Energiepreise : Fracking: Politik unter Zugzwang

Steve Butler ist ein sympathischer, kumpelhafter Typ. Der hemdsärmelige Amerikaner zieht durch die Provinz und kauft verarmten Farmern Grundflächen ab. Sie sind dankbar für die vielen Dollars und unterschreiben gern – bis sie erfahren, was vor ihrer Haustür wirklich passiert: Schiefergasförderung. Für die Bauern bedeutet der Begriff verseuchte Böden und vergiftetes Trinkwasser. Bald liegen die Nerven blank. Der daraufhin stattfindende verzweifelte Kampf der einfachen Bürger gegen den Weltkonzern ist Fiktion – dramatisch in Szene gesetzt von den Hollywood-Meistern Gus van Sant und Matt Damon in dem Film „Promised Land“.

Obama gewendet

Das Hollywood-Epos, das 2012 mit reichlich Vorschusslorbeer auf den Markt kam, war ein kommerzieller Flop. Möglicherweise, weil sich der Film um eine klare Position gegen die Fördermethode herummogelt. Vielleicht auch, weil sich die öffentliche Meinung in den USA langsam dreht: Selbst US- Präsident Barack Obama, zur Wahl 2008 als ausgesprochener Frackinggegner angetreten, schwärmt mittlerweile von dem Aufschwung, den Amerika dank der dramatisch weiterentwickelten Technologie des Fracking erlebt hat. Die Energiepreise sind in fünf Jahren um über 50 Prozent gesunken. Mehr noch: Der ehemals größte Energieimporteur der Erde fördert erstmals wieder mehr als er importiert. Laut der US-Energieagentur EIA liegt das Fördervolumen des Landes heute bei 8 Millionen Barrel Rohöl – pro Tag. Bereits 2015, so die Internationale Energieagentur IEA, könnten die USA das geopolitische Sorgenkind Russland als weltgrößten Ölförderer ablösen.

Solche Jubelmeldungen wecken Begehrlichkeiten. Etwa bei der energieintensiven europäischen Industrie. Strom kostet hierzulande etwa doppelt so viel wie in den USA, Gas ist fast drei Mal teurer. Zwar freuen sich auch in Österreich einige hochspezialisierte Unternehmen laut über den Fracking-Aufschwung. Etwa Geislinger, ein Hersteller von Drehschwingungstechnologie aus dem Flachgau in Salzburg, der 80 Prozent aller US-Frackinganlagen mit Pumpensystemen beliefert.

Doch die meisten Stahl-, Metall-, Chemie-, Baustoff- oder Papierunternehmen müssen mitansehen, wie das billige Frackinggas Nordamerikas die Wettbewerbsvorteile am Weltmarkt wegschwemmt. „Es ist derzeit unmöglich, mit dem Mitbewerb aus Nordamerika mitzuhalten“, konstatiert Mark Garrett, Konzernchef des heimischen Chemieriesen Borealis. Wer kann, übersiedelt daher in die Nähe der Bohrtürme. So baut der Industriegasekonzern Linde gerade in Texas um 200 Millionen Dollar eine neue Anlage. Voestalpine-Chef Wolfgang Eder, der derzeit 550 Millionen Euro in den Bau einer neuen Direktreduktionsanlage in Texas investiert, denkt sogar laut über die Zukunft des Firmensitzes in Linz nach.

Brüssel, London, Warschau dafür

Angesichts dieser Entwicklung bröckelt die ablehnende Haltung von Europas Politik. So warnt etwa EU-Energiekommissar Günther Oettinger immer wieder vehement vor einer Ablehnung der Technologie. „Europa riskiert die Deindustrialisierung“, sagt Oettinger, der Ende Mai zum von INDUSTRIEMAGAZIN veranstalteten Industriekongress in Wien kommt. Auf EU-Ebene machen vor allem die Staaten Großbritannien und Polen Druck – der mittlerweile Wirkung zeigt. Die EU-Kommission sprach sich im Januar erstmals in einer Empfehlung grundsätzlich für die Schiefergasförderung aus. Auch wenn in Österreich nach massiven Protesten 2012 verbindliche Umweltverträglichkeitsprüfungen eingeführt wurden (woraufhin die OMV die geplante Förderung im Weinviertel fallen ließ), in Polen soll 2015 mit der Förderung begonnen werden. Die Regierungen von Großbritannien, Ungarn und Spanien haben zuletzt Förderlizenzen erteilt.

