Optimierte Lieferkette : Generation Facebook

Flex Reiner
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Ein Erdbeben in Mexiko, das schwerste seit 1985. Als die Handys mehrerer Flex-Mitarbeiter im September 2017 stillen Alarm schlagen, geht es in der Flex-Organisation schnell: Mitarbeiter routen Bauteilkomponenten, die man sonst aus der betroffenen Region bezieht, über andere Quellen nach Althofen. Flex Althofen bleibt dadurch ein mehrtägiges Lieferloch erspart.

Ein extremes Beispiel, wie ein Softwaretool – Go-live von „Pulse Room“ war am ersten April 2016 – den Kärntnern bei der Beschaffung unter die Arme greift: Die Software, vom 2012 gegründeten Softwareunternehmen Elementum entwickelt, durchstöbert Millionen von Datenströmen aus Social Media-Kanälen wie Facebook und Twitter, aber auch Nachrichtenkanälen wie CNN. „Daraus leitet sie sehr brauchbare Handlungsanweisungen in der Lieferkette ab“, schildert Martin Reiner. Er ist Head of Operations bei Flex in Althofen und hat einen guten Einblick, wo es in der Lieferkette am ehesten mal hakt und mit Softwareunterstützung ein frühzeitiges Antizipieren oder Gegensteuern sinnvoll ist.

Die Lieferwerke sind in der Regel nicht das Problem, die seien fast immer im Takt. Mal sind es Taxistreiks, mal die Launen der Natur, die die Supply Chain erlahmen lassen. „Auch streikendes Flughafenpersonal sorgt mitunter für einen Rückstau an den Flughäfen“, sagt Reiner.

Neue Freiheitsgrade

Wie Firmen zum Informationswert von Plattformen wie Twitter und Facebook auch stehen wollen: Mit dem Pulse Room – so lautet das zufriedene Fazit in Althofen – holt sich Flex neue Freiheitsgrade in das Managen der Lieferkette. Früher gingen die verantwortlichen Mitarbeiter der Einkaufsabteilung mit dem Management lange Excel-Listen mit Hunderten Positionen – darunter Halbleiterbauteile – in täglichen Besprechungen Posten für Posten durch. Wo sind die Einkaufskonditionen günstig? Auf welche preislichen Entwicklungen muss man gefasst sein?

Das verschlang Zeit, bietet jedoch einen vollständigen Einblick in alle Winkel der Lieferkette. Jetzt visualisiert das webbasierte Tool „auf Basis unserer Stücklisten die wichtigs-ten Handlungsfelder“, sagt Martin Reiner. Ähnlich argumentiert der Elementum-Kunde BASF. Sechseinhalb Millionen Lieferungen wickelt der Chemikonzern jedes Jahr über die ganze Welt verteilt ab. Mit der Software erhalte man Transparenz entlang der gesamten Lieferkette. „Wir können Probleme identifizieren und Risiken entschärfen“, sagt Frithjof Netzer, CDO bei BASF.

Neues Ressel Zentrum

Mit den Mitteln der Digitalisierung mehr aus seiner Lieferkette herauszuholen: Das liegt im Trend. Im Vorjahr reichte die FH Steyr mit einem deutschen Automobilisten, einem Einzelhändler und drei weiteren akademischen Partnern beim Fördergeber Josef Ressel Zentrum für Echtzeitvisualisierung von Wertschöpfungsnetzwerken ein. Eine Facette der Arbeit am beantragten Zentrum soll sein, einen Bewertungsmaßstab für die Kritizität von Prozessen und Ereignissen entlang des ganzen Wertschöpfungsnetzwerks von Unternehmen zu entwickeln, der mehr (Gesamt-)Prozessstabilität bringt. „Das Ziel sind noch bessere Supply-Chain-Designs“, erklärt Markus Gerschberger, Professor und Leiter Forschung Supply-Chain-Managementam Logistikum der FH Steyr.

Mittlerweile hat das Forschungszentrum seine Bewilligung in der Tasche. Die Arbeit wird im Frühjahr starten. KI zur Prozessoptimierung. Hochkomplexe Produkte, die in einer fast unendlichen Kaskade von Prozessschritten entstehen: Auch beim Halbleiterhersteller Infineon hat die Lieferkette straff zu sein. Allerdings ist der Eigenanteil bei der Wertschöpfung so hoch, dass man derzeit nicht unbedingt daran denkt, Blogeinträge im Internet oder Trends in sozialen Medien zu durchforsten, um Flaschenhälse in der Lieferkette ausfindig zu machen.

Der einfache Grund: Mit vorgelagerten Prozessen und Partnern, egal ob in Regensburg, Dresden, Villach oder Malakka, sei man „hochgradig vernetzt“, sagt Hans Ehm, Lead Principal Supply Chain bei Infineon. Die Prozesskette ist dank Monitorings, statistischer Prozesskontrolle und Simulationen top in Schuss. Neue Erkenntnisse erwarte man sich weniger von sozialen Netzen (Ehm: „Da besteht die Gefahr von Tautologien“), sondern von künstlicher Intelligenz: Die Prozesse noch stärker routinemäßig zu automatisieren, „birgt großes Potenzial“, sagt der Supply-Chain- Profi.

Echtzeit-Überwachung

In die etwas fernere Zukunft blickt auch Flex in Althofen. Es ist ein lernendes System: Den Filter, welche Events für das Unternehmen von Relevanz sind, definieren die Mitarbeiter, die mit der Software arbeiten. Vorfälle, die ihnen maßgeblich erscheinen, können sie als Thema im System hinterlegen. „Damit fließt die Information an alle Follower, also Personen im Flex-Verbund“, erläutert Reiner. Nun arbeitet Flex aktuell daran, über ein weiteres Elementum-Tool („Elementum-Transport“) auch seine Transportrouten in Echtzeit zu überwachen.