Internet der Dinge : Luftkampf: 5G auf dem Shopfloor - und die ganz anderen Pläne der Industrie

5G Luftkampf
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Er verfügt – passend für Hannover – über preußische Arbeitsmoral. In seinem durchsichtigen Plexiglaskasten von zwei mal zwei Metern greift der Roboter Bauteile – punktgenau und unaufhörlich. Ein Showeffekt, der am Siemens-Messestand in Hannover Anfang April nicht ohne Staunen bei den Besuchern verpufft. Denn bei der Maschine, die sich fünf volle Messetage abmüht, dominiert auch die Ratio: Mit Algorithmen des maschinellen Lernens sophistiziert, ist sie in der Lage, ihre Erfahrungen mit anderen Roboterzellen zu teilen. Die technologische Basis, um solche Solidaritätsadressen kabellos an andere Teilnehmer durch die Luft zu schicken, liefert 5G. Eine schon 2020 kommende Technologie der Allianzen, wie Siemens mit seinem langjährigen kalifornischen Telekommunikationslieferanten Qualcomm demonstriert.

Aber auch der neuen Fronten. In Deutschland ist die Vergabe industrieexklusiver 5G-Frequenzen durch die Bundesnetzagentur – und auf Betreiben der Industrieverbände – so gut wie durch. Ein Etappenerfolg der deutschen Fertigungsindustrie, hört man auf Messeständen Patriotenstolz. Aber auch ein paar Hierarchieetagen höher gibt es Bekenntnisse, den Netzbetreibern nicht das Feld überlassen zu wollen: „Was, wenn die pleite gehen“, sagt ein Industriemanager. Der FEEI, hört man im Österreich-Pavillon der Hannover Messe, sei am Thema Eigenfrequenzen für die Industrie ebenfalls dran.

Nach der Auktion – vor der Auktion?

Seit April gibt es bei Österreichs Fachverband für die Elektronikindustrie, der die Anliegen von über 300 Mitgliedern vertritt und dem so gewichtige Player wie ABB und Siemens angehören, dazu sogar eine offizielle Position. Mit Frequenzen zur exklusiven industriellen Nutzung wolle man einen „rechtssicheren Rahmen für die Entwicklung eigener 5G-Dienste, Produkte und Serviceleistungen schaffen“. Das könnte, mutßmaßt man in der Branche, über eine Neuausschreibung von Frequenzen – im Gespräch sind die Frequenzbereiche 2,6 sowie 26 Gigahertz – erfolgen. Und dann gibt es da noch die nicht ersteigerten Pakete der Frequenzauktion vom März, die den Bereich 3,4 bis 3,8 Gigahertz abdecken. Die Kleinigkeit von 180 Millionen Euro war den drei großen Mobilfunkriesen A1, Drei und T-Mobile und vier regionalen Betreibern – darunter auch die Salzburg AG – die Ersteigerung von Frequenzpaketen in diesen Bereichen wert. Würden Pakete desselben Bereichs jetzt an die Industrie gehen, wären die Mobilfunker alles andere als erfreut: „Dann würde uns ausgerechnet eine Schwäche des Auktionsdesigns zum Nachteil gereichen“, sagt Drei-Chef Jan Trionow. Seit wenigen Wochen hat die österreichische Mobilfunktochter des Telekommunikationsriesen Hutchison die Bescheide der heimischen Regulierungsbehörde in der Tasche, um das erworbene Frequenzpaket ab sofort kommerziell nutzen zu dürfen.

Ein Vorteil zu Mitbewerbern, weil man jetzt schon kommerziell Erfahrung sammeln könne, sagt Trionow. 43 Prozent des mobilen Datenaufkommens erfolge laut Trinonow in Netzen von Drei. Auch bei 5G reicht man der Industrie die Hand. Dort liegen nicht nur die werbewirksamen Cases, sondern auch das margenträchtige industrielle Zukunftsgeschäft. Freilich gibt es heute bereits Protokolle wie ZigBee oder LoRa und Netze wie NarrowBand, mit denen sich IoT-Devices schon heute drahtlos – und sogar über weite Distanzen – verbinden und ins Internet bringen lassen. „Und die technologiegestützte Altenbetreuung lässt sich mit 3G auch wunderbar beherrschen“, heißt es in der Automatisierungswelt. Doch 5G soll ein neues Stück Fabrikgeschichte schreiben. Frei flottierende Maschinen und Produktionsmittel – ganz dem Ideal einer bisin die Peripherien wandelbaren Fabrik nachempfunden – könnten sich endlich durchsetzen. „Soll eine lernende Intelligenz in der Fabrik zum Einsatz kommen, brauche ich Bandbreite“, sagt ein Produktionsspezialist. Und sollen Maschinen in Echtzeit Daten verarbeiten, sind geringste Verzögerungszeiten nötig. „Beides ist 5G zu leisten imstande“, heißt es in der Industrie.

