Papierfabrik Pöls : Grüner Turbo

Papierfabrik Pöls Siegfried Gruber Leiter Engineering Zellstoff Pöls (re.) mit Reinhard Krickler Vertriebs- und Projektmanager Siemens
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Als würde er über einen verdienstvollen Mitarbeiter sprechen. So hört es sich an, wenn Siegfried Gruber von der Papiermaschine Eins erzählt. „Sie hat schon richtig gutes Papier gemacht“, sagt der Leiter Engineering bei Zellstoff Pöls fast zärtlich über die kürzlich in den Ruhestand verabschiedete Maschine. Neben hochwertig gebleichtem Langfaser-Sulfatzellstoff wird am obersteirischen Standort nämlich auch hochwertig gebleichtes Kraftpapier hergestellt – und dabei machte sich die Papiermaschine Eins über all die Jahre hervorragend.

Fast ein halbes Jahrhundert wurden auf ihr Papiere für hochfeste Tragtaschen, Geschenkverpackungen oder Torteneckenpapier hergestellt. Aber 50 Jahre lassen sich eben auch nicht wegleugnen. Für Papiermaschinen sei das „schon ein etwas fortgeschrittenes Alter, vor allem auf der elektrotechnischen Seite“, meint Gruber. Und so wird die alte Maschine, die vielen in Pöls so sehr ans Herz gewachsen ist, in der ursprünglichen Papierproduktionshalle zwar konserviert – sprich: regelmäßig aktiviert, um Lagerschäden zu verhindern. Papier produziert wird aber seit dem 10. November einige hundert Meter weiter in einer nagelneuen Halle – auf einer Papiermaschine, die ebenfalls das Zeug zur Legendenbildung hat.

Die Papiermaschine Zwei, wie die neue 100-Meter-Kraftpapiermaschine von Andritz (Typ: PrimeLine MG) schlicht genannt wird, ist aktuell Europas größte und modernste Maschine dieser Art. Sie fährt dreimal so schnell wie die alte Anlage, erreicht einen jährlichen Maximaloutput von 80.000 Tonnen Papier (vorher: 14.000 Tonnen) – und verbraucht dabei zu alledem um ein Drittel weniger spezifische Energie. „Ein Quantensprung“, sagt Gruber, auch wenn es mit der emotionalen Bindung zur Neuen fraglos wohl noch etwas dauern wird.

Stolze Investition

Was wohl auch an der Gesamtinvestition von 115 Millionen Euro liegen mag, die erst einmal wieder hereingespielt werden muss. Leicht machten sich die Steirer die Entscheidung, die Papierproduktion derart massiv auszubauen, nämlich nicht. Jahrelang wurden Pläne gewälzt – immer wieder wurden sie verworfen. Das Geschäft in der Zellstoffproduktion entwickelte sich lange außerordentlich stark. Bis sich die Situation durch die Verknappung des Rohstoffs Holz und explodierende Preise plötzlich dramatisch zuspitzte. Vor dreieinhalb Jahren entschieden sich die Steirer dann, vorerst nicht mit übermäßigem Eifer weiter ins Zellstoffgeschäft vorzudringen.

Die Stoßrichtung: Die Zellstofffabrik zwar weiter energetisch zu optimieren. Aber zugleich „strategisch stärker in Richtung Endprodukt zu gehen“, schildert Engineering-Leiter Siegfried Gruber. 2011 liefen die Verhandlungen mit potenziellen Lieferanten der Riesenmaschine und ihren vielen hunderten Aggregaten an. Mitte 2012 erfolgte dann der Vertragsabschluss mit dem Maschinenbauer Andritz, der den Hauptauftrag an Land zog. Als Sublieferant für die gesamten Antriebslösungen sowie die Automatisierungskomponenten brachte sich wiederum Siemens ein. Der Elektronikkonzern zeichnet unter anderem auch für die gesamte Energieverteilung verantwortlich.

Die Zielvorgabe jedenfalls, die modernste Kraftpapierfabrik Europas auf die grüne Wiese zu stellen, motivierte. Nach etwas mehr als 13 Monaten reiner Bauzeit – am 10. November – fuhren die Pölser die Maschine zum ersten Mal an und produzierten die erste sehnsüchtig erwartete Rolle. Auch angesichts der dreijährigen Projektierungsphase und des Starts fünf Wochen früher als geplant ein großer Moment. „Natürlich werden da bei der ganzen Mannschaft unglaubliche Emotionen frei“, sagt Zellstoff-Pöls-Mann Siegfried Gruber. Was den Nervenkitzel unweigerlich erhöht: Für den Bau einer perfekten Druckmaschine – zumal solch gewaltigen Ausmaßes – hat man streng genommen nur einen Versuch. Ist etwa die Pumpleistung zu klein, lassen sich die Wassermassen gar nicht mehr transportieren. Die Grundkonstellation der Maschine muss also auf Anhieb passen. „Dass die Maschine dieses wichtige Kriterium erfüllt, haben wir sofort gesehen“, sagt Werner Pally, Projektingenieur bei Zellstoff Pöls.

