Hintergrund : EU schlägt gemeinsamen Wirtschaftsraum für den Balkan vor

Können die sechs Balkan-Länder Serbien, Montenegro, Mazedonien, Albanien, Kosovo und Bosnien-Herzegowina einen gemeinsamen Markt für rund 20 Millionen Menschen mit freiem Waren- und Dienstleistungsverkehr und geschätzten 80.000 zusätzlichen Jobs schaffen? Die Idee klingt verlockend, wurde doch auch die Europäische Union zunächst als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet.

Mit dem Konzept, das am 13. Juli beim Gipfel der Westbalkan-Staaten der Triest beschlossen werden soll, will die EU die sechs Länder, die alle im Prinzip eine Perspektive für einen EU-Beitritt haben, noch mehr Eigenverantwortung übertragen.

Brüssel will frühere Fehler vermeiden

"Alle diese Staaten sollten vollwertige Mitglieder der EU vom ersten Tag an sein", betonte EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn in Belgrad. Dies bedeute, dass die Beitrittskandidaten vom Balkan bis zu einem EU-Beitritt wirtschaftlich gute Leistungen bringen müssten, aber auch ihre Rechtsstaatssysteme und ihre Grundwerte in Ordnung bringen müssten, führt der österreichische EU-Kommissar weiter aus.

Anders als vor der großen EU-Erweiterungsrunde 2004 schwirren keine möglichen Zieldaten für die Balkanstaaten herum. Und nach den EU-Beitritten von Rumänien und Bulgarien im Jahr 2007 will die EU nun auf jeden Fall vermeiden, dass nach der Aufnahme noch einmal die Justizsysteme kontrolliert werden müssen.

Aktuell dazu:

Albanien und Kosovo wollen einen gemeinsamen Binnenmarkt >>

Dass etwa Serbien wie angepeilt den EU-Beitritt 2020 schaffen kann, gilt in Brüssel als unwahrscheinlich. Mazedonien, Bosnien und Albanien führen noch gar keine konkreten EU-Beitrittsverhandlungen. Und zwischen Serbien und Kosovo herrschen dieser Tage schwere Spannungen, von einer Normalisierung sind beide Seiten noch weit entfernt.

Serbiens Regierung ist sehr für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum

Stärkster Verfechter eines regionalen Wirtschaftsraums am Balkan, der über das bisherige regionale Handelsabkommen CEFTA hinausgehen soll, ist Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vucic. "Wir sind alle klein in der Westbalkanregion", sagt er. Ein gemeinsamer Markt würde nicht nur nach Serbien, sondern auch in die anderen Balkan-Länder Investoren zeigt er sich überzeugt. Dennoch gebe es in der Region Skepsis gegenüber der Schaffung eines solchen Wirtschaftsraums, weil es als "eine serbische Idee" gesehen werde, sagt Vucic.

Diplomaten zufolge fürchten die anderen Balkan-Länder, dass Serbien in einem solchen Wirtschaftsraum seine Dominanz ausspielen könnte. Nur Albanien befürworte gleichermaßen den gemeinsamen Markt, während etwa Montenegro um seine Vorreiterrolle auf dem Weg in die EU bange.

Auch die internen Herausforderungen zur Schaffung von Wirtschaftswachstum sind enorm: So müssten Staatsmonopole in den Bereichen Energie und Verkehr aufgebrochen werden, intransparente Staatsbeihilfen abgebaut werden, die Korruption wirksam bekämpft, mehr Geld in Bildung investiert und der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft weiter zurückgedrängt werden.

Kritik am Schwarz-Weiss-Denken

"Wenn die Staaten der Region auf dasselbe Handelsniveau zurückkommen würden, das sie vor dem jugoslawischen Bürgerkrieg hatten, würde sich der Handel binnen eines Tages verdoppeln", sagt Oliver Klabunde von der für Erweiterung zuständigen Generaldirektion in der EU-Kommission. "Geld ist nicht das Problem", meint der montenegrinische Internet-Unternehmer Predrag Lesic. "Das Problem ist in erster Linie unsere Mentalität. Jugoslawien war ein sozialistisches Land, leider haben die meisten Menschen noch immer diese Denkart."

Auch Hahn kritisiert das Schwarz-Weiß-Denken in der Region, sich entweder als Gewinner oder Verlierer zu sehen, und mangelnde Kompromissbereitschaft. Der EU-Kommissar sah sich in Belgrad gezwungen, Befürchtungen entgegenzutreten, wonach durch das Wirtschaftsraum-Konzept der EU-Beitritt der sechs Staaten noch weiter auf die lange Bank geschoben würde. Im Gegenteil - es gehe auch um die Vorbereitung der Region auf Zugang zum EU-Binnenmarkt, versicherte er. Dies sei jedenfalls "kein Ersatz" für die versprochene EU-Mitgliedschaft.

EU ist mit großem Abstand der wichtigste Handelspartner in der Region

Und noch etwas will Hahn ändern. Dass die EU mit Abstand der wichtigste Handelspartner der sechs Balkanländer sei, und Russland trotz entgegenlautender Meldungen seinen wirtschaftlichen Einfluss in der Region nicht ausgebaut habe, müsse auch von den Leadern in der Region besser kommuniziert werden, "um das Bild zu korrigieren" forderte er.

Dazu sollte sich auch die EU auf wenigere, aber dafür sichtbarere Projekte konzentrieren. Ein solches Projekt besuchte Hahn umgehend. In Novi Sad nahm er am feierlichen Startschuss des Wiederaufbaus der im Krieg gegen die NATO 1999 zerstörten Zezelj-Eisenbahnbrücke teil. Die EU hat den Brückenbau mit 35 Millionen Euro unterstützt.

(von Thomas Schmidt, APA / red)