Mobilfunker preschen vor

Die richtige Auslegung des Netzes wird allerdings vorausgesetzt. Ein Funknetz zu planen sei eine hochkomplexe Angelegenheit, heißt es beim Forum Mobilkommunikation, der Interessensvertretung der heimischen Mobilfunker, die beim FEEI angesiedelt ist. „Versuchen Sie, mit einem Kinderhandsprechgerät um die Ecke zu funken – Sie werden es nicht auf Anhieb schaffen“, heißt es dort. Selbst Kleinigkeiten in der Topographie würden die Geometrie von Funkzellen verändern. Ein Funknetz für eine Raffnerie aufzubauen erfordere „beinhartes Projektmanagement“, sagt FMK-Sprecher Gregor Wagner. Arbeitsinhalte, die sich die heimischen Mobilfunker mit ihrem Partnernetz selbstbewusst zutrauen. Der heimische Mobilfunker T-Mobile etwa stellt klar, dass man kein Novize im Industriegeschäft sei. „Wirbringen 20 Jahre Industrieerfahrung in unser 5G-Geschäft ein“, sagt Maria Zesch, CCO Business & Digitalization. Rund um Hardwaremodule wie Router, Datenlogger oder Industriesteuerungen, die per SIM-Karte ans Netz und einen Server gekoppelt sind, habe man schon vor einiger Zeit Industrielösungen im IoT-Bereich – etwa zur Steuerung und Wartung von Maschinen aus der Ferne – aufgesetzt.

Auch das Datenmanagement beherrsche man. Den Aufbau von Campus- Netzen für die Industrie – also Inhouse- Netze zur industriellen Nutzung – plane man mit einem „Zwölfmonatshorizont“, sagt Zesch. Auch der Netzbetreiber A1, zum Thema 5G mit Industrieunternehmen wie Magna und voestalpine im Kontakt, will mit seinem 5G-Case am Flughafen Wien nicht nur die Vorstellungskraft mobilisieren. Anfang 2020 soll das Geschäft mit Campus-Netzen für Industriekunden – abgerechnet wird womöglich pro genutzter Schnittstelle – Fahrt aufnehmen. Bei der Salzburg AG, die für Salzburg und die Steiermark Frequenzpakete ersteigert hat, will man Industriekunden und Gewerbeunternehmen mit 5G-Netzen und Produkten ebenfalls neue Möglichkeiten bieten. „Das ist eine ganz logische Fortführung unserer Strategie, uns noch stärker als digitales Technologieunternehmen zu positionieren“, sagt Salzburg AG-Vorstandsdirektor Leonhard Schitter. Antennenstationen an 120 Standorten werden nun an 5G angebunden.

Auf die neuen regionalen Mitbewerber angesprochen, gibt sich CEO Marcus Grausam sportlich. „Das hält fit.“ Und zum Thema Industriefrequenzen: „Produzierende Unternehmen sind mit einem exklusiv für sie reservierten virtuellen Netzwerkabschnitt sicher besser beraten, als in all seiner Komplexität ein eigenes Netz aufzubauen, das später nicht skaliert“, so Grausam. Grund zur Nervosität liefere ihm die Diskussion darüber, zu welchem Zeitpunkt denn nun fortgeschrittene industrielle 5G-Cases wirklich kommen, nicht, sagt Drei-Chef Jan Trionow. „Wir können die Kapazitäten des Netzes auchunmittelbar für unseren Festnetzersatz heranziehen“, sagt er. Dennoch werden die kommenden Monate entscheidend sein, nicht nur bei der Umrüstung der österreichweit 18.000 Mobilfunkstationen auf 5G, auch dem vertraglichen Feinschliff: „Wer jetzt das attraktivste Angebot für die Industrie schnürt und mit early adopters in die Projektierung geht, wird am Ende die Nase vorne haben“, meint ein Branchenkenner.

