Strom : Heimische Energiewirtschaft: Strom nur aus Erneuerbaren bis 2030 wird schwierig

Österreichs E-Wirtschaft hält das von der Regierung geplante Ziel, dass 100 Prozent des hierzulande verbrauchten Stroms bilanziell übers Jahr aus erneuerbarer Energie stammen sollen, für nur sehr schwer erreichbar. Nötig seien dafür bestimmte organisatorische und ökonomische Bedingungen, erklärt der Branchenverband "Oesterreichs Energie" zum Entwurf der Klima- und Energiestrategie.

Es sollten "realistische Ziele" definiert werden, deren Umsetzung und Erreichung auch mit entsprechenden Maßnahmen unterlegt werden könnten, wird in der Stellungnahme unterstrichen. Um realistische Maßnahmen festzulegen und umzusetzen, seien detaillierte Analysen und Berechnungen zur Machbarkeit und Leistbarkeit notwendig.

Das 100-Prozent-Erneuerbaren-Ziel für Strom im Jahr 2030 sei als "überaus ambitioniert" einzuordnen, heißt es - was Branchenkenner schon fast als "kaum erreichbar" übersetzen. Erst Anfang März hatte die E-Wirtschaft blitzartig ihre früheren Ausbau-Ziele zur Stromerzeugung nach oben revidiert. Bis dahin ging man davon aus, dass bis 2030 rund 20 Terawattstunden (TWh) an erneuerbaren Kapazitäten (Wind, PV und Wasserkraft) dazugebaut werden müssen, seit zwei Monaten aber von 35 TWh, damit in zwölf Jahren von 88 TWh Stromverbrauch nicht nur 85 Prozent, sondern 100 Prozent erneuerbar erzeugt werden können.

Problem Strompreis

Bis März ging die Branche von je 6 bis 8 TWh PV, Wind- und Wasserkraft aus, die bis 2030 zusätzlich nötig sind. Nun wollen die Versorger zwar das Wasserkraftstrom-Angebot weiter um die schon bekannten 6 bis 8 TWh anheben, jenes aus Wind aber um 15 TWh und das aus Photovoltaik um 14 TWh erhöhen. 2016, als der Stromverbrauch in Österreich (inkl. Nettostromimporte) 72,8 TWh betrug, stammten von der Inlandserzeugung an "sauberem Strom" 40,8 TWh aus Wasserkraft, 5,4 TWh aus Windkraft und 1,1 TWh aus PV.

Investieren werden die Mitgliedsunternehmen aber nur, "wenn sich diese Projekte auch betriebswirtschaftlich darstellen lassen", warnt Oesterreichs Energie in der Stellungnahme: "Beim derzeitigen Strompreis ist das nicht der Fall." Die Stromgroßhandelspreise seien zwar wieder bei 35 Euro pro Megawattstunde (MWh), "das reicht aber nicht", gibt man in der Branche zu verstehen. Zudem könnte ein Ausbau erneuerbarer Energien, der nicht marktgetrieben sei, negative Preiseffekte hervorrufen, die Investitionen hemmen könnten, wird gewarnt.

Ausbau der Netze und Speicher notwendig

Ein massiver Ausbau der Erneuerbaren-Stromerzeugung erfordere außerdem - parallel - einen massiven Ausbau der Stromnetze wie auch der Speicherkapazitäten; auch diese würden nur gebaut, wenn sie sich rechnen; das gelte auch für thermische Kraftwerke inklusive der in einigen großen Städten wie etwa Wien bedeutsamen Kraft-Wärme-Kopplung als Rückgrat einer ausfallsicheren Stromversicherung. Zur KWK-Bestandssicherung sei die Beschlussfassung der KWK-Punktegesetz-Novelle essenziell - sowie eine umgehende Fortsetzung des Notifikationsverfahrens bei der EU-Kommission, betont Oesterreichs Energie.

Ein Knackpunkt in dem Zusammenhang wird wohl die Frage sein, wo in Österreich die neuen thermischen Kraftwerke gebaut werden, die vor allem wegen der höheren Volatilität der Gesamterzeugung zur Absicherung nötig sein werden - weil ja der Anteil erneuerbaren Stroms in Summe wächst, Wind und Sonne aber nicht immer zur Verfügung stehen und auch Wasserspeicher irgendwann einmal leer sind.

