Interview : IV-Chefökonom Helmenstein: "Das Jahr 2020 war außergewöhnlich"

corona crash stock market collapse economy crisis coronavirus graph virus finance down arrow financial loss recession business diagram investment depression chart exchange downturn concept risk global forecast fall share price stockmarket bankruptcy danger illustration graphic china falling plunge slump covid-19 sars-cov-2 chalk board drawing chalkboard blackboard corona-crash corona crash stock market collapse economy crisis coronavirus graph virus finance down arrow financial loss recession business diagram investment depression chart exchange downturn concept risk global forecast fall share price stockmarket bankruptcy danger illustration graphic china falling plunge slump covid-19 sars-cov-2 chalk board drawing chalkboard blackboard corona-crash
© putilov_denis - stock.adobe.com

Es war ein Jahr wie kein anderes - 2020 kam es durch die COVID-19-Pandemie es zu einer atypischen Konjunkturkrise, denn die üblicherweise stabilen Dienstleistungssektoren waren durch die Lockdownmaßnahmen stärker betroffen, als Bauwirtschaft und Industrie. Obwohl die Wirtschaftskrise im Jahr 2009 die Industrie nachhaltiger beeinflusst hat, sind die Entwicklungen im vergangenen Jahr nicht zu unterschätzen. Ein geringer Vorteil der Coronakrise war, dass der Erholungsprozess, nach dem tiefen Einbruch in Frühjahr 2020, bereits im Sommer wieder starten konnte.

Obwohl die aktuellen Zahlen besser sind, als noch im Frühjahr 2020 befürchtet, war der Produktionsrückgang in Österreich mit rund 7,2% erheblich. Dass der völlige Einbruch der Industrie ausgeblieben ist, ist auf eine geringere Betroffenheit der globalen Industriekonjunktur zurückzuführen.

Im Rahmen des jährlichen INDUSTRIEMAGAZIN-Rankings der Top 250 Industrieunternehmen Österreichs konnte ein Umsatzminus von 9,2% ermittelt werden. Somit ist der Umsatz dieser Unternehmen von 200,8 Mrd. (2019) auf 182,2 Mrd. (2020) gesunken. Auch im Vergleich zum Jahr 2018 und einem Umsatz von 194,1 Mrd. Euro gab es einen Verlust von 6,1%.

Trotz des starken Rückgangs können die Top 250 Industrieunternehmen global gesehen mehr Mitarbeiter verzeichnen und stockten von 734.555 (2019) auf 760.084 (2020) auf.

Im INDUSTRIEMAGAZIN-Interview gibt Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, einen Einblick in das turbulente vergangene Jahr und einen Ausblick in die industrielle Zukunft:

Was bedeuten Produktionsrückgang und Umsatzverlust tatsächlich für die österreichische Industrie?

Christian Helmenstein Das Jahr 2020 war außergewöhnlich. Die COVID-19-Gesundheitskrise ist trotz umfangreicher Stabilisierungsmaßnahmen zu einer ernsten Wirtschaftskrise geworden. Der in Österreich entstandene wirtschaftliche Schaden in Form verlorener Wertschöpfung liegt bei 32,5 Mrd. Euro. Anders als bei früheren großen Wirtschaftskrisen ist dieses Mal aber nicht die österreichische Industrie, aufgrund ihrer hohen internationalen Verflechtung, am meisten betroffen. Teile des Dienstleistungssektors wie die Luftverkehrswirtschaft, der stationäre Einzelhandel oder die Kultur- und Sportveranstalter leiden – relativ gesehen – weitaus stärker unter der Pandemie.

Welche Branchen sind besonders betroffen - welche haben einen Aufschwung erlebt?

Helmenstein Die österreichische Industrie hat bereits im März das Vor-Krisen-Produktionsniveau deutlich überschritten. Dabei operierten Chemie und Automobilzulieferer weit oberhalb des Vor-Krisen-Niveaus, während der Maschinenbau unter anderem aufgrund der Investitionsprämie kräftig aufholte.

Welche Probleme waren im vergangenen Jahr vorrangig?

Helmenstein Zu den gravierenden Risiken und Herausforderungen zählten – vor allem in den ersten Monaten der Pandemie – die Belastbarkeit internationaler Lieferketten. Weitere massive Herausforderung für die stark exportorientierte Industrie war die erschwerte bzw. teilweise unmögliche Erreichbarkeit von Nah- und Fernmärkten. Weitere Herausforderung - als Folge der globalen Hochkonjunktur – ist die schwierigere Verfügbarkeit wichtiger Rohstoffe, mit der viele Betriebe derzeit konfrontiert sind.

Welche regionalen Standorte waren besonders betroffen?

Helmenstein Eine flächendeckende Analyse für sämtliche 2.095 Städte und Gemeinden des Economica Instituts vom vergangenen Jahr hat gezeigt, wo die Corona-Krise besonders eingeschlagen hat. Deutlich sichtbar wurde ein West-Ost-Gefälle in Österreich. So erfuhren die westlichen Bundesländer weitaus größere COVID-19-bedingte Einbußen als die östlichen Bundesländer. Zurückzuführen ist die unterschiedliche Betroffenheit auf die sektorale Struktur: Zwar leistet die Industrie auch in Tirol und Vorarlberg einen höheren Wertschöp­fungsbeitrag zur regionalen Wirtschaftsleistung als die Tourismuswirtschaft, doch schlugen hier die Lockdowns anteilsmäßig stärker durch. Umgekehrt verzeichneten jene Teile Österreichs prozentuell geringere Schäden, die durch eine technologie- und wissensintensive Wertschöpfung geprägt sind.

Die Industrie gilt nun als Konjunkturmotor – trotz Fachkräftemangel?

Helmenstein Der Fachkräftemangel bleibt ein Thema, das uns aufgrund des technologischen und demografischen Wandels noch länger begleiten wird – und das sich durchaus als Wachstumsbremse erweisen kann. Hier müssen wir gegensteuern und auf verstärkt auf Qualifizierung setzen. Besonders bemerkenswert ist, dass wir heute dennoch um 15% mehr Beschäftigte in der Industrie als 2010 haben – trotz COVID-19-Krise.

Welche Prognose für das kommende Jahr können Sie abgeben?

Helmenstein Wir erwarten derzeit ein BIP-Wachstum in Höhe von rund 3½ % für 2021. Es bleiben Unsicherheiten wie etwa die Auswirkungen der derzeit viel diskutierten „Delta-Variante“ des Corona-Virus‘. Der globale Aufschwung hat längst voll eingesetzt, die anziehende Konjunktur hat die Preise wichtiger Industrierohstoffe auf ein Hochkonjunkturniveau getrieben. Das hat auch einen vorübergehenden Effekt auf die Inflationsrate. Angebots- und Nachfrageschocks treffen aufeinander, nicht nur bei den Rohstoffen. Wir haben etwa eine Reihe unfreiwilliger Marktaustritte oder unterbliebene Produktivitätsfortschritte auf der einen sowie negativzinsbedingte Immobilienpreisanstiege oder eben die Rohstoffpreise auf der anderen Seite. Das zusammen treibt die Inflation.

Ausgewählte Unternehmensportraits der Top 250 Industrieunternehmen finden Sie hier und auch in der aktuellen Ausgabe des INDUSTRIEMAGAZINS wird die Industriekonjunktur des vergangenen Jahres genauer besprochen.

Mehr zu den INDUSTRIEMAGAZIN-Rankings:

>> Top 250 Industrieunternehmen

>> Österreichs 1000 wichtigste Manager