Wearables : Hirschmann Automotive: Effizienzschub durch Smart Glasses

Hirschmann Automotive
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Um zu verstehen, dass das Geschäft von Hirschmann Automotive ein internationales ist, braucht es keinen Blick in die Tiefenstruktur des Unternehmens. Dazu reicht ein Blick auf die Standortkarte des Rankweiler Automobilzulieferers. Die Vorarlberger betreiben Produktionswerke in Österreich, Deutschland, Tschechien, Rumänien und Marokko. Seit 2014 produziert das 1959 gegründete Unternehmen, das in den letzten Jahren nicht selten zweistellige Ergebniszuwächse erzielte und auch in der Viruspandemie Kurs hält, in Nantong in China und seit vier Jahren zudem in einem Werk im zentralmexikanischen San Miguel de Allende Steckverbindungen, Kontaktierungs- und Sensorysteme sowie Spezialkabellösungen und Kunststoff-Umspritz-Technologie. „Über die Jahre wurden die Reiseaufwände immer höher“, erzählt COO Markus Ganahl. Man behalf sich mit Kollaborationstools. Das machte die Zusammenarbeit über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg um einiges leichter. Und bald habe die Einführung der cloudbasierten Software Cisco Webex Teams auch den Wunsch geweckt, in der Fertigung – beim Produktivschalten einer neuen Linie oder einer größeren ungeplanten Instandhaltungsmaßnahme – „wirkungsvollen und zeitnahen Remote-Support zu erzielen“, sagt Ganahl.

Dass der Unternehmer 2019 grünes Licht für ein Projekt zur konzernweiten Einführung von Datenbrillen und einige erforderliche Upgrades der Cisco-Software (Cisco Webex Expert on Demand, Cisco Webex Board) gab, erwies sich mit Blick auf die Viruspandemie somit als Glücksfall. Das Projekt habe sich infolge der Reisebeschränkungen, die Unternehmen wohl noch eine Weile begleiten würden, „nun deutlich schneller bezahlt gemacht“, meint Ganahl.

Produktionsterrain erschlossen

Auch deshalb, weil die Vorarlberger bei der Umsetzung auf die Tube drücken. Unter anderen Umständen hätte man wohl länger evaluiert und auch den globalen Rollout nicht so schnell gepusht. Doch im Juni war die Augmented Reality (AR)-Technologie im österreichischen, tschechischen und rumänischen Werk eingeführt. Auch weil der Österreich-Ableger des IT-Dienstleisters NTT bei der Umsetzung der Lösung, die der Autozulieferer mit einem zweiköpfigen Projektteam personell sehr schlank halten konnte, von der ersten Sekunde an ein fabelhafter Partner war. Einer, der mit den Rankweilern nicht nur eng die Co-Creation und Co-Innovation vorantreibt, sondern im AR-Projekt auch Parameter wie Verpixelung und Datenfluss an die Brille optimierte. Die Zusammenarbeit mit einem „Early Adopter“, wie Hirschmann Automotive bei der datenbrillen-gestützten Instandhaltung definitiv einer sei, „ist immer von einer ganz besonderen Dynamik begleitet“, sagt Dieter Ferner, der bei NTT Ltd. in Österreich die Bereiche Sales & Marketing leitet. Und die Vorarlberger waren gut vorbereitet. Auf Technologiemessen und mit Forschern tauschte man sich im Vorfeld über die Möglichkeiten aus, die Datenbrillen auf dem hochanspruchsvollen Terrain des Shopfloors – „Bild- und Sprachqualität sowie Latenzzeiten über große Entfernungen sind natürlich ein Thema“ (O-Ton Ganahl) – überhaupt bieten.

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In Brille projizierte Wartungspläne

Oberste Priorität sei es gewesen, mit der Brillentechnologie – man entschied sich für die sprachgesteuerte Industrie-Datenbrille HMT-1 des US-Herstellers Real-Wear – „in front of the machine“ zu kommen, wie es COO Markus Ganahl formuliert. Und zwar – dank lokaler Ungebundenheit – an grundsätzlich jedem beliebigen Ort der Fertigung. In beinahe allen Werken des Automobilzulieferers kann man sich davon schon ein Bild machen: Wartungspläne und Betriebsanleitungen aus dem ERP werden Instandhaltern an der Anlage bei Bedarf jederzeit in die Brille projiziert, während ein Kollege im Hintergrund am Rechner den Prozess unterstützt. „Auch lassen sich ‚on the fly‘ die Live- Bilder anderer Datenbrillen im Feld anzapfen und Erkenntnisse daraus gewinnen“, sagt NTT-Experte Dieter Ferner. Denn übers Telefon, selbst durch eine Übertragung per Notebook und Kamera, sei ein mögliches Fehlerbild in der Produktion – etwa bei der virtuellen Begleitung einer Produktbemusterung beim Spritzgussprozess oder bei der Fehlerbehebung an vollautomatischen Montageautomaten – „extrem schwer zu erfassen“, so Ganahl. Mit der Datenbrille „bleiben beide Hände frei und die Geräuschkulisse ist durch den Einsatz von Headsets vernachlässigbar“, erklärt Ganahl. „Ein Mitarbeiter schließt sich mit den entsprechenden Experten kurz und kann gemeinsam mit Kollegen Fehlersymptome auswerten.“

Effizienzschub

Bei der kritischen Größe „Mean time to Repair“ – der Zeit, die im Schnitt zum Reparieren einer ausgefallenen Komponente erforderlich ist – gelang Hirschmann Automotive damit bereits eine schöne Effizienzsteigerung an den ersten Standorten. Seit einigen Wochen ist die Technologie auch in China ausgerollt, wo es in puncto Datenrate auch keinerlei Abstriche zu machen gibt. Zukünftig durchaus vorstellbar beziehungsweise bereits in Planung: Die AR-Technologie auch schon für Schulungen, Maschinenabnahmen bei Lieferanten oder sogar für Anweisungen in der Montage oder Intralogistik heranzuziehen. Die Technologie werde gut angenommen, seit dem Ausbruch der Viruspandemie sei die „virtuelle Kollaboration für viele im Unternehmen ganz natürlich geworden“, beobachtet COO Ganahl. Der Rollout für Mexiko ist fürs Frühjahr avisiert.