Mögliche Lücke bis zu 9.000 MW

Expertenschätzungen gehen von mindestens 5.000 bis 5.500 Megawatt (MW) thermischer Leistung aus, die in Österreich erforderlich sein könnten. Betrachtet man die Tages- und Jahreslastgänge, so könnte die Lücke sogar bis zu 9.000 MW betragen, insbesondere weil früher oder später auch alte Kraftwerke vom Netz gehen. Solcherart könnte die nicht mit Stromimporten deckbare Leistungslücke 7.500 MW betragen - wobei kurzfristige Lücken aber durch Speicher abgedeckt werden könnten. Zum Vergleich: Das steirische Verbund-Gaskraftwerk Mellach bringt es auf 850 MW. "Man wird zumindest soviel thermische Leistung dazubauen müssen wie historisch verloren geht", heißt es aus der Branche. Hinzu kommt, dass ab Oktober - wegen der Auftrennung der gemeinsamen deutsch-österreichischen Stromzone - nur noch maximal 4.900 MW Leistung über die Grenze angeboten werden können.

Errichtet werden könnten neue kalorische Anlagen idealerweise an bestehenden Kraftwerksstandorten. "Dürnrohr und Theiß wären geeignete Standorte", verweist ein Stromexperte auf Niederösterreich. Die EVN verfolge ja auch im Raum Hohe Wand ein Gaskraftwerksprojekt. Die Oberösterreicher könnten in Timelkam bauen - in Wien kämen als Standorte Simmering und Leopoldau in Frage. Bei der Wien Energie steht ohnedies dringend eine kalorische Investitionsentscheidung an, abhängig aber auch vom Fortgang des KWK-Themas.

Große Schwankungen im System

Einerseits müssten neue gasbetriebene Kraftwerke ja nicht so groß sein wie die herkömmlichen Großanlagen wie Mellach, zudem werde "Green Gas" im Vormarsch sein, hält man möglicher Kritik von Umwelt-NGOs entgegen. Klar sei aber, dass es künftig in Höhe der jetzigen Höchstlast auch Stromüberschüsse geben werde. Der volatilere Strom-Mix mit wohl 40 Prozent Wind- und PV-Anteil im Jahr 2030 werde dazu führen, dass "das Stromsystem im Sommer massive Überdeckungen und im Winterhalbjahr deutliche Erzeugungslücken aufweisen" werde, warnt Oesterreichs Energie in seinem Schreiben an die Bundesregierung.

Die Förderung Erneuerbarer müsse marktnäher und effizienter sein, wobei die Förderhöhe wettbewerbsorientiert festgelegt werden müsse. Erfolgen sollte dies bei allen Technologien durch Ausschreibungen - basierend auf strengen Präqualifikationskriterien, damit es eine Sicherheit gebe, dass die, die sich bewerben, dann die Anlagen auch wirklich bauen -, mit Ausnahmen für kleine Anlagen. In der Regel sollte über Marktprämien gefördert werden: Die direkte Vermarktung des Stroms sollten die Anlagenbetreiber selbst vornehmen. Bei PV sei eine Investitionsförderung angebracht, da dort der erzeugte Strom hauptsächlich selbst verbraucht werde und das Vermarktungsrisiko gering sei.

Keine negativen Strompreise mehr dank Power2Gas

Einen Vorrang für "erneuerbaren Strom" oder eine Abnahmegarantie werde es mit der Selbstvermarktung nicht mehr geben, erläutert ein Branchenexperte: "Das ist das Ende auch der Einspeisetarife. Die Politik geht ebenfalls in diese Richtung, so weit zu hören ist." Auch negative Strompreise werde es durch "Greening the Gas", Wasserstoff-Erzeugung mit Überschussstrom, nicht mehr geben, wie dies bisher an sonnigen, windigen verbrauchsarmen Sommertagen der Fall war. Eine solche Wasserstoff-Erzeugung könnte es etwa in Linz oder in Wien-Aderklaa geben, wo auch gespeichert werden könnte.

