Feuerfestindustrie : Heimspiel: RHI expandiert im Brasilien

„Estou aposentado“. Franz Struzl wirkt nicht sonderlich überzeugt von dem, was er gerade auf Portugiesisch von sich gegeben hat. Und doch – die Worte wirken magisch. Eine Sicherheitstür öffnet sich. Der langjährige Chef der brasilianischen Voest-Tochter kann im Laufschritt die Schlangen an Reisenden umgehen, die am Sicherheitscheck des Flughafens São Paolo warten. „In Brasilien muss man improvisieren können“, sagt Struzl, während er einen Crewbus besteigt. Das klapprige Gefährt sammelt die letzten – mittlerweile über 45 Minuten verspäteten – Fluggäste ein, die den Kurs TAM 3521 gebucht haben. Ziel des Fluges: Rio de Janeiro. Für Struzl, der gelassen neben den sichtlich gehetzten Fluggästen im Crewbus sitzt, ist die Reise bedeutsam: Als neuer Vorstandschef des Feuerfestherstellers RHI wird er in Queimados, eine Fahrstunde nördlich von Rio, den Spatenstich für ein neues Werk vornehmen. Hätten seine magischen Worte nicht die Sicherheitstür geöffnet, den Flug hätte er nie und nimmer erreicht. „Ich habe dem Sicherheitsbeamten erzählt, ich bin Pensionist“, sagt Franz Struzl und grinst. „Das funktioniert hier, denn in Brasilien geht man mit älteren Menschen anders um als in Österreich.“ Braungebrannt, mit vollem weißen Haar, strahlend weißen Zähnen, offenem Hemd und legerer Hose würde der 69-Jährige durchaus für einen Mittfünfziger durchgehen. Gelogen – und darauf legt Struzl wert – habe er beim Hinweis auf seinen beruflichen Status trotzdem nicht. „Ich bin vom Aufsichtsrat als Vorstandsvorsitzender der RHI bestellt. Aber unterschrieben habe ich den Vertrag noch nicht.“ Draxler-Connection.Auf drei Jahre befristet ist jenes Schriftstück, das der RHI-Aufsichtsrat dem ehemaligen Voest-Manager unterbreitet hat – und Struzl wird mit seiner Signatur Ende September offiziell der vierte Firmenlenker in vier Jahren. Seit im Jahre 2006 Martin Schlaff als Großinvestor den Aufsichtsrat des Feuerfestherstellers kontrolliert, wechseln die Vorstände im Jahresrhythmus. Erst Anfang September kam Helmut Draxler, der Sanierer und Aufsichtsrat der RHI, auf den ehemaligen Stahlmanager zu. Der bisherige Vorstandschef Henning Jensen ließ Draxler nach kaum zwölf Monaten im Amt – entnervt von der viel zu aktiven Rolle des Kontrollorgans und Auffassungsunterschieden bei der Finanzierung von Investitionen – wissen, dass er nur noch bis Ende September zur Verfügung stehe. Draxler kam die langjährige Bekanntschaft mit Struzl zugute: Die beiden kennen und schätzen einander noch aus Zeiten, in denen der voestalpine-CEO für große Schienengeschäfte mit ÖBB-Vorstand Draxler selbst in die Verhandlungen eingriff. Schwergewicht.Struzl hat für den RHI-Aufsichtsrat einen unschlagbaren Vorteil: Er ist in der Stahlbranche – die fast zwei Drittel des Konzernumsatzes ausmacht – bestens vernetzt. Dass der Voest-Pensionist blitzschnell als Jensen-Nachfolger verfügbar war, dürfte für Draxler und Schlaff ebenfalls als Vorteil gezählt haben. Dass er angesichts seines fortgeschrittenen Alters auch keine weiteren beruflichen Ambitionen haben dürfte, möglicherweise auch. Doch gerade diese Unabhängigkeit könnte sich für den offenbar schwierigen Aufsichtsrat als Nachteil herausstellen. Dass der gestandene Leobener mit seinen exzellenten Stahlkontakten ein größeres Gewicht in die Waagschale werfen kann als sein mit 50 Jahren weitaus jüngerer Vorgänger, darf angenommen werden. Hat er, Struzl, Bedenken, dass ihn das Schicksal seiner Vorgänger ereilt, die allesamt nach kurzer Zeit das Handtuch warfen? „Natürlich kenne ich die durchschnittliche Dienstzeit meiner Vorgänger. Aber ich würde diese Aufgabe nicht annehmen, hätte ich einen Planungshorizont von einem Jahr“, sagt Struzl und steigt aus dem klapprigen Gefährt, das vor der TAM-Maschine hält. Fortsetzung auf Seite 2: Frontalangriff auf Konkurrenten Magnesita

