Chemische Industrie : Machtkampf bei Linde spitzt sich weiter zu

Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle muss kein Verfahren wegen möglicher Insidergeschäfte befürchten. "Die derzeitige Verdachtslage reicht zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht aus", sagte Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl am Freitag in München. Damit kann Reitzle die Fusion mit dem US-Gasekonzern Praxair nun unbelastet von juristischen Problemen vorantreiben.

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Reitzle war im Mai 2016 Aufsichtsratschef geworden und hatte im Juni für eine halbe Millionen Euro Linde-Aktien gekauft. Anfang August legte die Linde-Aktie plötzlich kräftig zu, Mitte August bestätigte Linde schließlich Fusionsverhandlungen mit Praxair.

Die deutsche Finanzaufsicht BaFin durchleuchtete die Vorgänge intensiv und übergab ihren Untersuchungsbericht kürzlich der Staatsanwaltschaft. Diese will die Sache zwar noch weiter prüfen, sieht aber nach jetzigem Stand keinen hinreichenden Verdacht für eine Straftat. Reitzle hatte die Aktienkäufe veröffentlicht und als Bekenntnis des neuen Chefkontrolleurs zum Unternehmen erklärt.

Machtprobe im Mai erwartet

Im Streit um die Fusion der deutschen Linde AG und mit dem US-Gasehersteller Praxair läuft alles auf eine Machtprobe in der entscheidenden Aufsichtsratssitzung Anfang Mai hinaus. "Es hat sich nichts Wesentliches verändert", erklärte ein Insider vor wenigen Tagen nach einem Treffen des Kontrollgremiums.

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Auch die Details über die laufenden Fusionsverhandlungen von Vorstandschef Aldo Belloni hätten bei dem unterkühlten Treffen die Bedenken der Arbeitnehmervertreter nicht ausräumen können. Die Kapitalseite habe kein Entgegenkommen signalisiert. "Es hat keinerlei Zugeständnisse gegeben." Beide Seiten verträten ihre Positionen geschlossen. "Aus heutiger Sicht läuft es auf einen Showdown am 3. Mai hinaus".

Dann soll der Aufsichtsrat letztlich über den 60 Milliarden Euro schweren Zusammenschluss zum größten Industriegasekonzern der Welt entscheiden. Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle hatte angekündigt, die Fusion im Fall eines Patts mit Hilfe seines doppelten Stimmrechts durchzusetzen.

Zorn der Gewerkschaften

Der Manager erregt mit der Ankündigung erneut den Zorn der IG Metall, die ihn erstmals öffentlich in Zweifel zog. "Mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, ist das Gegenteil von Mitbestimmung. Das sollte Herr Reitzle wissen", erklärte Bayerns IG-Metall-Chef Jürgen Wechsler. Wenn Reitzle dazu nicht in der Lage sei, stelle sich die Frage, "ob er der Richtige für Linde ist", erklärte der Gewerkschafter weiter.

"Herr Reitzle scheint zu glauben, dass eine solche Fusion auch gegen die betroffenen Beschäftigten durchgezogen werden kann. Die Erfahrung mit fehlgeschlagenen grenzüberschreitenden Transaktionen beweist das Gegenteil. Bei solch komplexen Zusammenführungen von kulturell sehr unterschiedlichen Unternehmen müssen die Beschäftigten voll mitziehen. Dies ist bei Linde nicht gegeben."

Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hatten vergangene Woche angekündigt, geschlossen gegen die Fusion mit Praxair zu stimmen. Sie fürchten um Arbeitsplätze und die Mitbestimmung auf Konzernebene, wenn der gemeinsame Firmensitz wie geplant ins Ausland verlegt wird. Sie hoffen auf eine Spaltung der Kapitalvertreterseite angesichts des Streits. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die sehr erfahrenen und verdienten Kapitalvertreter im Aufsichtsrat in einer solchen Situation vor den Karren von Herrn Reitzle spannen lassen", erklärte Wechsler.

Technologische Fähigkeiten am Standort bedroht

Flankenschutz hatten die Gewerkschafter und Betriebsräte aus dem Bundeswirtschaftsministerium und von der bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) erhalten. Vergangene Woche sprachen sich fünf Münchner Bundestagsabgeordnete gegen eine Verlegung aus.

"Neben dem möglichen Wegfall von Arbeitsplätzen geht es auch um den Erhalt von technologischer Spitzenfähigkeit", erklärten die CSU-Parlamentarier um Johannes Singhammer. "Im Hinblick auf die geplante Linde-Fusion mit anschließender Verlagerung des Firmensitzes stehen wir daher an der Seite der Arbeitnehmer. Ohne deren Zustimmung soll die Fusion nicht vollzogen werden."

(dpa/reuters/apa/red)