Autoindustrie : Hintergrund: VW-Spitze konnte einen Streit vermeiden

In der "Festung Wolfsburg" ist die nächste Schlacht geschlagen. VW-Konzernchef Herbert Diess soll weitermachen - im Streit über einen vorzeitigen neuen Vertrag ließ ihn der Aufsichtsrat aber abblitzen. Nach Wochen des Taktierens und der Geheimniskrämerei mussten die Kontrolleure des weltgrößten Autoherstellers kurz vor der Weihnachtspause eine weitere Sondersitzung einlegen, um das Thema zu entschärfen. Und die potenzielle Sprengkraft war durchaus groß.

Mit seinem Wunsch, möglichst rasch eigene Kandidaten zur Neubesetzung von Vorstandsressorts durchzubringen, hatte Diess das oberste Gremium vor sich her getrieben. Dazu der Plan, mit dem "Personaltableau" auch seine persönliche Zukunft bei VW zu verbinden, wie bestimmte Quellen streuten. Auf der anderen Seite, so hieß es, fühle er sich von den Arbeitnehmer-Interessen ausgebremst. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch soll eine regelrechte telefonische Pendeldiplomatie hingelegt haben müssen, damit das Reizthema nicht allen um die Ohren fliegt.

Am Ende war es eine riskante Machtprobe. Dabei gibt es jenseits der Stilfragen inhaltlich eigentlich keinen Zweifel daran, dass Diess mit seinem entschlossenen Umsteuern zu E-Mobilität und Digitalisierung weiter der passende VW-Chef ist. Nach dem Fast-Rauswurf im Sommer - er hatte Aufsichtsratsmitgliedern wegen des Durchsickerns von Interna Straftaten vorgeworfen - stand er jedoch unter einer Art Bewährung.

Die Führung der VW-Kernmarke musste Diess an Ralf Brandstätter abgeben - offiziell, um sich mehr auf den Gesamtkonzern konzentrieren zu können. Man dachte, er habe seine Lehren gezogen, so der Eindruck im engsten Zirkel im Herbst. Doch unabhängig von der proklamierten "vollen Unterstützung" für den Manager waren das Grummeln und die Ungeduld aufseiten so mancher Entscheider zuletzt spürbar gewachsen.

Diess betreibe eine Eskalationsstrategie, hieß es mitunter. Und habe VW nicht ganz andere Sorgen, als sich vom leitenden Angestellten eine Vertragsagenda aufdrängen zu lassen - inmitten der zweiten Corona-Welle mit Absatzeinbrüchen, neuen Gesundheitsrisiken und einer oft am Anschlag arbeitenden Belegschaft? Spekulationen machten schon die Runde, Diess könnte hinwerfen und dann mit mangelnder Einsicht der Gegenseite in die Notwendigkeit eines noch höheren Tempos sowie verschärfter Renditeziele argumentieren. Mit seinem vertraglichen Sonderwunsch sei er letztlich aber am Aufsichtsrat abgeprallt, meint einer aus dem engeren Umfeld - kommunikative Flurschäden inklusive.

Der Kompromiss von dieser Woche gibt ihm formal die Rückendeckung, die er so offensiv einforderte. "Es ist für uns von entscheidender Bedeutung, dass Herbert Diess mit seinem neuen Vorstandsteam diese wichtige Phase des Volkswagen-Konzerns weiter prägen wird", ließ etwa der Porsche/Piech-Clan als größter VW-Eigentümer erklären. Die drei Kandidaten Arno Antlitz (Finanzen), Murat Aksel (Einkauf) und Thomas Schmall (Technik) sollen in die Konzernführung aufsteigen - erst ab Februar/März hätte darüber beraten werden sollen. Man schätze die "Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit" des Vorstandsvorsitzenden.

Zu einer frühzeitigen Festlegung auf Diess über April 2023 hinaus, wenn dessen laufender Vertrag endet, verloren die Aufseher indes kein Wort. Hinter den Kulissen heißt es weiterhin, die Frage stelle sich auch gar nicht - und habe sich entgegen Diess' Absicht nie gestellt. Die Initiative dazu liegt bei den Kontrolleuren, und normalerweise spricht man nicht früher als ein Jahr davor über einen Anschluss.