Neue Technologien könnten die öffentliche Meinung vielleicht auch bald bei uns drehen. Denn die bislang schmutzige Fördermethode wird offenbar zunehmend verträglicher. Etwa über eine Entwicklung, die an der Montanuni Leoben gemacht wurde und die derzeit international Beachtung findet: Fracking ohne Gift, so genanntes grünes Fracking. Der maßgebliche Entwickler dahinter ist Herbert Hofstätter, der nach 27 Jahren in der Erdölindustrie in die Forschung zurückgekehrt ist. Das Besondere seiner Bohrmethode: Statt des toxischen Chemiecocktails würden biologisch abbaubare Produkte eingesetzt. Hofstätter: „Die benötigten Flüssigkeiten bestehen ausschließlich aus umweltverträglichen Materialien, die bereits jetzt Standardprodukte in unserem Alltag sind und zu 100 Prozent kompostiert werden können.“ Gibt es grünes Licht der Behörden, soll der erste Feldversuch noch heuer starten.

Nicht übertragbar

Dass am alten Kontinent ein Förderboom wie in den USA möglich sein könnte, glauben nicht einmal die größten Optimisten. Denn einerseits ist Europa geologisch völlig anders aufgebaut als die USA. In Texas oder North Dakota reicht oft schon eine Bohrung von 1000 Metern – im Weinviertel liegt das Schiefergas in 5000 bis 6000 Metern Tiefe. In Polen, wo mit 345 Milliarden Kubikmetern für europäische Verhältnisse gigantische Vorkommen vermutet werden, wird aufgrund der tiefen Bohrung mit etwa drei Mal so hohen Kosten kalkuliert wie in Nordamerika.

Und das Ergebnis der Probebohrungen war, bei aller Euphorie, bisher eher mager. In Polen wurden bis dato 51 Probebohrungen abgeschlossen. Eine einzige davon hat sich als kommerziell nutzbar herausgestellt – mit einem jährlichen Volumen von 3,5 Millionen Kubikmetern. Polens oberster Geologe Piotr Wozniak gab sich daraufhin zerknirscht: „Gemessen an den Erwartungen ist das nicht allzu viel.“ Was bleibt, ist der geopolitische Faktor: Ein Blick auf die Landkarte der Vorkommen von Schieferöl und -gas zeigt: Gerade jene Länder, die derzeit am meisten unter der Abhängigkeit von russischer Energie leiden (Polen, Ukraine, Rumänien, Ungarn, die Slowakei) könnten durch die Förderung ihrer Ressourcen an Unabhängigkeit gewinnen.

Während sich die politische Meinung in Europa schön langsam vom dogmatischen Nein zum Fracking abwendet, gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass der Frackingboom in den USA einen empfindlichen Dämpfer bekommt. Das Problem: Die Gewinnung lässt sich mit jenem Preisniveau, das derzeit in den USA herrscht, nicht mehr rentabel organisieren. Die Energieanalysten von JBC Energy in Wien, deren Expertise auch in Amerika und Nahost gefragt ist, sehen ein starkes Abflachen der Produktion in den USA.

„Beim Gas produzierten die US-Förderer bisher nahe an den Produktionskosten“, sagt David Wech, Managing Director von JBC Energy. Ein Befund, der sich dem Leser auch bei der Studie der Bilanzen der Energiemultis eröffnet. Im Vorjahr musste BHP Billiton den Wert seiner Investitionen in Frackingfelder in Arkansas um über 2,8 Milliarden Dollar herunterstufen. Auch Shell nahm 2013 eine Wertberichtigung vor, und zwar um zwei Milliarden Dollar. Die Förderfelder in Nordamerika würden auch in den nächsten Monaten keinen Profit abwerfen, so der Kommentar des Konzernchefs Peter Voser.

Flucht der Dollars

Das US-Analysehaus IHS Herold zeigt einen noch größeren Trend auf. Demnach flossen im Vorjahr 3,4 Milliarden Dollar an Investitionen in die Schiefergas- und Schieferölfelder in den USA. 2012 war die Summe mehr als doppelt so hoch. Und 2011 betrug sie das Zehnfache – ein rasanter Abstieg also, wie das „Wall Street Journal“ konstatiert. Die Flucht der Dollars aus dem Fracking-Boom ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass bei dieser Technologie laufend neue Bohrungen notwendig sind – und damit ständig frisches Kapital gebraucht wird.

Ist dies das Ende des Booms? Experten beider Seiten gehen nicht davon aus. Aber selbst die Optimisten unter den Frackingbefürwortern gehen davon aus, dass sich das derzeitige Preisniveau in Nordamerika nicht halten lässt. Denn der Fracking-Boom hat in den USA ein Überangebot an Energie bewirkt – und während amerikanische Preise weiter in den Keller rauschen, bleiben Energiekonzerne auf ihren Milliardeninvestitionen sitzen. Die Unternehmen des Landes drängen daher vehement darauf, endlich das Exportverbot für Energie aufzuheben, weil sie von den höheren Weltmarktpreisen profitieren wollen. Washington hat bereits reagiert.

