Chemieindustrie : EU-Chemikalienverordnung Reach trifft jetzt auch KMU

Für Harald Dessl vom Pulverlack-Hersteller Tiger Coatings ist Reach („Registrierung, Evaluierung und Authorisierung von Chemikalien“) weniger bedrohlich als lästig. Jeden Tag landen bei ihm mindestens fünf Anfragen, in denen sich seine Kunden erkundigen, ob bei Tiger mit Reach auch alles seine Richtigkeit hat. „Das ist zum Selbstläufer geworden – jeder soll jedem alles bestätigen.“ Dabei ist Tiger als nachgeschalteter Anwender derzeit nur indirekt betroffen: Das Welser Unternehmen stellt aus eingekauften Grundstoffen Pulvermischungen her, musste daher auch keine Stoffe registrieren. Dafür trifft es die mit Reach verschwisterte EU-Verordnung CLP (zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von gefährlichen Stoffen und Gemischen) voll. Hier geht es vor allem um die Kommunikation entlang der Lieferkette. Spätestens bis 2015 muss Tiger sämtlichen Kunden mitteilen, wie sie mit den von Tiger bezogenen Produkten richtig umgehen sollen. Dazu müssen viele Mischungen neu klassifiziert und gekennzeichnet und auch die Sicherheitsdatenblätter überarbeitet werden. „Das ist schon ein erhöhter Administrationsaufwand“, so Dessl. Kommunikationsflut. Eine „Flut an Kommunikation“ bringt die Umsetzung des neuen EU-Chemikalienregimes auch für Anton Sax. Der Reach-Beauftragte der Donau Chemie „hat alle Reach-Hüte auf“ – das Unternehmen produziert und vertreibt Aktivkohle und anorganische Chemikalien für Industrieanwendungen und Wasserbehandlung; der Geschäftsbereich Kanol stellt als Lohnproduzent für Markenartikler Reinigungs- und Waschmittel, Kosmetika und Flüssigdünger her, die an Endverbraucher gehen. „Die größte Herausforderung ist, festzustellen, wo unsere Stoffe überall eingesetzt werden. Lauge wird zur Herstellung des Laugenstangerls des Bäckers ums Eck ebenso verwendet wie in Reinigern“, sagt Sax.Bisher hat die chemische Industrie hat ihre Reach-Verpflichtungen brav abgearbeitet: Rund 500 von 25.000 bei der europäischen Chemikalienbehörde ECHA in Helsinki eingelangte Registrierungsdossiers stammen aus Österreich. Elf Dossiers hat allein die Donau Chemie eingereicht. „Grundsätzlich ist Reach eine positive Sache“, meint Vorstandsvorsitzender Franz Geiger. „Aber wenn die Prozedur nicht vereinfacht wird, wird Reach in den nächsten Registrierungswellen für viele Unternehmen und kleinere Distributoren eine unlösbare Aufgabe.“ Mühsam.Mühsam ist Reach aber auch für die Großen. Roger Van der Linden, Reach-Beauftragter der Borealis-Gruppe, hat den Prozess konzernweit koordiniert. Der Aufwand war beträchtlich: „Seit 2004 hatten wir ein Team von neun Leuten an der Arbeit, die aus allen betroffenen Bereichen – vom Einkauf über die Rechts- und IT-Abteilungen bis zu den Business Units – kamen. Zusätzlich gab es in den einzelnen Geschäftsbereichen Unterteams, die sich mit Stoffgruppen wie Polyolefinen oder Basischemikalien beschäftigten. Das waren noch einmal 25 Leute.“ Was seiner Einschätzung nach gut klappte. Borealis hat bis zum Ende der ersten Reach-Phase vergangenen Dezember rund 70 Stoffe registrieren lassen. Billig war das nicht. Allein die Prüfkosten, etwa für (Öko-)Toxizität, würden sich bei einem völlig ungetesteten Stoff auf „einige Millionen Euro“ belaufen, sagt Van der Linden. Kostendämpfend hätten sich allerdings schon vorher vorhandene Analysen und Prüfberichte ausgewirkt, die in die Reach-Registrierungsunterlagen eingearbeitet worden seien. „Bei unseren Großchemikalien waren fast 90 Prozent schon vorhanden.“Der marktführende Chemie-Distributor Brenntag CEE hat ein anderes Problem, erläutert Geschäftsführer Albert Hart: „Ob ein Stoff von Reach betroffen ist, hängt von der jeweiligen Anwendung ab. Beispielsweise wird Koffein einerseits als Zusatzstoff in einem Getränke-Pre-Mix beigemischt und ist deshalb von der Reach-Verordnung ausgenommen, als Zusatzstoff in der Kosmetik Industrie unterliegt Koffein ihr aber sehr wohl.“ Fortsetzung auf Seite 2.

