Hintergrund : Luftfahrt gerät von zwei Seiten unter Druck

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© Peter Martens

Die Luftfahrt ist weltweit von der Coronakrise schwer getroffen, in Europa steht der Großteil der Flugzeuge am Boden, der Flughafen Wien rechnet im April mit einem Rückgang der Passagierzahlen um 99 Prozent - also praktisch dem Stillstand des Geschäfts. In dieser Situation stellt sich die Frage, wie der Neustart organisiert werden soll.

Auf der einen Seite stehen die Interessensvertreter der Luftfahrtindustrie, die sich viel Geld und massive Erleichterungen bei den Rahmenbedingungen wünschen, um so schnell wie möglich wieder den Status vor der Krise zu erreichen. Auf der anderen Seite steht die Forderung, die dramatische Situation für eine Verringerung der Luftfahrt und einen damit verbundenen Rückgang von Treibhausgas-Emissionen zu nutzen.

In einem Gastbeitrag in der "Wiener Zeitung" plädieren Heinz Högelsberger und Ulrich Brand, Politologen an der Universität Wien, für eine deutliche Verkleinerung des Sektors. Auch in Zeiten der Billigflieger werde der Flugverkehr hauptsächlich von den Wohlhabenden genutzt, "das macht es, neben klimapolitischen Gründen, so problematisch, Fluglinien mit hunderten Millionen Euro an Steuergeldern bedingungslos zu unterstützen", schreiben sie. Daten aus Großbritannien zeigten, dass die ärmere Hälfte der Bevölkerung im Schnitt nur jedes zweite Jahr einmal fliegt, die reichsten fünf Prozent mehr als 3,5 Mal pro Jahr. Ähnliches zeige eine Umfrage für Österreich.

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Abgesehen vom sozialen Ungleichgewicht bei der Förderung des Flugverkehrs, seien insbesondere Kurzstreckenflüge "klimapolitisch ein Desaster". Ein Flugzeug emittiere nach Berechnungen des Umweltbundesamtes rund vierzig Mal mehr Treibhausgase pro Passagier als ein ÖBB-Zug auf derselben Strecke. Auf Kurzstrecken mit guter Zugverbindung dürfe es daher keine Flüge geben - die Autoren verweisen darauf, dass mit Frankfurt, Berlin und Zürich drei der vier verkehrsstärksten Verbindungen des Flughafens Wien schon mit mehreren Direktzügen pro Tag erreichbar seien. Mittelfristig müssten Flüge innerhalb Europas deutlich reduziert und massiv ins europäische Zugnetz investiert werden. Die Reduktion der Emissionen im Flugverkehr seien wesentlich, um das Klimaziel von Paris bzw. den europäischen Grünen Deal von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einhalten zu können.

Wenn es öffentliche Hilfe für die Luftfahrtindustrie gebe, sollte sie an konkrete Bedingungen geknüpft werden. Die Republik Österreich sollte im Gegenzug eine Sperrminorität an Aktienanteilen erhalten, "um einerseits eine gesellschaftlich und klimapolitisch erwünschte Geschäftspolitik sicherzustellen und andererseits an zukünftigen Gewinnen teilzuhaben". Ziel müsse ein geplanter Rückbau der Luftfahrtunternehmen und deren Konversion in Transportdienstleister sein. Die aktuelle weitgehende Steuerfreiheit im Flugverkehr sollte aufgehoben werden, gut wären eine spürbare Anhebung der Flugticketabgabe und die Einführung einer Kerosinsteuer.

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In die gleiche Kerbe schlägt auch die Umweltorganisation WWF in einer Aussendung heute Mittwoch. Klimasprecher Karl Schellmann fordert die Beseitigung von Steuerprivilegien, höhere Ticketabgaben und das Aus für die dritte Piste in Wien. Rettungsgelder für die Luftfahrtindustrie müssten an Öko-Soziale Kriterien geknüpft werden. Eine massive Einschränkung der Kurzstreckenflüge sei nötig.

"Es geht um eine Wirtschafts- und Lebensweise, bei der nicht mehr derart viele Güter um den Globus geflogen werden, Geschäftsleute nicht so viel durch die Gegend jetten und der Wochenendtrip von Wien nach Barcelona mit dem Billigflieger out ist. Das müssen auch die Lobbyisten der Flugverkehrsindustrie einsehen", so Högelsberger und Brand.

Damit stoßen sie beim Luftfahrtlobbyisten Peter Malanik, früherer AUA-Chef und aktueller Präsident des Österreichischen Luftfahrtverbands, allerdings nicht auf Verständnis. Europas Luftfahrt stehe vor einem beispiellosen Einbruch, im Gegensatz zu früheren Krisen zeichne sich auch keine Rückkehr zum Vorkrisen-Niveau bei der Nachfrage ab. Der Luftverkehr sichere aber über den internationalen Handel Wohlstand. Gerade in der Krise habe sich gezeigt, wie wichtig eine leistungsstarke Luftfahrt sei, "um Versorgungsgüter, Masken, Schutzanzüge oder Medikamente schnell dorthin zu bringen, wo sie benötigt wurden".

Europa brauche in der Rezession nach der Krise eine leistungsfähige Luftfahrt, um nicht gegenüber anderen Weltregionen deutlich und dauerhaft ins Hintertreffen zu geraten. Dafür brauche sie Unterstützung, durch das Aussetzen "politischer Belastungen", den Abbau regulatorischer Kosten, und finanzielle Unterstützung, "wofür die EU-Regeln für Staatsbeihilfe angepasst werden müssen". Kartellverbote sollten eine Zeit lang ausgesetzt werden, fordert Malanik und sieht den Staat - im Gegensatz zu Högelsberger und Brand - nur als passiven Finanzinvestor und nicht als strategischer Investor mit eigenen unternehmenspolitischen Vorschlägen willkommen.

"Kritiker der Reisefreiheit werden die Krise nutzen, um ihre Argumente zu untermauern - und 'unnötiges' Fliegen hintanzuhalten. Man mag rasch eine eigene Meinung darüber haben, was nötig und was unnötig ist, aber diese Meinungen werden recht unterschiedlich sein. Wollen wir aber auf die vielfältigen Wohlstandeffekte internationalen Handels, vor allem auch für weniger entwickelte Weltregionen, nicht verzichten, ist eine rasche Wiederherstellung internationaler Luftverkehrsverbindungen unerlässlich. Diese werden nur dann zu wirtschaftlich vernünftigen Preisen verfügbar sein, wenn auch viele Menschen mitfliegen, deren Reise manchen unnötig erscheint", schreibt Malanik und warnt, dass China, die Golfregion und die USA ihre Luftfahrt rascher und umfangreicher unterstützen würden. Daher drohten viele Airline- und Flughafenpleiten in Europa, die Fluganbindung der europäischen Wirtschaft werde noch mehr von Airlines abhängen, deren Kernmarkt nicht Europa ist. (apa/red)