Management : Industrie 4.0: Traditionelle Konzepte greifen nicht mehr

„Für einen erfolgreichen Weg ins Zeitalter von Digitalisierung und Industrie 4.0 müssen wir uns von vielen klassischen Managementansätzen und innovationshemmenden hierarchischen Unternehmensstrukturen verabschieden.“ Industrie 4.0 sei thematisch ein so breites Thema, dass es branchenübergreifender Zusammenarbeit bedürfe. Dabei gehe es oft nicht um bahnbrechende Technologien, sondern darum, den "Fortschritt der letzten 20 Jahre für die eigene Firma gewinnbringend zu kombinieren".

Das sind einige Aussagen des jüngsten Treffens der Diskussionsreihe „Chefsache Industrie 4.0“. Diese Gesprächsrunden finden seit 2014 auf Vorschlag der PR-Agentur Melzer statt. Daran nehmen Firmenchefs und Wirtschaftswissenschafter teil. Ziel sei es, schreibt die PR-Agentur, Themen wie „Industrie 4.0“ und „Internet der Dinge“ in Österreich noch stärker zu einer „Chefsache“ zu machen. Gastgeber war dieses Mal der Hersteller Weidmüller Österreich in Wiener Neudorf.

Gegen falsche Wunschvorstellungen

Die Idee von der smarten Fabrik werde in den heimischen Betrieben oft von der Sehnsucht nach „Ordnung in einer Zeit des Umbruchs“ genährt, meinte Gerhard Kormann, Professor für den Bereich Finanzen an der FH Krems. Die digitale Transformation werde sozusagen vom Wunsch nach einer Art „neuer Bequemlichkeit“ getrieben.

Kormann: „Die Business-Ziele sind bekannt, ein effizienter Prozess ist aufgesetzt, das Team ist aufgestellt und alles läuft wie geschmiert und möglichst autonom. Das ist die Wunschvorstellung jedes Managers.“ Aber diese Sehnsucht nach der „überraschungsfreien Zukunft“ werde auch von Digitalisierung und Industrie 4.0 nicht erfüllt werden können.

Traditionelle Managementtheorien greifen nicht mehr

Industrie 4.0 sei nicht nur ein Technologie-Umbruch, sondern auch ein Umbruch althergebrachter Management-Ansätze. Kormann stellt die Frage, ob man in einer Welt, die zunehmend unvorhersehbar ist, überhaupt noch klassische Management-Ziele verfolgen könne.

Neben traditionellen Businesszielen und Kennzahlen werde zunehmend die permanente Anpassung an sich schnell ändernde Rahmenbedingungen und Anforderungen (Märkte, Technologie, Mitarbeiter, usw.) zu einer zentralen Managementaufgabe. „Wir brauchen neben einem ‚Management by Objectives‘ immer mehr auch Transformationskompetenzen, sozusagen ein ‚Management by Transformation‘.“

Veränderung kein Selbstzweck

Die Veränderung sei dabei freilich nicht Selbstzweck. Der Geschäftserfolg erschließe sich im Spannungsfeld zwischen den „zwei Welten“ Management by Objectives und Management by Transformation. In einem Dreieck von „Explore“, „Transform“, und „Exploit“ müssten immer wieder neue, an die Marktbedingungen angepasste Geschäftsmodelle entwickelt, technisch und organisatorisch realisiert und schließlich wirtschaftlich ausgeschöpft werden, so Kormann.

„Auch von verkrusteten streng hierarchischen Unternehmensstrukturen müssen wir uns verabschieden und zu einem ‚unternehmerischen Prinzip‘ übergehen, in dem die Belegschaft die nötige Freiheit und die nötigen Anreize für innovatives und kreatives Denken und Handeln vorfindet“, betont Kormann.

Die Innovation kommt von Kennern, nicht von Managern

Innovation entstehe nämlich ‚unten‘ auf Expertenebene, nicht ‚oben‘ im Management. „Manager haben wir genug, was uns heute fehlt, sind Experten. Firmen sind bei den neuen Themen heute vielfach von wenigen Ausnahmekönnern abhängig. Beispiel Big Data und Data Mining: Für die meisten Manager ist das Thema eine Blackbox“, konstatiert Kormann.

Bernd Bugelnig, Vorstandsvorsitzender Capgemini Österreich meinte auch, dass Mittelständler in Sachen Innovation mehr Beweglichkeit besitzen, weil die Distanz zwischen Chefetage und Mitarbeitern schon allein strukturell deutlich geringer sei. Prinzipiell sei die Frage, von wem Innovation erwartet werde, vom Management oder Mitarbeiter. „Meiner Erfahrung nach ist es ein Wechselspiel. Die Mitarbeiter werden stark eingebunden, aber es liegt dann doch auch am Management, eine Strategie vorzugeben.“

Für Gerhard Bauer, Berater bei Mathera Consulting, spiegelt sich gerade in der Breite von Industrie 4.0 und der dadurch entstandenen „begrifflichen Verwirrung“ das große Potenzial des Themas wider: „Ob man von Cyberphysical Systems, Internet of Things oder Big Data spricht – eigentlich geht es nicht um völlig neue Dinge, sondern vielmehr darum, den Fortschritt der letzten 20 Jahre zu kombinieren und sinnvoll im Unternehmen einzusetzen.“ So würden ehemalige Datenfriedhöfe zur Basis neuer Wissensgenerierung direkt in der Firma aufgewertet werden.

Neue Prozesskultur gefragt

Eine Gefahr bei der Umsetzung von Industrie 4.0-Projekten sieht Bauer in einer (unnötigen) Komplexitätserhöhung bei Technik und Prozessen. „Es gibt ein Spannungsfeld zwischen Technologiegeilheit und tatsächlichem Nutzen zur Effizienzsteigerung. Analog zum Ansatz von ‚Lean Management‘ sollte nur dort Kommunikationstechnologie eingesetzt werden, wo sie unbedingt notwendig ist.“

Der Prozess definiert den Bedarf an IT. Generell fordert Bauer eine „neue Prozesskultur“ in Unternehmen, um Prozesse so zu gestalten, dass sie sich autonom selbst verändern, wenn es der Markt oder die Kundenbedürfnisse erfordern. „Die Prozesse müssen proaktiv Veränderungen umsetzen, damit Industrie 5.0 keine Revolution mehr ist“, so Bauer.

Mehr zum „Chef 4.0“ am 10.5. bei der Smart Automation

Capgemini hat in einer Interviewreihe Topmanager aus der Industrie und Experten aus der Wissenschaft sowohl in Deutschland als auch in Österreich befragt, wie sich die Rolle des Chef 4.0 in Bezug auf Industrie 4.0 verändern wird und welche Auswirkungen dieser Wandel auf die Zusammenarbeit und auf die Organisationsstruktur haben wird. Die Ergebnisse der Interviews werden als Impuls für die Diskussionsrunde in der nächsten „Chefsache Industrie 4.0“ im Mai 2016 im Rahmen der Smart Automation & Intertool Messe in Wien vorgestellt.