Stahlindustrie : EU veröffentlicht neue Vorschläge zum Schutz der Stahlbranche

Die EU-Kommission hat neue Maßnahmen gegen Dumping und Billigimporte auf dem Stahlmarkt vorstellt. Der Schritt war im Vorfeld erwartet worden - INDUSTRIEMAGAZIN.at berichtete.

Nun liegen die ersten Vorschläge auf dem Tisch - doch eine endgültige Entscheidung ist nicht dabei. Ein für die Branche zentraler Aspekt ist der Vorschlag der EU-Kommission, die umstrittene „Lesser Duty Rule“ auszusetzen. Das ist die in der EU gültige „Regel des geringsten Zolls“, durch die Schutzzölle in der EU niedriger sind als in anderen Ländern. Zudem will die EU-Kommission ein Frühwarnsystem für Stahlimporte einführen, die europäischen Produzenten schaden könnten. Auch höhere Antidumpingzölle sollen unter bestimmten Umständen möglich werden.

Allerdings müssen die Vorschläge nun auch den EU-Rat passieren, in dem in der Vergangenheit mehrere Staaten gegen die Aussetzung dieser Regel gewesen sind. Im EU-Rat ist die Situation der europäischen Stahlindustrie am am 17. und 18. März auf der Agenda.

Der deutsche Fachverband Wirtschaftsvereinigung Stahl hat die Schritte deshalb grundsätzlich begrüßt. Allerdings meint dazu Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident des Verbands: "Jetzt sollten den Worten die entsprechenden Taten folgen." Die Aussetzung der "Lesser Duty Rule" sei "zwar ein richtiger Schritt“, so Kerkhoff, „doch es ist ebenso wichtig, dass die Europäische Kommission nun zeitnah und wirkungsvoll im Rahmen der bestehenden Handelsschutzinstrumente agiert.“ Im Stahlsektor könnte Dumping wirksamer bekämpft werden als es gegenwärtig der Fall sei.

„Lesser-duty-rule“ steht weiter zur Debatte

Die EU-Kommission hat bereits 37 Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen in Kraft gesetzt, 16 davon gegen China. Auch die sogenannte Regel des niedrigeren Zolls steht weiter zur Debatte.

Wie es zuletzt geheißen hat, kann sich Brüssel vorstellen, diese „lesser-duty-rule“ zu streichen. Die Regel sieht vor, dass, wenn ein Zoll verhängt wird, für diesen die Höhe der Dumpingspanne oder der Schadensspanne für die EU-Wirtschaft maßgeblich sind - je nachdem, welche niedriger ist. Künftig soll durch die Streichung der Regelung noch höhere Anti-Dumping-Zölle möglich werden.

Stahlkocher schlagen Alarm

Unterdessen schlagen Stahlkocher Alarm: Billigimporte aus Übersee und ein dramatischer Preisverfall schüren massive Zukunftsängste. 2016 werde zum "Schicksalsjahr der Stahlindustrie", heißt es mittlerweile in der Branche. Arbeitnehmervertreter wie beispielsweise der Betriebsratschef der Dillinger Hütte, Michael Fischer, warnen sogar bereits vor einem "Ende der europäischen Stahlindustrie".

Der rasante Verfall der Stahlpreise hat bereits tiefe Spuren in den Bilanzen hinterlassen: Der Chef des größten deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp, Heinrich Hiesinger, hatte die Aktionäre zuletzt auf eine besorgniserregende Lage in der europäischen Stahlindustrie eingestimmt. ThyssenKrupp rutschte in den ersten drei Monaten des laufenden Geschäftsjahres 2015/16 (per 30. September) wieder in die roten Zahlen. Mit einem dicken Minus schloss der deutsche Konkurrent Salzgitter das Jahr 2015 ab. Beim weltgrößten Stahlkocher ArcelorMittal stand unterm Strich ein Milliardenverlust.

Auch die Besten bekommen den Einbruch mit

Auch nach Einschätzung ihres deutschen Branchenverbands kann sich die deutsche Stahlindustrie der anhaltenden Krise auf dem Stahlmarkt derzeit nicht mehr entziehen. Selbst die wettbewerbsfähigen deutschen Hersteller litten mittlerweile unter der "dramatischen Entwicklung", beklagte der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff.

Die wichtigste Ursache der Situation ist bekannt. Geert van Poelvoorde, Chef der europäischen Flachstahlsparte von Arcelormittal, wird bei der Nennung der Ursachen recht eindeutig: "Das Problem kommt komplett aus China". Die Überkapazitäten des Landes lägen inzwischen bei 400 Millionen Tonnen, so der Stahlmanager.

Skepsis wegen der Ankündigungen aus Peking

Mehrmals hat Peking sein Vorhaben bekräftigt, in den nächsten Jahren vor allem in der Stahlindustrie und bei der Kohleförderung die massiven Überkapazitäten des Landes abzubauen - und dabei auch hunderttausende Jobs in der Stahlindustrie zu streichen.

Doch die europäische Stahlbranche bleibt skeptisch. So meint Hans Jürgen Kerkhoff von der Wirtschaftsvereinigung Stahl, die Industrie in Deutschland begrüße grundsätzlich jede Initiative, die geeignet ist, die massiven Überkapazitäten in China zu reduzieren.

Allerdings seien in den vergangenen Jahren immer wieder Pläne zum Kapazitätsabbau von der chinesischen Regierung angekündigt worden, die nie erfolgreich gewesen seien. "Auch diesmal befürchten wir, dass die Überkapazitäten infolge der anhaltenden Immobilienkrise weiter steigen werden", sagt er.

Massive Überkapazitäten auch in Europa

Doch während die Branche die Schuldigen für die Misere bisher weitgehend in China sucht, weisen Kritiker auf massive Überkapazitäten auch vor der eigenen Haustüre hin.

So verweist der Chef des heimischen Stahlkonzerns voestalpine und Präsident des Weltstahlverbands, Wolfgang Eder, neben den Problemen mit den chinesischen Importen auch auf anhaltende Probleme in Europa hin.

Es dürfe nicht übersehen werden, dass die Branche schon seit Jahren auch in Europa selbst erhebliche strukturelle Überkapazitäten ausweise und darüber hinaus immer stärker unter der industriefeindlichen Klima- und Energiepolitik der EU leide, sagte Eder.

Nachdem in Europa noch in den "fetten Jahren" bis 2008 Kapazitäten aufgebaut worden seien, sei nun der Widerstand gegen einen Kapazitätsabbau auch in Europa ziemlich hoch, meinte auch der Stahlexperte der Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), Roland Döhrn: "Das sind ziemlich viele Arbeitsplätze auf einem Haufen."

(red / dpa, Jörg Fischer und Uta Knapp /APA)