Netzgebühren für Power-to-Gas sollte es aber keine geben, "sonst kann man das zusperren", heißt es aus der Strombranche. Und auch für die E-Mobilität müsse man bei den Netznutzungsentgelten eine Umstellung vornehmen. Derzeit werden die Netzkosten maßgeblich durch die Netznutzungsentgelte gedeckt, die sich auf die Arbeit (zB kWh) beziehen. Die Kosten der Netzbetreiber dagegen werden weitgehend durch die Bereitstellung von Leistung (kW) bestimmt. Das System der Entgelte sollte stark auf die Grund- und auch Leistungspreise bezogen sein. Denn irgendwann wird es eine Masse von 11-kW-Ladestationen für E-Autos geben. Diese kleineren "smarten" Ladepunkte im privaten und gewerblichen Bereich sollten vom Netzbetreiber gesteuert werden können, wünscht man sich. Im öffentlichen Bereich sind hochleistungsfähige Schnelllader (150 bis 350 kW) vorgesehen.

Um den Stromnetzausbau zu erleichtern und zu beschleunigen, bedürfe es einer Investitionssicherheit sowie kürzerer Genehmigungsverfahren. "Systemblockaden und administrative Hemmnisse sind abzubauen", will die E-Wirtschaft. Bei Mittelspannungs-Leitungen seien Erleichterungen im Starkstromwegerecht zu prüfen, vor allem zu technischen Standards und Normen, etwa für elektromagnetische Felder. Und generell gilt für die Strombranche gerade im Hinblick auf die Anforderungen an intelligente Stromnetze und Zähler (Smart Grids, Smart Meter): "Insgesamt benötigen Netzbetreiber für ihr verstärktes Engagement die volle Kostenanerkennung durch die Regulierungsbehörde." Derzeit liege vieles im Ermessen der Behörde, zum Beispiel ob ein neuer Trafo, eine neue Leitung wirklich als Investition nötig sei. Immer wieder stünden Netzbetreiber hier vor einem "Lotteriespiel".

Für alle Akteure im Energiesystem sollten gleiche, faire Wettbewerbsbedingungen gelten, auch für neue Player. Auch beim Neueintritt in den Ausgleichs- und Regelenergiemarkt sollten die Marktregeln und Qualitätsanforderungen einzuhalten sein. Das Gleiche sollte für lokale Energiegemeinschaften gelten, unabhängig von Größe, Eigentümerstruktur und Rechtsform. Etwaige Ausnahmen könnten leicht zu Diskriminierung und Marktverzerrungen führen und "sind daher abzulehnen", heißt es.

Kritik am derzeitigen Mischsystem

Mit dem derzeitigen Bundes-Energieeffizienzgesetz ist die E-Wirtschaft ebenfalls unzufrieden, es sollte aus ihrer Sicht weg. Die Kritik lautet, dass es in Österreich momentan ein Mischsystem aus strategischen Maßnahmen und einer Lieferantenverpflichtung gibt. Diese Verpflichtung führe zu einem hohen bürokratischen Mehraufwand bei den Energielieferanten, die "oftmals in keinem Verhältnis zu den realisierten Einspareffekten bei den Verbrauchern" stünden, wird moniert.

Auch die Sektorkopplung ist der Strombranche ein Anliegen, also die Einbeziehung von Verkehr und Wärme. Für einen klimagerechten kosteneffizienten Gebäudewärme-Mix in Neubau und Bestand bedürfe es einer Wärmestrategie. Enthalten sollte diese u.a. mehr Mittel für die thermische Sanierung, staatliche Anreize für Wärme und Kühlung aus sauberem Strom, die Forcierung von Wärmepumpen. Und beim Verkehr geht es um die E-Mobilität. Der Verkehrssektor sei zwar mit einem Anteil von rund 46 Prozent der Treibhausgas-Emissionen (außerhalb des CO2-Handelssystems) der emissionsstärkste Sektor, leiste aber bisher "keinen angemessenen Beitrag" zur Senkung der THG-Emissionen, beklagt die E-Wirtschaft.