Schnittmenge bei Industrial Services

Doch geht es auf 5G-Veranstaltungen friedlich zu wie beim ökumenischen Gottesdienst, war die Position im deutschen Industrieverband ZVEI immer klar: Der Betrieb privater 5G-Netze – also ohne zwingende Einbindung von Mobilfunkprovidern – hat Vorrang. Statt womöglich noch länger auf 5G und vordefinierte Industrielösungen durch Dritte zu warten, soll der Bau eigener Netze rasch selbst bewerkstelligbar sein. So könne nach Meinung des ZVEI die Betriebssicherheit und der Schutz der Daten besser gewährleistet werden. Und „Haftungsfragen, sollte das Netz der Mobilfunkprovider gestört sein oder kollabieren“, seien so „zu vermeiden“, meint Jochen Reinschmidt, Senior Manager Political Affairs beim Industrieverband ZVEI.

Unter jenen, die aufs Tempo drücken, ist der Industrieelektronikhersteller Siemens. „5G ist ein kräftiger Turbo für unsere Cloudplattform“, erzählt ein Siemens-Manager. Man warte nur darauf, über Sensorik haufenweise „Daten in die MindSphere schaufeln zu können“, sagt er. Beginnend in 2021 wolle man entsprechend der Fortschreitung der Standardisierung sukzessive Generalanbieter für 5G-Technologien werden, sagt dazu Herbert Wegmann, 5G-Spezialist bei Siemens. Den Vorteil eigener Industriefrequenzen sieht er in der freien und jederzeit flexiblen Aufteilung des Frequenzbandes, dem Reservieren von Bandbreiten für echtzeitkritische und deterministische Automatisierungsbefehle: „Damit kann der Automatisierer selbst die Bandbreitenfestlegung zwischen den unterschiedlichen Kommunikationsarten festlegen“, sagt Wegmann.

So ließe sich etwa für Sicherheitssignale wie Not-Aus selbst eine feste Bandbreite reservieren und sicherstellen, dass einem ein plötzlicher Upload eines Videostreams aus einer Werkzeugmaschine nicht „diese reservierte Bandbreite wegfrisst“, argumentiert er. Freilich: Der österreichische Mobilfunkmarkt ist nur begrenzt mit dem deutschen vergleichbar. „Wir sind in dieser Hinsicht ein Entwicklungsland“, meint ein deutscher Industriemanager. Schnurren über Vertreter der deutschen Politik, die bei hohen Staatsbesuchen gegenüber Gästen in Argumentationsnot darüber geraten, warum schon wieder die Verbindung abreißt, machen die Runde. Die mangelhafte Netzabdeckung ist vordergründig oft ein Argument, das die Industrie gegenüber den Providern vorbringt. „In Wirklichkeit fürchten einige Szenarien, in denen Mobilfunker neben ihren ureigensten Aufgaben der Datenübertragung Anwendungen für Big Data oder Maschinenanalyse und -wartung übernehmen“, meint ein Produktionsexperte. Schon heute sind Mobilfunktöchter, die Industrielösungen anbieten, stark im Markt vertreten. „Und Beispiele wie der Durchmarsch von Amazon Web Services bei industriellen Cloud Services hat die Fertigungsindustrie natürlich im Hinterkopf“, sagt er.

Zwischen Reserviertheit und Euphorie

Fragen, die Heinz Paar aktuell allesamt noch nicht umtreiben. Der Geschäftsführer von Fischer Edelstahlrohre Austria ist zufrieden, wie es ist. „Im Vorjahr konzentrierten wir uns auf die letzte Meile der Glasfaseranbindung“, erzählt er. Der Betrieb stellte damit die erforderlichen notwendigen Übertragungsraten auch für künftige IoT-Projekte sicher. „Die Übertragungsraten unseres internen WLANs sind bei weitem ausreichend, um den Bedarf an Datenaustausch zu decken“, sagt Paar. Auch beim Industrieelektronikfertiger Melecs sieht man derzeit noch keine Veranlassung, allzu tief in die 5G-Welt einzutauchen. „Wir leben aktuell noch ganz gut mit unseren stabilen Verkabelungslösungen“, sagt Georg Loisel, Vice President Quality Management and Production Systems. Beim Münchener Autobauer BMW dagegen, der neben Bosch und Siemens als einer der ersten genannt wurde, sich – auf Antrag – eine Industriefrequenz sichern zu wollen, steht die 5G-Strategie. „Wir werden an allen weltweiten Werksstandorten die gleiche Infrastruktur für ein 5G-Netz aufbauen“, heißt es im Konzern. Wo möglich, ziehe man ein privates einem öffentlichen Netz vor.

