Standortkritik : Infineon-Chef kritisiert heimische Bildungs- und Ausländerpolitik

Nehme die Ausländerfeindlichkeit zu, würde dies auch den Standort gefährden, so Ploss. "Dann muss ich mir überlegen, ob ich nicht wo anders hingehe, wo ich leichter Mitarbeiter finde", gab er zu bedenken. Infineon investiert gerade 300 Mio. Euro in den Ausbau des Standortes Villach, 150 neue Jobs wurden schon geschaffen, 50 sollen noch folgen. Die Hälfte der neuen Arbeitsplätze entfiel auf Österreicher. Das deutsche Unternehmen hat Standorte in Villach, Klagenfurt, Graz, Linz und Wien und beschäftigt hierzulande rund 3.300 Mitarbeiter, 100 weitere werden gerade mit Hochdruck gesucht.

Integration am besten über Jobs

Infineon Österreich-Chefin Sabine Herlitschka erinnerte daran, dass es auch unter den Flüchtlingen hervorragend qualifizierte Mitarbeiter gibt und die Integration am besten über einen Job funktioniert. Es sei ohnehin so, dass es Österreich erheblich an qualifizierten Fachkräften im Technikbereich fehlt. Hier hofft Herlitschka auf ein Regierungskonzept im Herbst.

Ein Blick in die Statistik der TU Wien zeigt jedenfalls, dass Elektro- und Maschinentechniker dünn gesät sind. Im Wintersemester 2013/14 gab es 2.578 Studenten der Elektrotechnik, beim Maschinenbau waren es 2.022. Das sind nicht einmal gemeinsam so viele Studenten wie im Studienbereich Architektur. Und auch bei den Studienanfängern ist das Bild nicht anders: 1.125 Maturanten haben mit Architektur begonnen, aber nur 440 mit Elektrotechnik und 400 mit Maschinenbau.

Flexibilität wichtig

Zur laufenden Arbeitszeit-Diskussion meinte Herlitschka, dass flexiblere Arbeitszeiten im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wären. Es müssten dafür aber auch die Rahmenbedingungen passen, wie etwa eine ganztägige Kinderbetreuung. Bei Infineon Villach gibt es dies bereits. "Man muss auch den Eltern Flexibilität geben", so Herlitschka.

Infineon praktiziert bereits die Freizeitoption, die der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie in den Kollektivvertragsverhandlungen mit den Gewerkschaften vereinbart hat. Freizeitoption bedeutet, dass die Arbeitnehmer - Voraussetzung ist eine Betriebsvereinbarung - auf die jährliche Gehaltserhöhung im Rahmen der Kollektivertragsverhandlungen verzichten und damit mehr Freizeit bekommen. Zur Überraschung der Sozialpartner wurde das Programm nicht nur von älteren Mitarbeitern gerne genutzt, auch Jüngere schätzten die geringere Arbeitszeit.

Die Gewerkschaften wollen das Thema auch bei der Herbstlohnrunde mit den Metallern wieder aufs Tapet bringen. Bisher hat sich der größte der sechs Verbände, die Maschinen- und Metallwarenindustrie, gegen diese Lösung gestemmt. Er fordert vielmehr flexiblere Arbeitszeiten, diese Gespräche stocken aber seit Jahren. Die Gewerkschaften fürchten, dass unter dem "Deckmantel" der Flexibilisierung Überstundenzuschläge wegfallen könnten.

Branche unter gewaltigem Konsolidierungsdruck

Was die eigene wirtschaftlichen Situation betrifft, ist der Infineon-Chef optimistisch. Zwar stehe die Branche grundsätzlich unter enormen Konsolidierungsdruck. Infineon habe sich aber gut gehalten und sei zuletzt um acht Prozent gewachsen - und somit um das Doppelte des Marktes. Die Übernahme des US-Mitbewerbers International Rectifier 2014 hat den Standort Villach gestärkt, betonte Ploss. Durch den Zukauf sei der Münchner Chiphersteller die Nummer 1 bei Halbleitern für das Strommanagement, "und diese Führungsposition ist sehr essenziell". Großes Potenzial sieht er dafür im autonomen Fahren, hier sei wiederum der Infineon-Standort Linz mit seinen Chips für radarbasierende Abstandswarnsysteme dick im Geschäft. Der größte Markt dafür sei die USA, weil hier die Beschäftigten sehr lange Strecken auf Autobahnen zurücklegen, wofür dieses System bestens geeignet wäre.

Industrie 4.0

Ein weiteres wichtiges Thema sei das Energiesparen, auch hier sei Österreich ein wichtiger Forschungsstandort. "Die Serverfarmen in den USA verbrauchen so viel Energie wie ganz Spanien", so Ploss zum Potenzial.

Bei dem großen Zukunftsthema, der Industrie 4.0 (das "Internet der Dinge", die "intelligente Fabrik"), sei Infineon führend, nicht zuletzt wegen der Standorte in Graz und Villach. Ploss lobte hier die Initiativen der österreichischen Industrie, die derzeit gerade an einer "Industrie-4.0-Plattform" arbeitet, angeführt von der Elektro- und Elektronikindustrie. Mitte Mai hat Infrastrukturminister Alois Stöger eine mit 18 Millionen Euro dotierte Ausschreibung aus dem Programm "Produktion der Zukunft" für die Industrie 4.0 gestartet.

Wie groß die internationale Konkurrenz ist, erklärte Ploss anhand des Beispiels China: Der dortige Fünf-Jahres-Plan sehe Halbleiter-Investitionen von 19 Milliarden Dollar (17 Milliarden Euro) vor. Rund 50 Prozent des Geschäftes macht Infineon inzwischen in Südostasien - die Hälfte davon entfällt auf das Reich der Mitte. Infineon reagiere auf die Herausforderung durch die Transformation von einem Komponenten- zu einem Systemanbieter. (apa)

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