Interimsmanagement : Leihkraft im Nadelstreif

Waldner Günther
© Helene Waldner

Dass diese Sitzung so aus dem Ruder läuft, hätte Karl Girrbach nicht zu träumen gewagt. „Vielleicht war ich in dieser Hinsicht ja ein wenig zu harmlos veranlagt“ sagt der mittlerweile pensionierte Miteigentümer des Vorarlberger Dentalgeräteherstellers Amman Girrbach AG, wenn er sich an die Poolsitzung seiner Gläubigerbanken an jenem Frühsommertag 2003 erinnert. Ja, die Investition in einen ostdeutschen Stahlmöbelhersteller ging schief – und Girrbach haftet mit seinem Privatvermögen für die Altlasten des DDR-Relikts. Aber waren es nicht genau jene Banker, die hier über ihn richten wollen, die sich noch vor wenigen Monaten um die Finanzierung des Projektes prügelten? Und, ja, die Produkte eines Lieferanten, für die Girrbach eine Abnahmeverpflichtung einging, erwiesen sich als technologisch noch nicht ausgereift. Aber kam der Vertrag nicht auf das ausdrückliche Anraten jenes Sanierungsberaters zustande, den ihm diese Banker aufgezwungen hatten?Immerhin: Aller Probleme zum Trotz war er – bis zu jenem verhängnisvollen Frühsommervormittag – allen Ratenzahlungen überpünktlich nachgekommen. „Die Atmosphäre am Tisch war niederschmetternd“ sagt Girrbach. Gleich nach der Präsentation seines Sanierungskonzeptes setzen ihm die Banker das Messer an. Entweder Girrbach zieht sich zurück und akzeptiert einen von den Bankern nominierten Sanierer oder die Institute stellen die Kredite fällig. Allesamt und per sofort.

Ob von Banken vorgeschlagen oder aus freien Stücken ins Haus geholt: Interimsmanager, eine Art Leiharbeiter für Führungsaufgaben, versprechen die Sanierung, Rekapitalisierung oder Reorganisierung von Unternehmen. So unterschiedlich wie die Aufgaben im Unternehmen sind die Anforderungen: Simples fachliches Know How gepaart mit Führungsstärke und ein hohes Maß an Sensibilität im Umgang mit (zeitweilig) entmachteten Führungskräften sind Grundvoraussetzung für ein Gelingen des Projektes. Was können Unternehmer von solchen Führungskräften auf Zeit erwarten? Drei Erfahrungsberichte mit höchst unterschiedlichem Ausgang. Guter Psychologe? „Ich war verbittert über das Verhalten der Banken“ sagt Karl Girrbach im Rückblick. Und trotzdem springt der gestandene Unternehmer über seinen Schatten – und versucht, zumindest auf die Auswahl des Interimsmanagers Einfluss zu nehmen. „Es war nicht so, dass ich Selbstvertrauen oder Selbstachtung verloren hätte“ sagt Karl Girrbach heute. „Und doch war ich tief verletzt und lähmend demotiviert, entmachtet, passiviert.“ Für Girrbach war klar, dass nur jemand ins Haus kommen durfte, der seine Befindlichkeit verstehen und anerkennen würde. Mit Holger Groß, einem jener Sanierer, den die Banken vorschlagen, scheint es möglich, ein solches Vertrauensverhältnis aufzubauen. Er ist schon per Selbstdefinition deutlich mehr als ein Umsetzer von Konzepten. „Ein guter Interimsmanager ist auch Psychologe“ sagt Groß, Geschäftsführer der Groß Interim Management GmbH. Das bedeutet regelmäßige Gespräche mit allen Familienmitgliedern – auch jenen, die im Unternehmen nicht involviert sind. Immer wieder wird dabei informiert, diskutiert und Zeit gegeben, das angesprochene sacken zu lassen. „Vertrauen gewinnt man nicht dadurch dass man sagt ‚Herr Girrbach, passen Sie mal auf, wir müssen jetzt einen Beirat gründen und Sie werden der Vorsitzende...’“ Der Respekt, den der designierte Interimsmanager vor Girrbachs Lebensleistung zeigte, traf doch den Nerv und sicherte Groß die wichtige Loyalität des „Alten“ im Haus. Also sprang Girrbach über seinen Schatten: Als Geschäftsführer sollte Groß neben Tochter Jutta Girrbach in den kommenden 12 Monaten drei konkrete Ziele erreichen: Das Restrukturierungsprogramm umsetzen und so das Vertrauen zu den Banken im Gläubigerpool wiederherzustellen, die Tochter Girrbachs als Nachfolgerin im Unternehmen aufzubauen. Und: Die Kapitalsituation sollte durch eine Beteiligung gestärkt werden.