Auf Anwendungsebene strebe man die großflächige Vernetzung von Maschinen untereinander an, etwa für Echtzeitaufgaben, aber auch autonome Logistikflotten. Aktuell laufen die Vorbereitungen für den Rollout in Deutschland. „Hardwareseitig sei das Marktangebot bisher nicht ausreichend“, heißt es. Der Automobilzulieferer Magna Steyr in Graz hat sich für den Proof of Concept seiner 5G-Campus-Lösung die Expertise eines Mobilfunkers – nämlich der A1 – ins Haus geholt. In der zweiten Jahreshälfte sollen die Tests des dann im Karosseriebautechnikum aufgebauten Netzes – Hand in Hand mit Anwendern aus Produktion und Lieferkettenmanagement – starten. Auf die Technologie 5G lasse man sich aus mehreren Gründen ein: Einerseits erfordern die IoT-Anwendungen in der hauseigenen Magna Smart Factory zuverlässige, schnelle und sichere Datenübertragung – 5G sei dafür „eine hervorragende Ergänzung zu unserer bestehenden Datenübertragungsinfrastruktur“, schildert Christoph Krammer, Technologisteuerung Complete Vehicle Manufacturing Magna Steyr. Messdaten könnten mittels Sensorik im 5G-Netz schneller übertragen werden.

Auch Szenarien, in denen autonome und mobile Anlagen oder Transportsysteme im Schwarm untereinander, mit einer übergeordneten Steuerung oder sogar anderen Standorten kommunizieren, kann sich Krammer vorstellen. Parameter wird es vorerst einige zu testen geben: „Der Bogen spannt sich von den Security-Anforderungen, der Wartung und Rechtevergabe bis hin zu Themen wie Reichweite, Antwortzeiten sowie Übertragungsgeschwindigkeiten innerhalb der Fertigung“, erzählt Christian Platzer, Global Director IT bei Magna Steyr. Dass die AlpLab-Teststrecke des autonomen Fahrens direkt an das Grazer Werk angrenzt, ist ein Vorteil, da diese frühzeitig mit öffentlichen 5G-Netz ausgestattet sein wird. „Somit können wir auch den möglichen Übergang zwischen der geschlossenen Netzwerkstruktur und dem öffentlichen Netz realisieren“, sagt Platzer. Klar ist zum jetzigen Zeitpunkt aber auch: „Die vielfach kommunizierten 5G-Anwendungsfälle sind bisher hauptsächlich Small Sells – also wirtschaftlich nicht signifikant“, sagt ein Branchenkenner.

Schauplatz Normung

Bis es so weit ist, wird man sich in den Normungsgremien treffen. Erst ab Release 16 der 5G-Norm – also voraussichtlich im dritten Quartal 2020 – werden erstmals QoS-Anforderungen der Industrie wie etwa Echtzeit berücksichtigt sein. „Ob alle Industrieanforderungen im Release 16 oder erst im Release 17 festgeschrieben werden, bleibt abzuwarten“, meint etwa ein Industriemanager. Auch an der Zuverlässigkeit der Systeme – speziell wenn es in Richtung autonomes Fahren geht – wird man schrauben müssen. „Wir können keinen Fall Boeing brauchen“, heißt es in der Branche.

Für die höheren Frequenzen bei 5G – es geht um optimale Antennensignale – passt AT&S gerade die Leiterzugsgeometrien an, erzählt Heinz Moitzi, COO des Leiterplattenherstellers. Aber Sicherheit – nämlich die vor Industriespionage – ist in der Industrie ein Thema. Geht es um Huawei, „nimmt der Diskurs in Europa mittlerweile eine merkwürdige Form an“, hört man. Den Vorstoß der EU-Kommission, eine Art Sicherheits-TÜV für alle 5G-Lieferanten einzuführen, begrüßen aber viele. Einer davon ist Uwe Rüddenklau, 5G-Spezialist beim Halbleiterhersteller Infineon. Auch für Infineon wird 5G einen wirtschaftlichen Boost bringen. Die Nachfrage nach Halbleitern für 5G wirkt sich klarerweise auf Entwicklung und Produktion aus. Geforscht wird in Linz, München und Villach. „Aus Produktionssicht profitiert Dresden, Regensburg oder Villach“, so Rüddenklau. Bis es so weit ist, werden dann hoffentlich auch die Antworten auf die grundsätzlicheren Fragen geklärt sein. Etwa die, ob der Trend zum Edge Computing – der Vorverarbeitung von Daten an der Maschine – die Informationspakete nicht ohnehin soweit reduziert, dass man künftig nur mehr einen Bruchteil der Datenlast – und nicht zu den Kosten eines 5G-Netzes – in die Cloud schicken müsste. Ein Aspekt, „der Berücksichtigung finden muss“, findet ein Produktionsexperte.