Medizintechnik : Healthineers soll Siemens neuen Glanz verleihen
Sind die Einzelteile von Siemens mehr wert als das Ganze? Ja, meint Vorstandschef Joe Kaeser. Denn das ist die Idee, die hinter dem Börsengang der Medizintechnik-Sparte mit dem Kunstnamen "Healthineers" steckt. 31,4 bis 44,1 Milliarden Euro sei allein Siemens Healthineers wert, haben die Analysten von Morgan Stanley ausgerechnet.
Das ist deutlich mehr als der rechnerische Anteil von 26 Prozent am Gewinn des industriellen Geschäfts. Gemessen am Umsatz ist Healthineers sogar nur ein Sechstel der Siemens AG, die als Ganzes auf 102 Mrd. Euro Marktkapitalisierung kommt.
Neubewertung auch der anderen Sparten von Siemens denkbar
Das Listing von Healthineers könne auch zu einer Neubewertung der Siemens-Aktie führen, glaubt Morgan Stanley. Denn dadurch werde erst klar, wie niedrig die Industrie-Sparten mit ihren Zügen, Kraftwerksgeneratoren und Windrädern bisher bewertet würden.
Am Dienstag will der Münchener Technologiekonzern mit einem Kapitalmarkttag in London Investoren und Analysten Argumente liefern, warum sie die Healthineers-Aktien zeichnen sollen, wenn im März offiziell die Zeichnungsfrist beginnt. Vor Ostern soll die Medizintechnik-Aktie an der Frankfurter Börse notiert sein.
Insider: Siemens könnte bis zu 25 Prozent seiner Ertragsperle verkaufen
15 bis 25 Prozent von Healthineers will Siemens verkaufen, wie Insider sagen. Mit sechs bis 10 Mrd. Euro Emissionsvolumen wäre der Börsengang damit der größte seit 1996, als die Deutsche Telekom 10,6 Milliarden erlöste. Die Aktienmehrheit soll auf Dauer bei Siemens bleiben, betont Kaeser immer wieder.
Mehr dazu:
Siemens will seine Medizintechniksparte schon im März an der Börse sehen >>
Vor Börsengang der Medizintechnik: Siemens testet Interesse der Fonds >>
Schließlich ist Healthineers mit einem Gewinn von 2,5 Milliarden Euro und einer operativen Umsatzrendite (EBIT-Marge) von 18,5 Prozent die Ertragsperle im Konzern. Bis 2020 dürfte sie sogar auf 19,9 Prozent steigen, hat Morgan Stanley ausgerechnet.
Das Umsatzwachstum aus eigener Kraft veranschlagt Healthineers auf vier Prozent pro Jahr - seit 2012 lag es stets zwischen 2,0 und 4,8 Prozent. 47.000 Mitarbeiter, davon 12.000 in Deutschland, erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2016/17 (zum 30. September) 13,8 Milliarden Euro Umsatz.
Geld braucht die in Erlangen angesiedelte Medizintechnik-Sparte eigentlich nicht, weshalb der Großteil des Börsenerlöses in die Kasse des Konzerns fließen dürfte. Barclays-Analyst James Stettler macht sich Hoffnung, dass Siemens damit sein 3 Mrd. Euro schweres Aktienrückkaufprogramm aufstocken könnte.
Aktuell zu Siemens:
Joe Kaeser: "Digitale Fabrik" wird nicht verkauft >>
7.000 Arbeitsplätze bei Siemens sollen weg: Die 7 wichtigsten Antworten >>
Doch wenn Healthineers künftig zukaufen will, können und sollen die Franken das künftig selbst über die Börse finanzieren, statt in Bayern um Geld zu bitten. Das kommt billiger, denn die meisten Medizintechnik-Unternehmen sind höher bewertet als Industrie-Konglomerate wie Siemens. Und damit sind auch die eigenen Aktien mehr wert, wenn man Übernahmen damit bezahlen will.
Sieben Billionen Euro schwer sei der Gesundheitsmarkt, doch 50 Prozent davon entfallen auf Personalkosten. Nur ein Prozent des Umsatzes gäben Krankenhäuser für Technik aus - dabei lägen hier die größten Einsparpotenziale, argumentiert Healthineers. Wenn der Computer die Röntgenaufnahme auswerte, könne sich der Arzt mehr um den Patienten kümmern, so das Narrativ.
In diesen Bereichen ist Healthineers die Nummer eins
Die Nummer eins weltweit ist Healthineers in der Bildgebung, die mit Röntgengeräten, Computer- und Magnetresonanz-Tomographen (MRT) 58 Prozent vom Umsatz ausmacht und mit 21 Prozent Rendite die Konkurrenz um Längen schlägt. Nur bei den Ultraschallgeräten hinkt Siemens als Nummer fünf weit hinter Marktführer GE Healthcare her. Hier will Siemens über Innovationen aufholen.
Knapp ein Drittel des Umsatzes entfällt auf Labordiagnostik, also die automatische Auswertung von Blut- und Urinproben, die sich Siemens zum großen Teil in den vergangenen Jahren - etwa mit Dade Behring oder der Diagnostik-Sparte von Bayer - zusammengekauft hat. Doch am Branchenprimus Roche kommt Siemens nicht vorbei, der Marktanteil bröckelt sogar, wie Barclays kritisiert.
Stabile Umsatzströme
Dabei wächst der Labordiagnostik-Markt mit bis zu fünf Prozent pro Jahr überdurchschnittlich - und hat den Vorteil, dass mit lukrativen Reagenzien und Dienstleistungen 90 Prozent des Umsatzstroms verlässlich unabhängig vom Neugeschäft fließen. Das funktioniere ähnlich wie bei Rasierern und Klingen oder Druckern und Druckerpatronen, erklärt Healthineers. Ein neues Laborsystem namens Atellica soll den entscheidenden Schub geben, um die Rendite von 14 Prozent aufzubessern.
Die kleinste Sparte von Healthineers nennt sich "Advanced Therapies": Dabei geht es etwa um den Einsatz von Robotern und MRT-Geräten bei der Schlaganfall-Behandlung oder bei minimal-invasiven Operationen, mit deren Hilfe der Chirurg in "Kinofilm-Qualität" in den Patienten hineinschauen kann, ohne den Körper aufschneiden zu müssen. "Das ist ein Thema, bei dem wir große Chancen sehen", sagt ein Healthineers-Manager. (reuters/apa/red)