F&E in der Pharmabranche : Life Science: Flucht aus dem Risiko

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Nach der Japanischen Encephalitis kam Chikungunya. Erich Tauber ist mit Tropenkrankheiten auf Du und Du. Nach sieben Jahren als Projektleiter beim Biotech-Veteranen Intercell, wo er den Encephalitis-Impfstoff zur Marktreife brachte, machte er sich mit seiner 2009 gegründeten Firma Themis Bioscience auf die Suche nach einem Impfstoff gegen den in Afrika und Asien verbreiteten Virus Chikungunya, der malariaähnliche Symptome hervorruft. Auch wenn Tauber in seinem kahlen Büro im Anbau an die Wiener Universität für Bodenkultur residiert, hat Themis mit einer klassischen Biotech-Uni-Ausgründung wenig gemeinsam. „Ein Jahr alte Start-ups sind normalerweise noch weit in der Grundlagenforschung und weit weg von Tiermodellen. Wir dagegen haben uns als fast klinische Firma gegründet.“ Der Industriehintergrund Taubers und seiner vier Mitstreiter bedeutet auch, dass sie keinen Zugriff auf vergleichsweise günstige Hochschul-Ressourcen von der Laborinfrastruktur bis zu Projektmitarbeitern mehr haben. „Wir müssen unsere Gehälter selber zahlen – und Marktmieten fürs Büro.“ Folglich setzt Tauber seinem Unternehmen eine höchst pragmatische Vorgabe: mit überschaubaren Ressourcen eine Brücke zwischen dem Elfenbeinturm akademischer Grundlagenforschung und Produktionsüberleitung im Industriemaßstab zu schlagen, und das immer mit festem Blick aufs Kommerzielle: „Akademiker haben oft das Problem, dass sie eher am Prozess interessiert sind, nicht am Ergebnis.“ Tauber hat seines hingegen genau im Blick: „Wir wollen 2012 in die erste klinische Studie gehen.“ Gegenseitige Abhängigkeit.Heimische Biotech-Kleinfirmen schließen Deal um Deal mit internationalen Pharma-Schwergewichten ab. „Big Pharma“ braucht die meinst aus dem Uni-Umfeld entstehenden Garagenfirmen, weiß Elgar Schnegg, CEO der Innsbrucker Biocrates und früherer Geschäftsführer von Sandoz Austria. Er kennt das Dilemma der großen Konzerne aus eigener Erfahrung: „Echte Innovation nimmt dort ab, die Pipelines trocknen aus. Bei Big Pharma geht vor allem um Märkte und darum, was die Krankenkassen zahlen.“ Beat Kasper, Österreich-Geschäftsführer des Schweizer Pharmakonzerns Roche, der mehr als 60 Prozent seines Umsatzes mit Biotech-Medikamenten und –Diagnostika bestreitet und in Österreich pro Jahr Medikamente um 200 Millionen Euro verkauft, will das so nicht stehen lassen: „Pipelines verlaufen immer zyklisch – wir haben derzeit zwölf neue Substanzen in den klinischen Testphasen 2 und 3. Im Idealfall sind das in den kommenden zwei bis vier Jahren zwölf neue Medikamente auf dem Markt.“Die kleinen innovativen Firmen profitieren von der geballten Marketingmacht und den tiefen Taschen der Konzerne: „Die Stärke der Pharmaindustrie liegt nicht in der Erfindung des Moleküls, sondern in seiner Entwicklung zur Marktreife“, sagt Kasper. Könne doch die Entwicklung einer neuen Medikamenten-Substanz bis zur Zulassung eine bis 1,6 Milliarden Euro kosten. Man braucht auch die innovativen Einfütterer von außerhalb: Die Roche-Pharmasparte schloss allein voriges Jahr 40 Partnervereinbarungen zu Forschungszwecken mit Biotech-Unternehmen ab. Fortsetzung auf Seite 2.

Allerdings ist die Floprate im bei Biotech wie im konventionellen chemischen Pharma-Bereich gigantisch: „Auf 10.000 Substanzen kommt ein zugelassenes Präparat“, sagt Kasper. Mühen und Risiken der Ebene vor allem der Grundlagenforschung weit vor den klinischen Tests werden ganz gerne an kleine Forschungsunternehmen ausgelagert. Deren vermarktbare Ergebnisse sichern sich die Pharmakonzerne über Meilensteinzahlungen, Lizenzvereinbarungen oder Gewinnbeteiligungen.Gefeit vor Rückschlägen ist niemand. Einer der Leitbetriebe der Life Science-Landschaft, die börsenotierte Wiener Intercell, legte voriges Jahr einen veritablen Bauchfleck hin: Das fast fertig entwickelte Impfpflaster gegen Reisedurchfall floppte in den klinischen Tests. Unangenehm für Hauptaktionär Novartis - reagiert wurde konzernmäßig mit einer Kürzung des Forschungsetats um 40 Prozent. Außerdem werden von den weltweit 440 Intercell-Mitarbeitern bis Juli 2011 hundert abgebaut. Der nächste Rückschlag folgte auf dem Fuß: Eine klinische Studie für einen Impfstoff gegen den Krankenhauskeim Staphylococcus aureus, der gemeinsam mit dem Pharmakonzern Merck entwickelt wird, liegt derzeit auf Eis, weil das beurteilende Experten-Kommittee Bedenken wegen möglicher Nebenwirkungen hat.„Man minimiert das Risiko, indem man später einsteigt“, sagt Biocrates-Chef Schnegg. Die Strecke, die bis zur Marktreife zu überbrücken ist, kann sehr lang sein. Biocrates wurde 2002 gegründet und untersucht Metaboliten, Stoffwechselendprodukte, die als Biomarker dazu beitragen können, Krankheitsrisiken zu erkennen und in weiterer Folge Erkrankungen zu diagnostizieren, bevor sich Symptome zeigen. Die von Biocrates patentierte Technologie basiert auf Massenspektrometrie und ermöglicht die systematische Quantifizierung vieler Molekülklassen in unterschiedlichsten Proben, von Blut und Serum bis zu Zellen und Gewebe. Die vielversprechendsten Kandidaten in der Pipeline sind Metabolitengruppen zu Diabetes Typ 2 und chronischen Nierenerkrankungen. „Für diese Indikationen validieren wir in Richtung Patentierung“, steckt Schnegg den Zeitrahmen ab – noch gut zwei Jahren wird die Vorarbeit für Diagnose-Sets für Menschen dauern.Nicht immer ist alles eitel Wonne im Zusammenspiel von forschungsaktiven Start-ups und Konzernen. Der Humantechnologie-Cluster Steiermark muss demnächst einen schmerzhaften Aderlass verkraften: Der Roche-Geschäftsbereich Diagnostics transferiert bis 2013 seine gesamten Entwicklungs- und Produktionsaktivitäten von Graz nach Rotkreuz in der Schweiz. „Der drohende Abgang von 400 hoch qualifizierten Arbeitsplätzen tut natürlich weh“, sagt Clustermanager Robert Gferer. Einer geht, der andere kommt: Die deutsche B. Braun Melsungen AG (mit 40.000 Mitarbeitern einer der weltweit führenden Medizintechnik- Konzerne) eröffnete im Juni 2010 ein Entwicklungsbüro in Graz. Fortsetzung auf Seite 3.

