INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Professor, US-Konzerne treiben seit Jahren mit enormen Mitteleinsatz die Weiterentwicklung der Quantentechnologien. Jetzt ist auch Europas Politik auf den Plan gerückt: Eine Millarde Euro wird über einen Zeitraum von zehn Jahren in die Erforschung und Weiterentwicklung der Technologien gesteckt. Ein guter Anfang?
Blatt: Es war nicht leicht, die europäische Politik von diesem Vorhaben zu überzeugen. Die Maßnahmen kommen wohl gerade noch rechtzeitig. Wollen wir hoffen, dass die Mittel schlagkräftig eingesetzt werden.
US-Unternehmen wie Google, HP oder Microsoft stecken jedes Jahr Millionen in die Weiterentwicklung von Number Crunching, der schnellen Abarbeitung numerischer Aufgaben. Und in den USA gibt es den militärisch-industriellen Komplex, der schnell Startkapital bereitstellt. Ein ungleicher Kampf?
Blatt: Wissenschaftliche Fragen werden in den USA oftmals von militärischen überlagert, die rasche industrielle Verwertbarkeit ist in den USA wichtiger. In Europa läuft es anders: Man denkt viel breiter. Das ist erfreulich: Die europäische Roadmap wurde konsequent weiterentwickelt. In Amerika tritt sie am Stand.
In wenigen Jahren will Ihre Arbeitsgruppe im Labor mittels Ionenfallen Quantenrechnungen realisieren, die auf klassischen Computern nicht mehr möglich sind. Von einer Revolution wollen Sie trotzdem nicht sprechen....
Blatt: Die Quantentechnologie wird ein weiteres Hilfsmittel sein, mit zugegebenermaßen weitreichenden Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft. Denn um bestehende Technologien zu übertrumpfen, benötigen Sie eine ganz neue Physik. An der arbeiten wir.
Am Horizont sieht die Industrie bereits in Riesenschritten Supercomputer heranrücken, die das Rechnen, Messen und Simulieren um mehrere Potenzen beschleunigen. Als gut geerdeter Experimentalphysiker fällt ihr Urteil vermutlich nüchterner aus.
Blatt: Ich gebe Ihnen vom grundsätzlichen Standpunkt recht, dass die Einführung von Quantentechnologien in der Industrie viel nachhaltiger und längerfristiger wirken wird als etwa eine neue Netzwerktechnik. Auch die wissenschafltichen Erkenntnisse durch diese neue Werkzeugkiste werden gewaltig sein. Irgendwann wird Quantentechnologie jeder Maschine zugrundeliegen. Doch noch ist es nicht so weit. Bis ein Quantencomputer die klassischen Computer ersetzt, wird es noch Jahrzehnte dauern. Dass wir die Welt in wenigen Jahren komplett neu aufstellen, ist Quatsch!
Quantenrechner sind lauffähig, aber sie machen Fehler.
Blatt: Neue Protokolle werden dazu beitragen, die Fehler zu korrigieren. Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich intensiv mit der Aufgabenstellung. Und in Europa gibt es über 2000 Quantenphysiker. Da arbeiten einige an konkreten Lösungen.
Was braucht es noch?
Blatt: Die Grundlagenforschung ist zu einem großen Teil gemacht, aber längst noch nicht abgeschlossen. Für die tatsächliche Einführung von Quantentechnologien im breiten Raum braucht es neben Forschungsergebnissen auch Akzeptanz. Und dann erste Anwendungen. Das ist auch ein Ausbildungsthema. Es braucht Techniker, die wissen, was Quantentechnologien können und wo sie realistischerweise einsetzbar sind. Und Quanten-Toolkits, mit denen sie experimentieren können.
Was uns zu den Anfängen der Quantentechnologie im Produktiveinsatz führt. Wie werden die aussehen?
Blatt: Es wird ein evolutionärer Prozess sein. Denkbar ist, dass klassische Computer zunächst mit einer ersten Quantenkomponente ausgestattet werden und so die Rechenleistung optimieren. Und so gelangt man Stück für Stück die Strickleiter hoch.
Stichwort Chipherstellung: Scharren Erzeuger schon in den Startlöchern?
Blatt: Zum Halbleiterhersteller Infineon stehen wir seit zwei Jahren in Kontakt. Es gibt eine erste Kooperation rund um die Idee, in Villach erste Fallenchips für uns herzustellen. Ob mehr draus wird, wird man sehen.
Den deutschen Physiker Werner Heisenberg zog es in die Tiroler Bergwelt, wenn er in Ruhe über quantentheoretische Vorgänge nachdenken wollte. Tun Sie es ihm gleich?
Blatt: Ich gehe gern in die Berge. Will man sich Klarheit über gewisse Zusammenhänge verschaffen, braucht es eine gewisse Muße. Und die bekommt man auch in der Natur.
Danke für das Gespräch!