Hintergrund : Kraftwerke in Ägypten: Kein einfaches Großprojekt für Siemens

Die Siemens AG baut mit ägyptischen Konzernen, Orascom bzw. Elsewedy, in der Wüste bei Kairo, am Mittelmeer und am Nil die größten Kombi-Gas-Dampfkraftwerke weltweit.

Die Kraftwerke sollen 14,4 GW leisten und Strom für 45 Millionen Menschen liefern, das entspricht der Hälfte der Bevölkerung Ägyptens. Wie berichtet ist Siemens Österreich maßgeblich an dem Auftrag beteiligt: Steirische Transformatoren stabilisieren die Stromnetze am Nil >>

Für Siemens ist es mit acht Milliarden Euro der größte Auftrag bisher - mit etlichen Herausforderungen. Hier ein Hintergrundbericht.

Ägypten hat rund 90 Millionen Einwohner, ein Wirtschaftswachstum von 4 bis 4,5 Prozent 2017/2018 und einen stetig steigenden Energiebedarf, zuletzt von rund vier Prozent pro Jahr. Deshalb tut Geschwindigkeit bei der Errichtung der drei Anlagen not: Begonnen wurde im Frühjahr 2016, alle geplanten 14,4 GW sollen im Mai 2018 am Netz sein.

Ein Hafen wird extra ausgebaut

Der Bau trifft auf etliche große Schwierigkeiten: Zwar können die aus Europa und Asien gelieferten Teil und der Baustellenstahl in Alexandria und Port Said angeliefert und dann per Schwertransport weitertransportiert werden. Aber manches muss direkt auf die Baustelle, weshalb ein kleiner Fischerhafen bei Burullus östlich von Alexandria ausgebaut wurde. Zudem musste das im sumpfigen Gelände beim Burullus-See an der Küste befindliche Gelände erst mit Betonstelzen im Ausmaß dutzender Kilometer Gesamtlänge stabilisiert werden.

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Laut einem deutschen Ingenieur bringen die Standorte unterschiedliche Anforderungen: Am Mittelmeer müssen die Kraftwerke gegen Rost, in der Wüste gegen Sand geschützt werden. Auf der Baustelle "New Capital" südöstlich von Kairo schützen große Sandfilter die Generatoren. Der zurückgehaltene Sand wird mittels Förderschnecken wieder in die Wüste gebracht.

Die Generatoren - hergestellt in Berlin und Mülheim - sind auf zumindest 25 Jahre Lebensdauer ausgelegt, die 24 Transformatoren aus dem Siemens-Werk im oststeirischen Weiz auf 40 bis 50 Jahre.

Knochenarbeit auf Baustellen - während des Ramadan

Obwohl zwei Monate vor dem Zeitplan, stellt der beginnende islamische Fastenmonat Ramadan 27. Mai bis 24. Juni - spezielle Anforderungen an das Baustellen-Management. Auf jeder der drei Baustellen arbeiten im Schnitt 6.000 bis 8.000 Beschäftigte.

Die Knochenarbeit auf den Baustellen in der Wüste bei Temperaturen über 30 Grad Celsius im Schatten verlangt nach ständiger Wasseraufnahme des Körpers, was für muslimische ägyptische Arbeiter aber nicht infrage kommt. Die Arbeit wird daher in die Nacht verlegt, wenngleich es zu Rückgängen in der Produktivität kommt. Als Überbrückung werden u.a. indische Arbeiter engagiert, was aber die auf Jobschaffung für die Bevölkerung bedachte ägyptische Regierung naturgemäß nicht gern sieht.

Viel Stolz bei ägyptischen Firmen

Bei den ägyptischen Unternehmen herrscht dennoch ziemlich viel Stolz über die kurze Errichtungsdauer ab den Vertragsunterzeichnungen Ende 2015. Man weiß, dass man damit weltweit Benchmark-Status hat. "Noch dazu, da drei große Kraftwerksbaustellen gleichzeitig im Gange sind", so Osama Beshay, CEO der Orascom Construction. "2015 war an allen drei Baustellen nichts als Wüste, das wird anders dank den Konsortien aus Siemens, Orascom und Elsewedy", sagte Emad Ghaly, Vorstand von Siemens Ägypten, das alleine rund 1.000 Menschen beschäftigt.