Ex-Intercell-Mann Erich Tauber hält den Ball für sein Start-up bewusst niedrig: „Viele Biotech-Start-ups träumen ja davon, ein voll integriertes Pharmaunternehmen zu werden, wie Intercell es zu sein versucht.“ Er nicht: „Wir haben zwei Labors und Platz für maximal zehn Leute.“ Dabei soll es auch bleiben. Tauber weiß, wie viel schief gehen kann, wenn man sich wie viele Uni-Start-ups auf die Gebiete stürzt, die als besonders sexy gelten, wie Krebs oder HIV. „Wir verlassen ein bisschen den Trampelpfad. Viele Biotech-Firmen suchen sich vor allem technologisch und kommerziell schwierige Projekte.“ Risikominimierung ist Teil seines Businessplans. Tauber ging gezielt auf die Suche nach einer schon validierten Trägertechnologie, mit der Antikörper gegen Tropenkrankheiten im Körper gezielt in die passenden Zellen gebracht werden können. Fündig wurde er beim Pariser Institut Pasteur – dort gab es mit dem modifizierten Masernvirus Themaxyn eine verfügbare Technologieplattform. Man war sich schnell handelseins – die Franzosen schlossen eine F&E-Vereinbarung mit Tauber ab: Themis bekam die exklusive Kommerzialisierungslizenz für Themaxyn. In nächsten Takt testet Themis den Pasteur-Vektor in Tierversuchen auf seine Einsetzbarkeit gegen Chikungunya, Dengue- und Gelbfieber. „Wir validieren ein Wirksamkeits-Sicherheitsprofil so weit, dass man es in eine zulassungsfähige klinische Studie überleiten kann.“ Das Flop-Risiko bewege sich in einem überschaubaren Rahmen – Themaxyn funktioniert bereits gegen das West Nil-Virus, nun gilt es, den Wirkungsbereich auf andere Krankheiten auszudehnen. Das liebe Geld.Wichtig ist der klare Entwicklungspfad – ins Blaue hinein forscht keine noch so kleine Biotech-Schmiede mehr. Denn sie brauchen viel Spielgeld. Förderungen sind ein wesentlicher Teil des Finanzierungsmix’. Allein die austria wirtschaftsservice (aws) zahlte in den letzten zehn Jahren rund 430 Millionen Euro in Form von Zuschüssen, Krediten und Garantien an Life Science-Firmen. In Wien unterstützte die Technologieagentur der Stadt Wien ZIT seit 1998 Projekte mit mehr als 100 Millionen Euro.Der – branchentypische - Finanzierungs-Mix von Themis besteht aus Wagniskapital und Förderungen (aws Seedfinancing, FFG-Zuschuss und -Darlehen). In Förderinstrumenten wie dem Seedfinancing sieht Tauber einen Standortvorteil („darum beneiden uns Forscher in anderen Ländern“), allerdings gibt es auch ein Problem: „Man braucht einen Eigenanteil.“ Der für viele Start-up-Wissenschaftler nicht zu stemmen ist. Doch auch einem Risikokapitalgeber muss man die eigene Forschungsschiene erst einmal verkaufen. Lokales Venture Capital gibt es in Österreich kaum – aber Tauber denkt da ohnehin international. Themis steht kurz vor Abschluss eines 5-Millionen-Euro-Pakets mit Venture Capital-Gesellschaften, das die nächsten vier Jahre ausfinanzieren soll.Auch Biocrates arbeitet mit einem Mix aus Kapitaleinschüssen der Gründer, Seedfinancing, Venture Capital und einem erp-Technologiekredit. Umsätze erwirtschaften die Innsbrucker acht Jahre nach der Unternehmensgründung auch: Mit einem speziell entwickelten Breitband-Kit, das Forschern die Bestimmung von rund 180 verschiedenen Metaboliten erlaubt. Andere Forscher in Unis und Pharmaunternehmen nutzen es, um für ihre jeweiligen Projekte wichtige Metabolit-Gruppen schneller und effizienter zu identifizieren. 2010 verkaufte Biocrates 200 Stück davon. Maike Seidenberger