„Weder Kapazität noch Erfahrung“. Weder akute Kapitalprobleme, noch mangelndes Gläubigervertrauen trieben Michael Pöcksteiner im Jahre 2002 um, als er vor seinen Bilanzzahlen sitzt. Das Wiener Traditionsunternehmen, dass seit den 30er Jahren Elektronikrohre herstellt, ist zuletzt stark gewachsen. In den Jahren nach der Ost-Öffnung und dem EU-Beitritt konnte man bei Dietzel vor Kraft kaum gehen. Doch der Zusammenbruch der Baubranche nach den Boomjahren resultierte – erstmals seit Jahrzehnten – in roten Zahlen und machte erstmals die strukturellen Probleme des 50-Millionen-Euro-Familienunternehmens sichtbar: Die Managementstruktur ist im vergangenen Jahrzehnt nicht entsprechend mitgewachsen.Der Vater zweier Kinder zögerte nicht lange und verpflichtet mit Rainer Lichtenberger einen erfahrenen Controller, den er im Zuge eines Beratungsprojekt vor einigen Jahren kennengelernt hatte. „Ich erstellte ein Budget, doch schon nach wenigen Wochen war klar, dass wir fernab von unseren Plänen lagen“ sagt Lichtenberger. „Ich stand vor einem Problem“ sagt Pöcksteiner. „Wir hatten im Haus weder Kapazität noch Erfahrung, um mit einer großen Reorganisation, wie sie zweifelsfrei notwendig sein würde, umzugehen.“ Eine mutige Einsicht für den damals gerade 43jährigen promovierten Betriebswirten. „Beauty Contest“. In einer Art „Beauty Contest“ liess Pöcksteiner daraufhin Restrukturierungsmanager präsentieren. Wichtigste Kriterien bei der Auswahl: Die persönliche Chemie – immerhin muss der mit Generalvollmacht ausgestattete Sanierer eng mit dem Eigentümer Pöcksteiner und dem internen Restrukturierungsteam unter Lichtenberger zusammenarbeiten. Und natürlich ein guter Draht zu kreditgegebenden Banken – denn der Leiharbeiter sollte dem Unternehmen in den kommenden Monaten den Rücken bei den Banken freihalten. Für Marcello Nicoloso, späterer Gründer der Remanagement GesmbH, beginnt kurz darauf die Arbeit: Intensiven Gesprächen mit dem Lagerarbeiter bis hin zum Prokuristen folgen detaillierte Analysen. „Das Konzept zu schreiben ist dabei der geringste Aufwand. Die Umsetzung ist weitaus schwieriger“ sagt Nicoloso. Der Mann mit dem italienisch klingenden Namen, den deutschen Wurzeln und dem Wiener Akzent weiss, dass er sich nicht allzu viel Zeit lassen darf. Denn nach der ersten Unruhe und Unsicherheit in der Kernphase des Projektes – drei bis vier Monate – müssen rasch Perspektiven und Lösungen folgen. Heckenschützen identifizieren. Also geht es vorerst daran, das erste Momentum zu nutzen, Heckenschützen zu identifizieren, Seilschaften, die es sich im Schutz der alten Ordnung bequem gemacht haben, zu orten und diese vom neuen Konzept zu überzeugen. „In dieser Situation ist es auch Aufgabe des Interimsmanagers, den geschäftsführenden Gesellschafter aus der Schusslinie zu bringen“ sagt Holger Groß, Sanierer bei Girrbach. „Letztendlich sind gute Interimsmanager auch Schutzschilder gegenüber Banken und Mitarbeitern.“ Für Nicoloso bedeutet das auch den „Bad Cop“zu geben. Wir haben klar kommuniziert: „Wer unser Konzept mittragen will, ist herzlich willkommen – wer nicht, kann gehen.“ Bei der Präsentation der Etappenerfolge hält sich Nicoloso dann allerdings zurück. „Jene Manager, die zukünftig eine wichtige Rolle im Unternehmen spielen sollen, müssen Positives kommunizeren“ sagt Nicoloso. So stellt also Michael Pöcksteiner der in der monatlichen Betriebsversammlung erfolgreich erreichte Etappenziele vor.