Siemens schult hunderte ägyptische Techniker für den Betrieb der Kraftwerke

Ghaly zufolge sind die Kraftwerksprojekte dringend benötigte Jobmotoren, vor allem in strukturschwachen Gebieten wie im mittleren Niltal. "Der Standort Beni Suef wurde ausgewählt, um die Region zu entwickeln", sagte dazu Ahmed El Sewedy von Elsewedy Electric bei einem Baustellenbesuch. Einerseits profitiert die Bauwirtschaft und fast 800 lokale Zulieferer. Andererseits soll die Hochtechnologie soll auch für einheimische Techniker einen Qualifizierungsschub ermöglichen. Über eine von Ägypten betrieben Akademie werden Mechatroniker und Industrieautomations-Fachleute ausgebildet.

Siemens schult 600 Ägypter in Deutschland als Techniker für den Betrieb der drei Kraftwerke. Diese sollen wiederum ihr Wissen dann weitergeben können. In Beni Suef entsteht auch ein Technik-Trainingszentrum.

Kraftwerk mit 61,3-Prozent-Wirkungsgrad

Das kombinierte Gas-Dampf-Kraftwerk von New Capital wiederum gilt - noch nicht fertig - mit seinen 61,3-Prozent-Wirkungsgrad schon jetzt als Referenzprojekt: "Wir hatten bereits mehrere Besuche und Anfragen, u.a. aus Saudi-Arabien. Die am meisten gestellte Frage ist, wie geht das in so kurzer Zeit bei diesen Kosten", so Orascom-CEO Beshay auf eine APA-Frage.

Orascom ist einer größten Baukonzerne im Nahen Osten und operiert in 23 Ländern. 2016 verzeichnete die Firma einen Umsatz von 5,35 Mrd. US-Dollar (4,77 Mrd. Euro) und rund 72.000 Mitarbeiter, die Hälfte davon im Nilland selbst. Der Konzern ist am Bau von 40 Prozent der ägyptischen Kraftwerkskapazität beteiligt. Auch am Bau der U- Bahn von Kairo und am Bau des Grand Egyptian Museum, das in Gizeh entstehen soll. (APA/red)

Mit Ägyptens Erdgasfeldern und einem - zu kleineren Teilen - Ausbau der Windkraft sowie etwas Photovoltaik strebt das Nilland in den nächsten Jahren weitgehende Energieautonomie an. Dies soll zumindest für die Stromversorgung der 90 Mio. Ägypter gelten. Ein großer Schritt dabei ist der Bau von drei großen Gas-Dampfkraftwerken durch ein deutsch-ägyptisches Konsortium mit Siemens als Technik-Leader.

Die kombinierten Gas-Dampfkraftwerke in Burullus am Mittelmeer, in der Wüste südöstlich von Kairo sowie in Beni Suef am Nil sollen im Endausbau eine Leistung von 14,4 GW liefern. Im Mai 2018 sollten alle Blöcke am Netz sein - die Bauzeit betrug dann knapp weniger als zwei Jahre. Damit sollten nicht nur Spitzen im Stromverbrauch vor allem in den Sommermonaten abgedeckt werden, sondern auch eine Überproduktion möglich sein, hieß es Ende Mai bei der Präsentation der Baufortschritte vor internationalen Journalisten.

Windkraft wird ausgebaut

Stromgewinnung durch Windkraft steckt in Ägypten allerdings noch in der Anfangsphase. Die Rede ist von vorerst rund 2.000 MW Leistung. Die Behörde für Erneuerbare Energien hat den Weg legistisch und in der Finanzierung bereitet, Siemens errichtet die Anlagen, einen genauen Zeithorizont zur Fertigstellung konnte man jedoch noch nicht geben. Auch soll der nationale Stromverteiler Egyptian Electricity Transmission Company (EETC) noch nicht so weit sein - und es soll sich bei den Tarifen zur Einspeisung ins Stromnetz spießen.

