Retrospektive : Leserinnen und Leser meinen...

Jubiläumslogo 20 Jahre INDUSTRIEMAGAZIN IM Classics Jubiläumsserie
© INDUSTRIEMAGAZIN

Nichts genaues wusste man nicht. Als Mitte der Neunziger Jahre neue Richtlinien für die CE-Kennzeichnung von Elektronikprodukten bevorstanden, gab es außer einigen Verlautbarungsorganen kaum gedruckte Quellen, die dem Erkenntnisgewinn dienlich waren. Die absolvierte HTL-Ausbildung hatte es dem Autor dieses Textes in die journalistische Wiege gelegt, sich mit diesem Thema erstmals für das Industriemagazin befassen. So sah es zumindest der damalige Chefredakteur Reinhard Christl bei unserem Bewerbungsgespräch. Er gab mir mit der Aussicht auf freie Mitarbeit den Auftrag, Licht in die Sache zu bringen, was einem Servicemagazin für die Industrie durchaus würdig war. Üblicherweise erbat man sich mit einer solchen Aufgabe konfrontiert einen Termin bei einem Experten und ließ sich die Sache von Grund auf erklären. Das Internet bot für die schnelle Vorrecherche bescheidenen Nutzen. Fand man nach der minutenlangen Einwahlprozedere mit einem analogen Modem dort tatsächlich Informationen, glich die Überraschung jener eines Lottogewinns. Kiloschwere Nachschlagewerke wie der österreichische Amtskalender oder in unserem Fall die Firmenverzeichnisse des Compass-Verlages hatten ihren festen Platz im Regal. Eine Geschichte in den USA zu recherchieren – per Telefon wohlgemerkt – wurde schon beim Anruf bei der Auskunft der Post- und Telegrafenverwaltung zum kleinen Abenteuer. Den richtigen Ansprechpartner zu finden, glich oft der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Mehr Kommunikation, weniger Inhalt

Die Arbeit der Journalisten ist vielleicht effizienter, aber nicht unbedingt leichter geworden. Das Internet erspart in der Recherche viele Sackgassen, doch die befahrenen Autobahnen erweisen sich mitunter als Schimäre. Die Unternehmen kommunizieren heute zwar mehr, aber nicht wirklich offener. Mit der professionellen PR gelangte auch das Instrumentalisieren und der Versuch, Medien zu steuern auf die Liste der vermeintlich ehrbaren Tätigkeiten. Bekam man in den Neunziger Jahren noch gesprächige Abteilungsleiter direkt an den Hörer, die der Authentizität einer Geschichten nützlich waren, ist das heute mit mehr Aufwand verbunden. Als wäre der anrufende Redakteur das jüngste Gericht, wird in vielen Betrieben gebetsmühlenartig auf die Pressestelle verwiesen. Schließlich will die Kommunikation ja gesteuert sein, dafür möge man als Journalist bitte Verständnis haben. Zugenommen hat auch die Wehleidigkeit gegenüber medialer Kritik. Eine Beobachtung, die selbst der Redaktion eines Magazins, das sich als konstruktives Service-Mediums versteht nicht entgangen ist. Kein Wunder: auf jeden Journalisten kommen inzwischen zwei in der PR tätige Angestellte, deren Wirken ja gerechtfertigt sein will.

Gewandelt hat sich auch die Struktur in unserer Redaktion: mussten wir noch vor einigen Jahren für unsere Konferenzen mit 15 freien Mitarbeitern einen eigenen Raum anmieten, passen die nun angestellten Kollegen an einen größeren Esstisch. Scharf abgegrenzte Themenkreise wurden vergeben, was die Qualität der Geschichten steigerte – und für die Redakteure die Arbeit erleichterte. Die Zahl der Gesprächspartner, die beim Anruf eines Journalisten nicht gleich vor Schreck den Hörer fallen lassen hat inzwischen ein ansehnliches Ausmaß erreicht.

Die Relaunchs

Immer wenn wir in den vergangenen zwanzig Jahren Eindruck hatten von der Betriebsblindheit befallen zu sein, musste der Zeitungsdesigner Erik Turek ans Werk, um uns die Brille zu putzen. Notwendig erschien uns das etwa alle drei Jahre, mit einer Ausnahme. Ebenso naiv beeindruckt wie das gros der Börsenanalysten meinten auch wir, dass der Boom der New Economy eine Zeitenwende für fast alles auf der Welt markierte. Wir gaben dem Industriemagazin das Look & Feel der neuen Internet-Welt. Der Wiener Illustrator Ladislaus Bartok führte eine Platinen-Optik ein und brachte viele Elemente aus dem Internet aufs Papier. Immerhin überdauerte das Layout die Blasenwirtschaft tatsächlich um ganze vier Jahre.

Die radikalsten Veränderungen fanden wohl 1993 und 2008 statt. Nach drei Jahren „West-Magazin“ befanden die beiden Gründer Alois Weiss und Otto Steixner, dass die Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen als Magazin-Titel nun ausgedient hätten. Die beiden Tiroler verlagerten die Redaktion gen Osten in eine der reizvollsten Gegenden in Wien. Nämlich dorthin, wo der Gaudenzdorfer Gürtel eine S-Kurve macht und sich die gastronomische Vielfalt in den Leberkässemmeln einer trüben Tankstellenvitrine erschöpft. Der Titel wurde auch den neuen geographischen Parametern angepasst: aus dem West-Magazin wurde das Industriemagazin. Mittlerweile erfreute sich die Belegschaft des Wiener Büros der Lebensqualität des 7. Bezirks. Auch das Heft sollte freundlicher werden. Beim Relaunch im November 2008 wechselte die Grundfarbe vom Tiefseeblau ins frohe Küstenblau. Das Industriemagazin wurde nicht nur äußerlich generalüberholt. Auch inhaltlich bekam das Heft einen noch schärferen Fokus. Ins Blatt darf nur mehr, was tatsächlich für Führungskräfte in produzierenden Unternehmen von Nutzen ist. Hinaus flogen die vielen kleinen News-Häppchen, mit denen sich ein Monatsmagazin einem aussichtslosen Wettbwerb mit dem Internet stellt. Und schließlich hielt die anspruchsvolle Fotografie Einzug in das bis dato eher etwas hemdsärmelig daherkommende Heft. Mit Helene Waldner konnten wir eine der besten Fotografinnen des Landes gewinnen, die nun dem Heft ihren ästhetischen Stempel aufdrückt.