Doch was treibt den Mann, der da gerade in jenem Economy-Flugsitz Platz nimmt, der eigentlich für seinen Vorgänger gebucht war? Der zum Spatenstich eines Projektes fliegt, das sein Vorgänger geplant hat – und dessen Eckpunkte er nach wenigen Tagen Einarbeitung beim besten Willen nicht im Detail kennen kann. Der ehemalige Voest-CEO, der einst über eine Insideraffäre stolperte, zog erst im Januar nach vier Jahren als Chef des Voest-Stahlwerkes in Villares aus Brasilien wieder in die Heimat. Die Rolle als „30-Prozent-Konsulent und 70-Prozent- Vater“ (O-Ton Struzl) dürfte ihn wohl doch nicht ausgefüllt haben. „Ich will noch etwas bewegen. Ich habe noch einmal eine herausfordernde, spannende Aufgabe gesucht“, sagt Struzl und lehnt sich in den Sitz der Maschine. Und spannend wird sie allemal, die Aufgabe, zu der Struzl gerade nach Rio fliegt: Am Heimmarkt der immer stärker werdenden Nummer drei der weltweiten Feuerfesthersteller, Magnesita, soll die RHI, Nummer eins am Weltmarkt, Flagge zeigen. Ein 85-Millionen-Euro Werk wird mit 200 Beschäftigten ab 2013 die brasilianischen Stahlerzeuger mit Verschleißteilen der Marke RHI versorgen. Das dürfte den Marktanteil der RHI in Magnesita-Land von 15 Prozent auf bis zu 40 Prozent hinaufkatapultieren und die Rentabilität stark steigern – immerhin fallen durch die lokale Produktion die hohen Importzölle weg. Frontalangriff.„Aber natürlich. Selbstverständlich. Wir planen, Minen und Schürfrechte zu kaufen, auch hier in Brasilien“, sagt Franz Struzl – und zum ersten Mal wirkt der sonst so gelassene Stahlmanager angriffig. Ein brasilianischer Journalist hat ihn bei der Pressekonferenz im Gouverneurspalast zu Rio auf die Rohstoffversorgung angesprochen. Und Struzl, der alte Fuchs, nutzt das imperiale Ambiente für seine Kampfansage an Magnesita – auf deren Heimmarkt. Denn es ist eine Kampfansage, die Struzl nach Brasilien tragen soll – auch wenn selbst renommierte internationale Finanzmedien wie das deutsche Handelsblatt die Investition der RHI in Brasilien – und die gleichzeitige Eröffnung des Europa-Headoffice von Magnesita in Wien – eher als Schritt in Richtung Fusion werten. Die Rohstoffe in Brasilien, so der Subtext Struzls gegenüber der brasilianischen Presse, sind nicht sakrosankt – auch und gerade nicht, weil hier einer der Hauptmitbewerber sitzt. Fortsetzung auf Seite 3: Zukunft Meerwasser - wie RHI die Eigenversorgung ankurbelt

Tatsächlich muss Struzl sogar vertikal integrieren – also Minen und Schüprfrechte zukaufen. Denn während der Mitbewerber Magnesita auf einen Eigenversorgungsgrad bei Bauxit und Magnesit von 90 Prozent kommt, beträgt dieser bei der heimischen RHI gerade einmal 50 bis 60 Prozent – Abhängigkeit von Lieferantenlaunen und Preisschwankungen inklusive. Einen wichtigen Schritt in Richtung Autarkie hat noch sein Vorgänger gesetzt. Um vergleichsweise geringe 13 Millionen Euro hat der gebürtige Norweger Henning Jensen in seinem Heimatland für die RHI ein Unternehmen erworben, das aus Meerwasser seewasserbasierten Kauster produziert. Das kann zu Schmelzmagnesia weiterverarbeitet werden – und könnte den Selbstversorgungsgrad der RHI bei Magnesit auf 60 Prozent heben. Gleich nach dem Spatenstich in Rio wird Franz Struzl daher nach Irland weiterfliegen. Dort ist ein Werk zu besichtigen, das diese Technologie der Magnesiaproduktion aus Meerwasser bereits perfektioniert hat. Kein Wienerberg.„Und nach Irland steht Indien und China auf meiner Reiseliste“, sagt Franz Struzl, während er sich den weißen Helm mit dem RHI-Logo aufsetzt. Der Spatenstich soll gleich folgen, die lokalen Honoratioren – vom Bürgermeister und dem Pfarrer bis hin zum Chef der Ansiedelungsagentur sind alle gekommen – gehen bereits unruhig auf und ab. Nur Struzl bewahrt die Ruhe. Will er, der gestandene Stahlmanager, nicht zuallererst wieder zurück in die RHI-Zentrale auf den Wienerberg, um dort seine Mitarbeiter kennen zu lernen, bevor er die Ochsentour durch die RHI-Produktionsstätten angeht? „Ich muss am Wienerberg keine Kollegen kennen lernen“, sagt Struzl. „Ich muss die Projektveranwortlichen in der Türkei, in Brasilien, in Indien, in China und in Veitsch und Radenthein kennen“, sagt Struzl. „Und die Technologien vor Ort.