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Dem Verteilnetz wird entscheidende Bedeutung bei der Nutzung neuer Energien zukommen. Ahmed El Sewedy, Vorstand der Elsewedy Electric Company, die mit Siemens im Konsortium das 4,8 GW-Gaskraftwerk in Beni Suef errichtet: "Eine der ersten Fragen von Investoren ist eine nach Energiesicherheit". Deshalb muss auch das Verteilnetz ausgebaut werden.

Dazu tragen 24 Großtrafos bei den drei neuen Kraftwerken und mindestens so viele Verteiltransformatoren von Siemens Weiz bei. Das Verteilnetz soll bis 2025 in mehreren Stufen ausgedehnt werden. Mehr dazu hier: Steirische Transformatoren stabilisieren die Stromnetze am Nil >>

Laut der englischsprachigen Fachzeitschrift "Windpower" will Ägypten in den kommenden Jahren ambitionierte 7,2 GW aus Windkraft am Netz haben. Bisher haben Japan, Spanien, Dänemark und Deutschland die Windenergiegewinnung im Nilland vorangetrieben. Jetzt ist vor allem Siemens mit dem Windkraft-Anteil im "Megaprojekt" engagiert. Dieses soll Strom im Ausmaß von 14,4 GW produzieren, plus eben 2 GW aus Windkraft.

Windkraft: Sieben Gigawatt als Ziel

Am "Megaprojekt" dran hängen die geplanten 12 Windparks mit rund 600 Windturbinen in Ras Ghareb am Golf von Suez sowie im oberen Niltal bei El Minja. Eine eigene Rotorblattfabrik soll im Raum Ain Soukhna am Golf von Suez an der Nationalstraße 65 von Kairo nach Hurghada entstehen, was ägyptische Wertschöpfung - und dringend benötigte Jobs - generieren soll.

Beim Erdgas hat Ägypten weitgehend Unabhängigkeit von Importen erreicht. Ägypten förderte 2011 rund 62 Mrd. Kubikmeter Erdgas vor allem im Mittelmeer, hat Reserven von 2.185 Mrd. Kubikmetern plus eventuellen weiteren noch nicht genau explorierten Gasfeldern, wie es 2011 in einer Studie der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hieß. Nach Ansicht von Experten aus der ägyptischen Energiebranche dürften die Reserven für bis zu 50 Jahre bei durchschnittlich steigendem Verbrauch reichen. 2010 verbrauchte Ägypten rund 45 Mrd. Kubikmeter Erdgas. Rund 15,2 Mrd. Kubikmeter wurden exportiert.

Angestrebt wird ein anderer Energiemix bis zumindest 2020: Derzeit werden noch rund 90 Prozent des ägyptischen Bedarfs zur Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen gedeckt, nur zehn Prozent aus Wasserkraft und erneuerbaren Energien. Dieser Anteil soll bis 2015 auf 25 Prozent steigen. Die neuen Gaskraftwerke ermöglichen weiters das Stilllegen einiger kleinerer und älterer, nun unrentabler Anlagen, die mit Schweröl betrieben wurden. Bis 2024 sollen laut Sherif Kotb, dem Vizedirektor des Siemens-Megaprojekts, alle Schweröl-Kraftwerke Ägyptens vom Netz sein.

Im Wüstenland spielt PV kaum eine Rolle

Photovoltaik spielt noch keine so große Rolle in Ägypten, auch wenn z. B. die Mobilfunkmasten im Lande schon weitgehend mit Solar-Paneelen ausgestattet sind. Jedenfalls sind für die nächsten Jahre auch rund 2.000 MW Stromaufbringung aus Photovoltaikanlagen - auf kleinen Häusern und anderen Objekten angebracht - angestrebt, so der mit Siemens in einem Kraftwerksbau-Konsortium vereinte Orascom-Chef Osama Beshay. Der Durchschnittsverbrauch einer ägyptischen Familie mit fünf Personen bei Strom beträgt übrigens rund 10.000 kWh jährlich. (APA/red)