Massiver Trocknungszylinder

Mitte Mai präsentiert sich die Maschine dem INDUSTRIEMAGAZIN in einem tadellosen Zustand. Programmgemäß wird aus dem Ausgangsprodukt – einem Wasser-Zellstoff-Gemisch (Wasseranteil: 99,8 Prozent!) – ein sehr gleichmäßiges und schönes Papier erzeugt. Das anfangs noch sehr nasse Papier wird unter anderem durch Walzen gepresst, in einer ersten Vortrockenpartie weiter aufgetrocknet, ehe es einen gigantischen Trocknungszylinder mit 6,7 Meter Durchmesser aus Stahl, der im Werk eigens aus zwei Hälften zusammengeschweißt wurde, passiert. Dann wird nachgeglättet und eventuell nachgetrocknet, ehe das Papier in Form riesiger Rollen zum Rollenschneider gelangt.

Volllast fährt die Riesenmaschine zwar noch nicht – das hätte auch gar keinen Sinn, will man doch letzte Kinderkrankheiten loswerden. Mit angepeilten 56.000 Tonnen Jahresoutput (später: 80.000 Tonnen) – das sind etwa zehn bis 20 Lkw-Ladungen täglich – befinden sich die Steirer aber gut im Plan, um für jährliche Wachstumsraten von bis zu drei Prozent (besonders stark: der Medizinbereich) gewappnet zu sein. „Sehen Sie? Das Papier ist unglaublich dünn und hochwertig“, schwärmt Engineering-Leiter Siegfried Gruber am anderen Ende der Hundert-Meter-Anlage.

Synchrone Antriebe

Auf diesen hundert Metern passiert der Besucher nicht weniger als 39 Einzelantriebe des Mehrmotorenantriebs (und weitere rund 440 Antriebe, die zusätzliche Aggregate wie Pumpen, Rührwerke oder Ventilatoren antreiben), ohne freilich einen einzigen wirklich zu Gesicht zu bekommen. Sie sind gut im Maschineninneren – oder rückseitig – verborgen. Viele der rund 200 Antriebe – allerdings bewusst nicht alle – sind frequenzgeregelt. Die Synchronisation all dieser Einzelmotoren war eine der zentralen Herausforderungen, heißt es in Pöls. Alles lief glatt.

Die Bremsenergie wird ins System rückgespeist – vereinfacht gesagt nehmen sich die Antriebe „dann die Energie, die sie brauchen“, erklärt Reinhard Krickler, Vertriebs- und Projektmanager bei Siemens. Er begleitet das Projekt seit Beginn und freut sich darüber, wie die Maschine jetzt mehr und mehr auf Touren kommt. Und das bei deutlich geringerem Energieaufwand. Das Zellstoffwerk ist seit Jahren energieautark, beliefert im Gegenzug sogar 30.000 Haushalte aus der Region mit Strom und 15.000 Haushalte mit Wärme. Die Papierproduktion gilt aber als energieintensiv. Auch dank modernem Mehrmotorenantrieb – bei der Papiermaschine Eins werkte zeitlebens ein Gleichstromantrieb – und der guten Auslegung der Aggregate sparen die Steirer gut ein Drittel ihrer jährlichen spezifischen Energiekosten ein.

Übrigens auch, weil nicht der Fehler begangen wurde, sich bei der Antriebstechnik zu übertriebener Überdimensionierung „hinreißen zu lassen“, meint Zellstoff-Pöls-Projektingenieur Werner Pally. Die Papiermaschine Eins freilich, die ein halbes Jahrhundert verlässlich durchhielt und viele Fans gewann, wird trotz aller schönen Anfangserfolge mit der „Neuen“ vorerst weiterhin gehegt und gepflegt. Die Entscheidung, was mit ihr passiert, ist noch nicht letztgültig gefällt“, heißt es in Pöls.

Grüner Turbo

Auf ihrer neuen Papiermaschine fertigt die Zellstoff Pöls AG um ein Drittel energieeffizienter als auf der alten Maschine.

Investitionsvolumen: 115 Millionen Euro

Papiersorte: Kraftpapier (Tragtaschen, Geschenkpapier, Torteneckenpapier)

Antriebsart: Mehrmotorenantrieb (170 Stück, großteils frequenzgeregelt)

Produktionskapazität: 80.000 Tonnen pro Jahr

Produktionsgeschwindigkeit: 1000 Meter pro Minute

Maschinentyp: PrimeLine MG

Lieferant: Andritz

Sublieferant Antriebs-/Steuerungstechnik: Siemens