Keine Öffentlichkeit.Gegenüber Dritten, außerhalb des Hauses tritt Nicoloso als Mitarbeiter auf – etwa wenn er Vertriebsmitarbeiter auf Dienstreisen begleitet. „Bei Dietzel Univolt hatte ich etwa Visitkarten ohne genaue Tätigkeitsbezeichnung“ sagt Nicoloso. Im Unternehmen selbst tritt er üblicherweise mit einer Generalhandlungsvollmacht auf, um nicht im Firmenbuch öffentlich aufzuscheinen. „Das hat auch etwas mit der Aussenwirkung zu tun“ sagt Nicoloso. „Unternehmen im Sanierungsprozess haben kein Interesse an Öffentlichkeit.“ Das wirkt sich natürlich auch auf die Haftung aus: Die umfassende Geschäftsführerhaftung wie sie für Organe eines Unternehmens bestehen, kennen Interimsmanager mit Beratervertrag natürlich nicht. Üblich ist daher eine diesbezügliche Vereinbarung im Interimsmanagementvertrag, genauso wie eine Geheimhaltungsvereinbarung. Denn die Manager auf Zeit unterliegen keinem generellen Wettbewerbs- oder Nebentätigkeitsverbot. „Abhängig von der Situation im Management kann es aber auch vorkommen, dass ich die die Geschäftsführung für eine definierte Zeitspanne übernehme“ sagt Nicoloso, womit sich die Frage gesonderte Vereinbarungen nicht stellt.Marketing umgedreht. Doch nicht für alle Interimsmanager macht solch ein Nebentätigkeitsverbot Sinn. Etwa für Ursula Stapelfeldt.. Die Betriebswirtin ist Marketingchefin des oberösterreichischen Automobilhändlers Auto Günther GesmbH – auf Basis eines 80-Monatsstundenvertages. Die Interimsmanagerin ist vor 9 Jahren zum Automobilhändler gekommen. „Wir hatten damals das Problem, Professionalität im Marketingbereich zu vernünftigen Kosten zu bekommen“ sagt Christoph Günter, seit 2003 Geschäftsführer und Eigentümer des 1939 gegründeten Autohauses. Vollzeitbeschäftigte Marketingfachleute waren mit den Aufgaben im Unternehmen unterbeschäftigt – und wirkliche Experten daher unleistbar. Bei einem Verkaufsseminar hat Günther dann die dynamische Endvierzigerin Stapelfeldt kennengelernt. Nach einigen Vorgesprächen entstand die Idee, die Dienste der Kommunikationsexpertin freiberuflich und auf Basis eines Monatsstundenvertrages in Anspruch zu nehmen. Die Beraterin, damals wie heute für das oberösterreichische Consultingunternehmen Beyrer tätig, sagte zu. Seither ist Stapelfeldt einmal pro Woche vor Ort in Linz, täglich im Kontakt mit der Assistentin in der Zentrale und über gesicherte Leitung von daheim aus mehrmals täglich mit dem Unternehmen verbunden. Dabei hat sie das Marketing des Autohauses gründlich generalsaniert: Statt Werbung in Massenmedien wird jetzt fein gesponnenes Direktmarketing betrieben. Die bislang vernachlässigten Rückerstattungen der Automobilhersteller an den Autohersteller werden jetzt erstmals optimal genutzt. „Wir haben das wirklich deutlich am Ergebnis bemerkt“ sagt Christoph Günther. Und doch sollen die Dienste von Ursula Stapelfeldt kein Dauerzustand bleiben. „Das strategische Ziel ist es, die Marketingassistentin vor Ort so aufzubauen, dass wir unseren Vertrag vorerst auf 40 Monatsstunden reduzieren“ sagt die Mutter von zwei Kindern. „Zukünftig, so ist der Plan, soll ich ausschliesslich strategische Dinge erledigen. Auf mich warten genügend andere spannende Aufgaben“ sagt Stapelfeldt.