“ Gelassen stapft Struzl von den wartenden Journalisten zu jenem überdachten Flecken, an dem ein in die rote brasilianische Erde geritztes Kreuz den Eckpfeiler des Werkes markiert. Dort, neben all der aufgeregten brasilianischen Lokalprominenz, steckt sein Spaten. Für Franz Struzl wird gleich ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Ob er der RHI seinen Stempel aufdrücken kann, wird auch daran liegen, wie geschickt er in den nächsten Monaten schaufelt. Zur Person Franz Struzl, 69, ist ein gestandener Leobener: Der Absolvent der Montanuniversität arbeitete 36 Jahre für den heimischen Stahlkonzern voestalpine, von 2001 bis 2004 als Vorstandsvorsitzender, ehe er über Insiderhandel stolperte. Zuletzt war er Vorstand der Villares Metals in Brasilien, ein Unternehmen der Böhler-Uddeholm- Gruppe, die in der voestalpine aufgegangen ist. Seit Januar war Struzl im Ruhestand und lebte wieder in Österreich. Zum Unternehmen Die RHI AG (bis 1998 Radex Heraklith) ist ein Hersteller von Produkten für industrielle Hochtemperaturprozesse, wie Hochöfen. Mit der Übernahme von US-Unternehmen handelte sich die RHI 2001 Asbestklagen in Milliardenhöhe ein, die das Unternehmen an den Rand des Ruins brachten. Im Zuge der Sanierung stieg Ende 2006 der Investor Martin Schlaff mit 25 bis 30 Prozent in das Unternehmen ein, zwischen 5 und 10 Prozent hält der deutsche Industrielle Wilhelm Winterstein, 5 Prozent die RZB, 60 Prozent sind im Börsen-Streubesitz. Die RHI hat im ersten Halbjahr 2011 den Umsatz um knapp 15 Prozent auf 850,9 Millionen Euro steigern können. Das operative Ergebnis (Ebit) verringerte sich leicht von 70,3 auf 69,2 Millionen Euro – blieb aber deutlich über der Analystenerwartung Fortsetzung auf Seite 4: Die Vorwärtsstrategie der RHI

Die 85-Millionen-Investition der RHI im Kernland des Mitbewerbers ist mehr eine Kampfansage an Magnesita als das Prélude zu einem Zusammenschluss. Die These klingt einleuchtend, besonders wenn man RHI-Großaktionär Martin Schlaff Verkaufsabsichten unterstellt: Der schnell wachsende brasilianische Feuerfesthersteller Magnesita hat Appetit auf die RHI – und würde sich den weitaus größeren heimischen Stahlwerksausrüster gerne einverleiben. Und tatsächlich: Im September, pünktlich zum Spatenstich des neuen Brasilien-Werks der RHI, eröffnete Magnesita ausgerechnet in Wien ihre Europa-Zentrale. Selbst renommierte internationale Wirtschaftsmedien malten eine zukünftige Übernahme der RHI durch die Brasilianer an die Wand. Strategie. Tatsächlich ist eine solche höchst unwahrscheinlich. Ein Zusammengehen der Nummer eins am Weltmarkt für Feuerfestmaterialien (RHI) und der Nummer drei (Magnesita) dürfte weder in Brasilien noch in Europa vor den Wettbewerbshütern eine Chance haben. Zudem ist der immer wieder kolportierte Appetit von RHI-Großaktionär Martin Schlaff an einem Verkauf angesichts des zu erwartenden Erlöses gezügelt: Schlaff ist im Schnitt zwischen 18 und 25 Euro in die RHI eingestiegen. Selbst mit einem saftigen Paket- und Kontrollzuschlag lässt sich beim derzeitigen Kurs von 16 Euro kein Gewinn darstellen. Viel mehr Sinn macht da jene Strategie: Das Unternehmen soll in den nächsten Jahren – besonders in Schwellenmärkten wie in Brasilien – stark wachsen und durch Vorwärtsintegration unabhängiger werden. Die 85-Millionen-Euro-Investition in Brasilien, wo mit 200 Beschäftigten ab 2013 die brasilianischen Stahlerzeuger versorgt werden sollen, passt ins Bild. Durch die Umgehung der hohen Importzölle in Brasilien lässt sich der Marktanteil in dem Wachstumsmarkt auf einen Schlag von 15 Prozent auf bis zu 40 Prozent erhöhen. Auch der Erwerb der norwegischen Seewasser- Kausteranlage, mit der Magnesium hergestellt werden kann, ist ein Schritt in diese Richtung. Spätestens wenn sich das gesamtwirtschaftliche (und -börsliche) Umfeld aufgehellt hat, könnte Schlaff seinen Kontrollanteil am Wienerberg verkaufen – aber dann wohl eher in Richtung Osteuropa.