Konzentrationsförderlich.Zeit für eine Verschnaufpause gibt es nach der ersten Reach-Runde nicht, meint Christian Gründling vom Fachverband der Chemischen Industrie in der WKO: „Da in der nächsten Registrierungsphase die Tonnagen sinken, sind nun verstärkt Klein- und Mittelbetriebe betroffen.“ Weil diese nicht immer die (Personal-)Ressourcen haben, die ein größerer Hersteller einbringen kann, könnte das den einen oder anderen aus der Kurve werfen. Auch finanziell, obwohl zumindest die Datenanforderungen mit sinkender Tonnage kleiner werden und auch die Registrierungsgebühren nach Menge gestaffelt sind. Billig ist Reach für die Branche trotzdem nicht: Für einen großvolumigen Stoff, schätzt Gründling, können inklusive Registrierungsgebühren, ergänzender Studien und Prüfungen mehrere hunderttausend Euro zusammenkommen. Allerdings gibt es mit dem ebenfalls bei der ECHA angesiedelten „Forum zum Austausch von Stoffinformationen“ (Sief) ein EU-weites Branchengremium, in dessen Rahmen die Unternehmen bei der Dossiererstellung zusammenarbeiten. Die genaue Aufgaben- und Kostenteilung wird aber in privatrechtlichen Vereinbarungen zwischen den beteiligten Firmen geregelt. In diesen Arbeitskonsortien übernimmt ein (in der Regel marktführender) Hersteller die Federführung. „Hier müssen sich KMU quasi einkaufen, wenn sie einen Stoff registrieren wollen“, erläutert Gründling.Dennoch wird der Aufwand für Erstellung und Wartung der Dossiers ist bei kleineren Tonnagen immer schwerer im Preis unterzubringen sein, vermutet Tiger-Experte Harald Dessl: „In der zweiten und dritten Registrierungsphase von Reach 2013 und 2018 könnten Lieferanten die Herstellung der Produkte einstellen und damit das derzeitige Produkt-Portfolio an Endprodukten einschränken. Damit geht eine Reduzierung der Lieferantenbasis und eine Oligopolisierung des Marktes einher.“ WKO-Experte Gründling ist nicht sicher, ob immer Reach schuld sein muss, wenn künftig ein Stoff nicht mehr angeboten wird: „Das könnte auch Ergebnis einer strategischen Überlegung sein, wenn das Produkt nicht mehr rentabel ist.“ Aufräumprozess.Dessl macht sich keine Illusionen: „Das ist ein Aufräumprozess – der ein oder andere Stoff wird vom Markt verschwinden.“ Was nicht neu ist – Stoffsubstitution hat es schon öfter gegeben: „Vor 15 Jahren hat es geheißen, wir können nicht ohne Bleipigmente.“ Mittlerweile kann man. „Problematisch wird es nur, wenn ein Stoff, der in vielen Rezepturen eingesetzt wird, verboten wird. Aber danach schaut es derzeit nicht aus.“Was den Verwendern größere Sorgen bereitet: „Die eine oder andere Preiserhöhung wird auch ein Reach-Mascherl umgehängt bekommen“, ist Dessl sicher. Stehen mehrere Lieferanten zur Auswahl, könnten solche von außerhalb der EU, die ihre Stoffe (noch) nicht haben registrieren lassen, zum Handkuss kommen. Donau Chemie-Chef Franz Geiger sieht das Problem vor allem bei kleineren Tonnagen: „Bei den nächsten Schwellen werden wir überlegen, haben wir die Mengen und erzielen wir die Preise, dass es sich rentiert, einen Stoff von außerhalb der EU zu importieren? Das begünstigt letztendlich die Großen und ganz Großen.“Unangenehm könnte es auch für kleinere Hersteller und Mischungszubereiter werden, vermutet WKO-Experte Gründling, die ihren Sitz in der EU, ihren Hauptmarkt aber außerhalb haben und Kunden Preiserhöhungen nicht plausibel machen können. Fortsetzung auf Seite 3.

