Digitale Schrittmacher : Fill-CTO Alois Wiesinger: „Ein Hallenschiff nur für F&E“

Alois Wiesinger, Technikchef des Innviertler Maschinenbauunternehmens Fill
© Fill

Durch einen Entwicklungsstandort wie jenem in Gurten zu führen, kann schon mal ein situativer Verhandlungsvorteil sein. 2017 sah sich ein Forscherteam um die australische Wissenschafterin Bronwyn Fox nach einer innovativen Technologie zur Produktion von Bauteilen aus Composite-Materialien um und fand sie - im Innviertel. Gewiss kein Zufall: Die Domänenexperten des Maschinenbauers Fill gaben der hochkarätigen Technologin und IoT-Vordenkerin der Universität Swinburne Einblick in eine 3D-Ablaufsimulation eines CAD-Prototyps. „Und wir präsentierten ein neuartiges Konzept für die Offlineprogrammierung der Maschine“, erinnert sich Fill-CTO Alois Wiesinger.

Nur wenig später war der Deal zur Lieferung einer Maschine besiegelt. Im Frühjahr 2021 soll die Anlage, an der die Hochschule auch grundlagennahe Auftragsarbeiten für die Fertigung von Strukturbauteilen aus Faserverbundwerkstoffen im Automobilbereich abwickeln will, in Betrieb gehen. Und zwar remote, was guter Planung, guten Projektmanagements und guter Techniker bedarf. Die Innviertler können dem Termin dennoch relativ gelassen entgegensehen. Haben sie bei der Fernwartung von Maschinen doch seit über 15 Jahren Erfahrung im Remote-Zugang auf Steuerungen, wie Wiesinger fast beiläufig ausführt.

Hort für Zukunftstechnologien

Die Inbetriebnahme der auf sehr kompakter Grundfläche realisierten Maschine, die unter der Bezeichnung „MULTILAYER“ Aufnahme im Fill-Portfolio fand, wird auch für jene CAD/CAM-Programmierer in Gurten, die den digitalen Zwilling der Anlage zum Leben erwecken, ein besonderer Moment. Wie andere Fachbereiche haben sie in der Fill Future Zone vor einigen Monaten ihr neues Quartier bezogen. Das in erheblichem Tempo realisierte Ausbauprojekt der Innviertler ist eines der Superlative: Auf über 6.000 Quadratmeter Fläche bündelte man im Fill-eigenen Technologiepark „Area 21“ das Engineering, die Software- und mechanische Entwicklung, Logistikcenter und drei Montagehallen für die Serienfertigung der „SYNCROMILL-Reihe“, schildert Fill-COO Günter Redhammer.

Und allein ein Hallenschiff ist für die F&E reserviert. Jüngster Output des schwer zu bremsenden entwicklerischen Drangs: Ein neues Gießverfahren - „MAGNETIC INDUCTION CASTING“ - das dem Prinzip des Niederdruckgießens folgt. Der Einsatz eines Magnetfelds und Kurzschlussstroms am Steigrohrende direkt vor dem Kokilleneintritt bringt ein turbulenzarmes, verbessertes Verfahren für den Aluguss. „Der Gießvorgang bei Alurädern oder Strukturbauteilen wird damit um einiges besser steuerbar“, erläutert Fill-Geschäftsführer Andreas Fill. Mit einem Partner, einem slowenischen Gießereilabor, habe man dafür in weiser Voraussicht ein Patent angemeldet.

Abgesichertes Datenmanagement in der Cloud.

Innovationstreiber in der Fill Future Zone sind freilich auch die Abteilungen für die Software- und Applikationsentwicklung, die zuletzt auf 20 Personen, darunter einige Hochsprachenprogrammierer, aufgestockt worden sind. Schnittstellen ins ERP oder MES zählen da schon einige Zeit zum Standardrepertoire. Was die Produktdatenerfassung sowie das Datenmanagement einerseits und die Maschinendatenerfassung anderseits betrifft, setzen die Innviertler - ganz nach den Anforderungen der Kunden - auf Trennschärfe. „Das Know-how bleibt geschützt“, heißt es in Gurten. In einem europäischen Forschungsprojekt (Boost 4.0) mit Partnern etwa aus der Automobilindustrie wurde Pionierarbeit bei der standardisierten Rückführung von Daten ins Engineering geleistet. Mit Fill CYBERNETICS haben die Innviertler zudem eine Cloud-basierte Infrastruktur für die vorausschauende Wartung und Qualitätsprüfung etabliert.

„Wir beginnen gerade damit, mit Pilotkunden erste Daten auf die Plattform zu transferieren“, sagt CTO Alois Wiesinger. Parallel dazu wird mit der Linzer Tributech, ein auf sichere Peer-to-Peer-Software spezialisiertes Startup, an einer Lösung geschraubt gefeilt. Der hier zugrundeliegende Blockchain-Ansatz soll die Auditierbarkeit von geteilten Daten gewährleisten „und das Vertrauen in die Cloud-Technologie erhöhen“, so Wiesinger. Zugleich könnte in Zukunft ein Pay-per-Use-Modell auf diese Weise schlüssig aufgesetzt werden.

KI bereits im Einsatz

Apropos Zukunft: Die dürfte bei Fill mittelfristig den stärkeren Einsatz von Künstlicher Intelligenz bringen, wiewohl die Innviertler punktuell schon heute darauf setzen. So kommen Deep-Learning-Algorithmen dort zum Einsatz, wo die herkömmliche Bildverarbeitung an ihre Grenzen stößt: Bei der Identifikation von Lunkern etwa, Hohlräumen, die sich bei der Erstarrung gegossener Teile in Ausnahmefällen bilden können. Ein Diplomand der TU Graz, der sich dieser kniffligen Materie annahm, ist mittlerweile fester Mitarbeiter bei Fill.

Einem Betrieb, der sich seiner Verantwortung als Leitbetrieb der Region demnach also auch in Sachen Ausbildung stellt. Ein generationenübergreifender Think tank, der auch wegen eines 360-Grad-LED-Wall das Zeug zum „coolsten Klassenzimmer Europas“ (O-Ton Andreas Fill) hat, wurde kürzlich eröffnet. Im Sommer fand hier im Future Lab gestaffelt der erste Unterricht für wissenshungrige Elementar- und Primarschüler in Form von Workshops in acht Lernmodulen von VR über Mobilität bis zur Robotik statt. Bei den 14-Jährigen soll - geht es nach Alois Wiesinger - künftig freilich nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein. „Wir wollen auch Kunden und Partner in ein Schulungsprogramm integrieren“, hört man in Gurten.