Kosten. Die Kosten halten sich dabei für Christoph Günther in sehr überschaubarem Rahmen. Mit einem Pauschalbetrag von unter 50.000 Euro jährlich schlagen die vier monatlichen Tage im Betrieb, der tägliche Kontakt und das Coaching über Mail und Telefon zu Buche. Das ist natürlich deutlich weniger als Sanierungsmanager (mit 12-Stunden-Arbeitstagen) für ihre Tätigkeit nehmen. Die Tagsätze von Interimsmanagern liegen, wie eine Studie des Arbeitskreises für Interim Management Provider (AIMP) errechnete, um rund zehn bis 50 Prozent über jenen eines fest angestellten Managers (Details siehe Kasten). „Die Kosten für einen Interimsmanager sind vergleichbar mit der eines Geschäftsführers im mittelständischen Unternehmensumfeld, wenn man Gehalt mit Nebenkosten und Fringe Benefits rechnet“ sagt Marcello Nicoloso.Verblüffendes Ergebnis.Ein Betrag, der sich für viele Auftraggeber wohl gelohnt hat. Mit Niederlassungen in Deutschland, Grossbritannien, China, Kanada, Ungarn und der Slowakei wurde aus dem österreichischen Platzhirschen Dietzel ein international aufgestellter Konzern. Und auch Karl Girrbach hat seinen Frieden gefunden. Nach der Fusion mit einem seiner Kernzulieferer, der Amann Dental GesmbH konnte der Endsechziger seinen Töchtern Werte übergeben, die möglicherweise höher sind, als das Unternehmen, das er zuletzt geführt hat. Tochter Jutta Girrbach, eine der drei Geschäftsführer der Amann Girrbach AG ist heute mitverantwortlich für ein Ergebnis, das verblüfft: Mit einem Bilanzgewinn von 3,4 Millionen Euro nach Steuern und Rücklagen dürfte das vorarlberger Unternehmen bei einem Umsatz von unter 30 Millionen Euro wohl zu den profitabelsten des Landes zählen.

Beratungsvertrag, nicht Arbeitsvertrag!Auch wenn Interimsmanager weitaus mehr als Berater sind, darf der Vertrag keine arbeitsvertraglichen Elemente enthalten. Fixe Arbeitszeit- Entgeltfortzahlungs- oder Urlaubsregeln oder Kündigungsregeln sind tabu, weil sonst die Gefahr besteht, dass ein festes Beschäftigungsverhältnis eingeklagt wird. Organstellung oder Generalvollmacht?Per Eintragung ins Firmenbuch zum Organ der Gesellschaft gemacht haften Interimsmanager wie Organe der Gesellschaft – ein Vorteil für das Unternehmen. Allerdings entsteht damit eine – oft nicht gewünschte – Öffentlichkeit. Alternativ können Interimsmanager (mit entsprechender vertraglicher Haftungsvereinbarung) auch über Generalvollmacht im Unternehmen werken.Soziale Kompetenzen und guter Ruf bei den Banken!Das wohl wichtigste Asset eines Interimsmanagers ist seine Reputation in den Kreditabteilungen der Hand voll heimischen Banken. Ein guter Interimsmanager ist allerdings immer auch Psychologe im Umgang mit entmachteten Managern. Trauen Sie dem Kandidaten zu, gnadenlos Heckenschützen zu identifizieren und Seilschaften im Unternehmen zu sprengen?Wettbewerbsverbote und Geheimhaltung vereinbaren!Interimsmanager unterliegen keinem Wettbewerbs- oder Nebentätigkeitsverbot. Eine präzise fomulierte und auf das Projekt bezogene Geheimhaltungsvereinbarung (und die vereinbarung einer eventuellen Vertragsstrafe) sind empfehlenswert. Teurer als Geschäftsführer?Für Interimsmanager werden Honorare bezahlt, sämtliche Lohnnebenkosten und Sonderleistungen entfallen. Eine Branchenstudie ergab, dass Interimsmanager in Positionen für die jährliche Angestelltengehälter von 125.000 Euro bezahlt werden, bis zu 50 Prozent höher auschlagen. Bei Positionen mit Jahresgehältern um die 250.000 Euro beträgt der Aufschlag nur noch 10 Prozent. Erfolgsabhängige Honorarbestandteile sind durchaus üblich – eine Endabrechnung erfolgt hier manchmal erst ein Jahr nach Beendigung der Tätigkeit. VertragsdauerDiese sollte im Voraus klar kommuniziert werden, üblich ist ein Jahr, mit Verlängerungsoption. Eine vereinbarte Kündigungsfrist des Vertrages muss lang genug sein, um dem Unternehmen auch in kritischen Situationen Planungssicherheit zu geben – und kurz genug um die Kosten klein zu halten.