Mit der Registrierung unter Reach ist die Sache längst nicht erledigt. Für viele Stoffe ist ein Sicherheitsbericht erforderlich. Der Buchstärke erreichen kann, weiß Donau Chemie-Experte Anton Sax: „Das können bis zu 500 Seiten sein.“ Die Ergebnisse dieser Risikobewertung werden sukzessive mit dem neuen erweiterten Sicherheitsdatenblatt (SDB) in der Lieferkette kommuniziert. Damit kommen auf die nachgeschalteten Anwender neue Verpflichtungen zu. Diese müssen die im SBD enthaltenen Verwendungsbedingungen und Risikomanagementmaßnahmen einhalten und vor allem im Dauerdialog mit den Vorlieferanten ständig adaptieren. Was, schätzt Gründling, kaum weniger aufwändig wird als die ursprüngliche Registrierung.Noch nicht gegessen ist auch das Thema der Sicherheitsdatenblätter für gefährliche Stoffe. Die Unsicherheit spürt Brenntag-Chef Hart: „In letzter Zeit häufen sich Anfragen über die aktualisierten Sicherheitsdatenblätter.“Die Aufgabe klingt einfach: „Wir müssen für jeden Anwender klar, einfach und präzise formulieren, wie er mit dem Stoff umgehen soll“ sagt Geiger. In den Branchenverbänden wird noch heftig diskutiert, wie diese Datenblätter im Detail aussehen sollen. An sich muss für jede einzelne Anwendung eines gefährlichen Stoffs über den kompletten Lebenszyklus hinweg bis hin zur Entsorgung die potenzielle Schädlichkeit geprüft werden. Neben der Risikoanalyse müssen auch Handlungsanweisungen für den Notfall erarbeitet werden. „Das werden keine Datenblätter, sondern Handbücher von 50 bis 150 Seiten und mehr“, fürchtet Borealis-Experte Van der Linden. Die noch dazu in die Sprache jedes EU-Landes zu übersetzen sind, in das geliefert wird. Die Branche sammelt dafür gerade Standard-Textbausteine in einer Datenbank. Auch die dazugehörigen IT-Programme müssen erst noch geschrieben werden. Borealis behilft sich derzeit mit Expositionsszenarien auf Englisch.Gerade die nun geforderte intensivere Kunden-Kommunikation sieht Donau Chemie-Chef Geiger auch positiv: „Durch Schulungen kommen wir in noch engeren Kontakt zu den Abnehmern, und auch bei unseren eigenen Mitarbeitern gibt es eine Lernkurve, weil das Sicherheitsbewusstsein steigt.“ Untergebuttert fühlte er sich auch in den Reach-Konsortien nicht: „Dort hatten die Schnellen und Fleißigen das Sagen und nicht die Großen.“ WISSEN: REACH & CLPBis Ende 2018 müssen alle europäischen Hersteller ihre Stoffe bei der Chemikalienbehörde ECHA in Helsinki registriert haben.Neben einem technischen Dossier, das Einstufung und Kennzeichnung des Stoffes, Informationen zu seiner Herstellung, Verwendungsarten, Leitlinien für seine sichere Verwendung und andere Daten enthält, kann die Erstellung eines Stoffsicherheitsberichts erforderlich werden. Bei gefährlichen Stoffen müssen in einem Sicherheitsdatenblatt Expositionsszenarien ermittelt werden. Zu Jahresbeginn waren knapp 3.500 Substanzen in 25.0000 Registrierungsdossiers erfasst. Registrierungspflichtig waren Stoffe, entweder gefährlich sind oder von denen pro Jahr und Hersteller/Importeur mehr als tausend Tonnen auf den EU-Markt kommen. Für Stoffe ab hundert Jahrestonnen endet die Registrierungsfrist am 1. Juni 2013, für solche ab einer Jahrestonne am 1. Juni 2018. In der Endausbaustufe sollten rund 30.000 Stoffe registriert sein. Die Informationen zur richtigen Umgang in allen Verwendungsarten müssen übrigens die ganze Lieferkette entlang bis zum Endverbraucher durchgereicht werden. Das sieht die parallel laufende CLP-Verordnung („Classification, Labelling and Packaging“) vor. Maike Seidenberger