Woltron : Klaus Woltron: "Gordischer Knoten"

Klaus Woltron
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Man schreibt das Jahr 1966. Bruno Kreisky wird noch ein paar Jahre auf seinen Einzug ins Bundeskanzleramt warten müssen. Josef Taus übernimmt die Leitung der neu gegründeten ÖIG und sieht sich mit der ersten großen Rezession nach den Aufbaujahren konfrontiert. Die in Staatsbesitz befindliche, in viele einander unfreundlich gegenüberstehende Gesellschaften in zahlreichen Standorten zersplitterte Stahlindustrie schreibt Verluste und hat, nach Auffassung der amerikanischen Gutachter von Booz, Allen und Hamilton und zweier Leobener Koryphäen, eine viel zu hohe Kapazität – sowie um 10.000 Mitarbeiter zu viel. Was darauf folgt, kennen wir alle: Ein fast zwanzig Jahre andauernder innenpolitischer Veitstanz, der vielen Managern Kopf, Kragen, teilweise auch das Leben, der Regierung Sinowatz den Fortbestand und allen Vorständen der ÖIAG und VÖEST Alpine die Posten kostet. Folgend dem ehernen ökonomischen Gesetz, dass (fast) alles immer größer wird, stellt sich die weitgehend integrierte österreichische Massenstahlindustrie heute im internationalen Vergleich als mittlere Greißlerei dar. Die Diskussion ist auf die europäische Ebene gewandert: Wie kann man Kapazitäten in einer harmonisierten und kostenschonenden Form herunterfahren? Den Ersten beißen dabei meist die Hunde. Bei keiner anderen Industrie gelten die Economies of Scale so unbarmherzig wie beim Stahlkochen. Wenn auch qualitative Vorteile immer stärker ins Gewicht fallen: Die Größe und Auslastung von Hochöfen, Konvertern und Walzwerken ist der profitbestimmende Faktor schlechthin. Je höher die Produktion, desto niedriger die Stückkosten. Der Erste, der diesen Vorteil reduziert, manövriert sich in eine Todesspirale, wenn die anderen nicht mitziehen: Das klassische Beispiel einer selbsthemmenden Mikado-Situation. Nicht einmal Bruno, der Sonnenkönig, schaffte es – als Alleineigentümer-Vertreter –, den gordischen Knoten „geordnetes Schrumpfen“ zu durchschlagen. Woher die Hoffnung kommt, dass ein viel komplexeres Problem geordnet gelöst werden kann (unterschiedliche Staaten, Firmen mit differenter Eigentümerstruktur etc.), ist angesichts einer europäischen Administration, die sich mit Gurkenkrümmung und Gender-Mätzchen befasst und das Euro-Desaster in Ermangelung eigener Lösungskapazität jenen überlässt, die es verursacht haben, bleibt im Dunkel.