Branchenbeobachter halten die getroffene Sprachregelung für sinnvoll. "Ein Bundesliga-Verein würde ja auch nicht ohne Not zweieinhalb Jahre vorher mit dem Trainer verlängern", meint etwa der Autoanalyst Frank Schwope von der NordLB. "Es ist ein Burgfrieden, bis zum nächsten Konflikt." Dabei müsse man das fast schon notorische Gezoffe bei VW besonders zwischen Betriebsrat und Management gar nicht so kritisch sehen. "Grundsätzlich zieht man da ja wohl am gleichen Strang."

In der Sache dürfte entscheidend sein, ob die anlaufende elektrische ID-Modellfamilie zündet. "Da kann noch viel passieren", glaubt Schwope. Auch wenn es im Frühjahr erhebliche Anlaufschwierigkeiten beim ID.3 und bei den Elektroniksystemen des neuen Golf 8 gab: Strategisch sind die Schnittmengen zwischen Diess, den Eignern und dem Betriebsrat groß. "Er ist weiter der richtige Mann", heißt es.

Auf die Produktivitätsziele, mit denen die drei neuen Top-Leute unter Diess ebenso verbunden werden, könne sich die Belegschaftsvertretung durchaus einlassen. Bis 2023 sollen die Fixkosten um fünf Prozent fallen. Ein unbestreitbares Zugeständnis an Betriebsratschef Bernd Osterloh ist jedoch die Garantie, dass ein neues "E-Volumenmodell" ab etwa 2025 im Stammwerk angesiedelt werden soll - ähnlich, wie dies die Töchter Audi, Porsche und Bentley mit ihrem "Tesla-Fighter" in Hannover planen. Bisher sollte über ein Elektromodell für Wolfsburg erst im nächsten Herbst gesprochen werden. Und möglicher Stellenabbau soll nur "über die bewährten Personalinstrumente" umsetzbar sein.

Zuletzt hatten Osterloh und Diess öffentlich neue Harmonie zur Schau gestellt. Intern dürfte nach wie vor Tacheles geredet werden. Das ist schon seit der Ankunft von Diess 2015 so. Zunächst gerieten sich beide beim Sparprogramm "Zukunftspakt" in die Haare, mit dem VW Milliarden in den Wandel investiert, aber auch viele Jobs abbaut. Das Verhältnis von "Onkel Herbert" (Osterloh-Koseform für Diess) zur IG Metall gilt, je nach Phase, als bestenfalls unterkühlt bis schwierig.

Im Frühjahr krachte es dann wegen des Stresses an den Golf-Linien, viele Beschäftigte fühlten sich immer nur getrieben und wenig gehört. Nach den Vorwürfen an die Aufseher wegen der Indiskretionen im Juni räumte Diess ein: "Da müssen wir mehr in den Dialog gehen."

Diess wurde nicht ohne Grund nach Wolfsburg geholt. Aus seiner Zeit bei BMW eilte ihm der Ruf des "Kostenkillers" voraus, so sollte er auch die renditeschwache VW-Kernmarke auf Trab bringen. In München erinnert man sich an Diess teils als forschen Drängler, der nicht lockerlässt, wenn er etwas im Schilde führt. Als der Vorstandsvorsitz von BMW Ende 2014 neu besetzt werden musste, gaben die konservativen Quandt-Erben mit Harald Krüger dem mutmaßlich besseren Teamplayer den Vorzug vor Diess - woraufhin dieser das Unternehmen verließ.

Ob es im VW-Konzern nun auf längere Sicht ruhiger wird, muss sich trotz aller Beteuerungen noch erweisen. Denn die Herausforderungen des Branchenumbruchs werden in den kommenden Jahren bestehen bleiben - und so manche Reiberei unter der Oberfläche gibt es weiterhin. (dpa/apa/red)