Mitte Februar wurde erstmals in der Geschichte des Landes das Exportverbot gelockert und zwei Lizenzen für Ausfuhren nach Großbritannien und Italien erteilt. Im Zuge der Auseinandersetzungen der Ukraine mit Russland um die Ostukraine wird die Belieferung Westeuropas durch US-Flüssigerdgas jetzt auch nachdrücklich von US-Politikern sowie auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel als Alternative zum russischen Erdgas für die europäische Energieversorgung ins Spiel gebracht.

Russland triggert US-Exporte

Die geopolitischen Spannungen mit Russland werden dazu führen, so erwarten Experten, dass die USA in Kürze weit mehr Energieausfuhren erlauben. Kommt es zu höheren Exporten, dürfte das unweigerlich einen Anstieg der US-Energiepreise nach sich ziehen. Trotzdem geht die Mehrheit der Energieexperten heute davon aus, dass Energie in den USA über viele Jahre hinaus billiger bleiben wird als in Europa. IEA-Chef Fatih Birol warnt hier schon vor einem „strukturellen“ Nachteil und rät wieder einmal zu mehr Atomkraft. Gleichzeitig aber prognostiziert die IEA in ihrem jüngsten „World Energy Outlook“, der Fracking-Boom in Nordamerika werde zumindest beim Öl nicht über 2020 hinaus anhalten – danach rückt wieder der Nahe Osten ins Zentrum der globalen Energieversorgung.

Der Fracking-Boom in Amerika, so scheint zumindest manchen, hat ein Ablaufdatum. Die Verheißungen des Wirtschaftsbooms durch preiswerte Energie von Schiefergas, so meinen diese, seien vielleicht auch nur dramatisch in Szene gesetzt, wie das Hollywood-Epos „Promised Land“. Und könnten, wie der Film selbst, ein kommerzieller Flop sein.

Rund ein Drittel der heimischen Erdgasförderung wurde mit Hilfe der Fracking-Technologie erschlossen – ein Fakt, der in der Diskussion um die Fördermethode meist untergeht. Die Methode des Hydraulic Fracturing (hydraulisches Aufbrechen) erzeugt Risse im Reservoirgestein im tiefen Untergrund, mit dem Ziel, dass dort lagernde Gase oder Flüssigkeiten leichter und beständiger zur Bohrung fließen und gewonnen werden können. Während die Erschließung mit Fracking gang und gäbe ist, wird jedoch nicht mit der umstrittenen Bohrmethode gefördert.

Grünes Fracking

Eine neue Fracking-Fördermethode aus Österreich, die in Leoben entwickelt wurde, könnte das Image der Fracktechnik wandeln. Für das neuartige Stimulations-verfahren werden biologische Produkte wie Stärke oder Kaliumkarbonat (Dünger) eingesetzt. Die Spülung des erbohrten Materials soll so, sagt Herbert Hofstätter von der Montanuni Leoben, vollständig biologisch abbaubar sein.

„Wir haben die Laborarbeiten im Wesentlichen abgeschlossen und extern überprüfen lassen. Die Ergebnisse sind sehr erfreulich und wir sind nun für den ersten Feldversuch bereit, den wir im heurigen Jahr durchführen wollen“, sagt Hofstätter.

Europa braucht dringend mehr Gas. Die teure Energie wird für Europa zum immer größeren Standortnachteil. Für Europas Industrie ist es unmöglich, mit Mitbewerbern mitzuhalten, die mit Gaspreisen produzieren, die nur einen Bruchteil jener Europas ausmachen.

Es wird Zeit, diesen Standortnachteil zu beseitigen. Schiefergas ist durchaus eine von mehreren attraktiven Energiequellen für Europa in der Zukunft. Klar ist: In Europa wird die Schiefergasförderung noch Zeit brauchen. Erstens gibt es keine vergleichbare bestehende Infrastruktur. Zweitens steht Europa aufgrund der höheren Umweltauflagen vor größeren Herausforderungen beim Abbau von Schiefergas. Der dritte Grund sind die geologischen Voraussetzungen, die die Schiefergasförderung in Europa ungleich schwieriger, aufwendiger und teurer machen als in den USA. Die ersten Schiefergasbohrungen in Polen haben gezeigt, dass das Gestein kompakter und schwieriger zu knacken war. In den USA gab es bereits zehntausende Bohrungen und im Rest der Welt erst 200.

Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es weitere Länder probieren werden, zum Beispiel die Ukraine. Aus den genannten Gründen bin ich allerdings der Meinung, dass ein möglicher Wandel hin zu diesen Energiequellen langsamer kommen wird als in den USA. Für Europa ist es noch ein weiter Weg.

Die Zukunft der Energieversorgung in Europa ist auch Thema beim INDUSTRIEKONGRESS am 13. Mai im Wiener Leopold Museum.