohstoffen.

Die Unternehmensführung geht davon aus, dass das Geschäft mit thermischen Kraftwerken wegen den erneuerbaren Energien weiter schrumpfen wird.

Auch die Nachfrage nach großen elektrischen Motoren und Generatoren in der Rohstoffindustrie - etwa im Bergbau, in der Stahlerzeugung oder beim Schiffbau - sei deutlich gesunken. Hier gebe es Überkapazitäten und dadurch einen hohen Preisdruck.

Ob diese Argumente angesichts bester Geschäfte in anderen Sparten ausreichen, um die Einschnitte an den Heimatstandorten des Konzerns zu rechtfertigen, bleibt dahingestellt.

Weltweit sollen 6.900 Stellen gestrichen werden, davon etwa die Hälfte in Deutschland. Zwei Werke in Görlitz und Leipzig sollen geschlossen werden, beim Generatorenwerk in Erfurt ist ein Verkauf in der Diskussion, und auch ein Standort in Offenbach ist offenbar bedroht. In Berlin und anderen Städten sollen die Standorte erhalten bleiben, aber jeweils hunderte Stellen wegfallen.

Außerhalb Deutschlands fallen in Europa gut 1.100 Jobs weg, davon 200 in Wien. Außerhalb Europas sind weitere 2.500 Stellen betroffen, davon allein 1.800 in den USA.

Hoch qualifiziertes Personal besonders betroffen

Siemens will die Kürzungen in Deutschland nach Möglichkeit bis 2022 und 2023 abschließen. Es trifft laut Konzern überwiegend Ingenieure, IT-Fachkräfte und andere qualifizierte Berufe.

Der Vorstand will möglichst viele Arbeitnehmer zum "freiwilligen Verzicht" auf ihren Job überreden - mittels Abfindung, Weiterqualifizierung und anderer Angebote.

Die Kürzungen treffen auch den großen Standort in Wien, fallen aber geringer aus als anderswo. Insgesamt beschäftigt Siemens in Österreich 10.800 Mitarbeiter, knapp 6.000 davon in der Bundeshauptstadt.

Jetzt sollen in Wien rund 200 Arbeitsplätze wegfallen. Grund dafür sei die Bündelung der Planung von Kraftwerksprojekten, die bisher auf drei Werke - Wien, Erlangen, Offenbach - verteilt sei, so der Konzern.

Zum Abbau von Stellen in Wien soll es jedoch erst 2020 oder 2021 kommen, so Wolfgang Hesoun, Konzernchef von Siemens Österreich, gegenüber Ö1. "Und das gibt uns ausreichend Zeit, im Konzern für die Mitarbeiter entsprechende Platzierungen zu suchen und auch zu finden". Freistellungen seien "so gering wie möglich zu halten". Ziel seien sozialerträgliche Lösungen wie neue Jobs innerhalb der Firma, Gleitpensionen oder Altersteilzeit.

Könnte Siemens die Mitarbeiter angesichts der guten Geschäftslage nicht einfach anderswo beschäftigen?

Nicht alle. Wie eben erwähnt betreffen die Kürzungspläne vor allem Hochqualifizierte wie Ingenieure IT-Fachkräfte.

Nach offiziellen Angaben hat Konzern in Deutschland im Schnitt 1.000 offene Stellen. Doch hochqualifizierte Spezialisten mit jahrelanger Ausbildung lassen sich nicht einfach so versetzen: Ein Kraftwerksplaner mit Montageerfahrung in Nordafrika werde nicht über Nacht zum Programmierer für Industrieanlagen.

Betriebsrat und die Gewerkschaft IG Metall lehnen das Angebot der Konzernführung zu Verhandlungen ab.

Versuch einer Blockade

Da Siemens derzeit bestens verdient, lehnen Betriebsrat und IG Metall die Kürzungspläne rundweg ab. Die Ankündigungen des Vorstands seien keine Basis für Verhandlungen, sagt Birgit Steinborn, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats.

Ähnlich formuliert es Siemens-Vorstand Jürgen Kerner von der Gewerkschaft IG Metall: "Wir werden dann mit der Siemens-Führung über die Schließungspläne verhandeln, wenn diese zurückgenommen werden. Vorher gibt es nichts zu besprechen." Als letztes Mittel schließt Kerner auch Streiks nicht aus.

Mit dieser Blockadehaltung wollen sie das Management zum Verzicht auf den massiven Abbau von Arbeitsplätzen bewegen.

Druck über die Öffentlichkeit

Zugleich wollen sie auch mit politischer Unterstützung öffentlichen Druck aufbauen, um Siemens-Chef Joe Kaeser zum Umdenken zu bewegen.

Es ist naheliegend, dass auch der Politik eine wirtschaftliche Entscheidung dieser Tragweite alles andere als gleichgültig ist. In Thüringen, Sachsen und Berlin haben die Länderchefs Einspruch eingelegt, Spitzenpolitiker der SPD äußerten ebenfalls ihre Solidarität. Mehr dazu: Proteste bei Siemens in ganz Deutschland >>

Die Strategie der Gewerkschaft und der Betriebsräte werde den geplanten Stellenabbau nicht bremsen, so die Einschätzung des Juristen Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bonn.

"Hat der Arbeitgeber seine Bereitschaft zur Einigung gezeigt, können Arbeitnehmervertreter den Prozess dadurch, dass sie davon keinen Gebrauch machen, nicht aufhalten", so Thüsing gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.

Verweigert der Betriebsrat Verhandlungen, kann der Arbeitgeber die sogenannte Einigungsstelle anrufen. Dort verhandeln dann Arbeitgeber und Betriebsrat unter dem Vorsitz eines neutralen Dritten - häufig ein Arbeitsrichter. Können sich die Parteien auch dann nicht auf einen Sozialplan verständigen, entscheidet am Ende der Vorsitzende der Einigungsstelle.

Industriemagazin.at mit Material von dpa (Carsten Hoefer, Lisa Forster), AFP, APA.

.

Mehr zum Unternehmen:

Siemens: Nächster riesiger Transformator fährt von Weiz in die Welt >>

Spartenfusion bei Siemens und Alstom besiegelt - mit Mehrheit für Siemens >>

Joe Kaeser zum Wahlergebnis in Deutschland: "Eine Niederlage der Eliten"

Die 30 größten Industriebetriebe in Österreich >>