Chemische Industrie : EU-Behörde befürwortet Neuzulassung des Pflanzenmittels Glyphosat

Dieses Urteil der Europäischen Behörde für Ernährungssicherheit (EFSA) zur Einschätzung des Pflanzengifts Glyphosat wurde mit Spannung erwartet - von der Chemieindustrie ebenso wie von Umweltschützern. Die Entscheidung der Behörde kann für die zukünftige Verwendung des umstrittenen Giftes weitreichende Folgen haben.

Zur Info: Das Mittel wird im großen Rahmen als Pflanzengift in der Landwirtschaft angewendet und findet sich entsprechend auch in Lebensmitteln. Der Grund dafür, dass das Thema gerade wieder aufkommt ist der Umstand, dass in der EU für Glyphosat seit 2012 eine Zulassung besteht. Sie läuft Mitte kommenden Jahres aus. Alle diese Substanzen sind Gegenstand regelmäßiger erneuter Risikobewertungen. Bevor die Europäischen Kommission über den weiteren Umgang mit Glyphosat entscheidet, spricht die EFSA als die Behörde für Ernährungssicherheit einen Vorschlag aus.

Und genau diese Entscheidung ist jetzt in Brüssel gefallen: Es sei unwahrscheinlich, dass das Gift Glyphosat eine krebserregende Gefahr für den Menschen darstelle, meldet die EFSA heute. Zugleich will die Behörde eine neue Sicherheitsmaßnahme vorschlagen, um die Kontrolle von Rückständen des Gifts in Lebensmitteln zu verschärfen.

Die Entscheidung der Behörde für Ernährungssicherheit werde als Vorschlag in die Entscheidung der Europäischen Kommission über den Verbleib von Glyphosat auf der EU-Liste der genehmigten Wirkstoffe einfließen, meldet die EFSA weiter. Die Länder der EU wiederum würden die Ergebnisse daraus wiederum für ihre eigenen Bewertungen auf nationaler Ebene verwenden.

EFSA: 35 Milligramm pro Tag sind kein Problem

Glyphosat steht seit Monaten im Zentrum von Kontroversen unter Experten und Umweltschützern. Zum ersten Mal hat die Behörde auch eine sogenannte akute Referenzdosis (ARfD) für Glyphosat definiert. Gemeint ist damit eine Menge einer bestimmten Substanz in einem Lebensmittel, die kurzfristig, in der Regel innerhalb eines Tages oder einer Mahlzeit, aufgenommen werden kann, ohne dass ein gesundheitliches Risiko besteht.

Im Fall von Glyphosat sind es 0,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Bei dem Körpergewicht eines Menschen von 70 Kilogramm entspricht demnach diie "akute Referenzdosis" etwa 35 Milligramm. Damit will die EFSA eine täglich akzeptable Aufnahmemenge pro Kilogramm Körpergewicht definieren.

Abweichende Höchstmengen bei Landwirten

Während also das Pflanzengift seit Monaten in der Öffentlichkeit für Streit zwischen Verbraucherschützern und Umweltschützern einerseits und Vertretern der Hersteller andererseits sorgt, entscheidet sich ausgerechnet die Europäischen Behörde für Ernährungssicherheit dafür, die Grenzwerte um beachtliche zwei Drittel anzuheben. Denn vor der jetzt veröffentlichten "akuten Referenzdosis" galten 0,3 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht als "täglich akzeptable Aufnahmemenge". Mit der heutigen Empfehlung der Behörde sind es 0,5 Milligramm Glyphosat pro Kilogramm Körpergewicht.

Für Landwirte definiert die Behörde ganz eigene Werte, die heißen dann "gesundheitsbezogener Wert" oder abgekürzt AOEL. Dieser Wert liegt bei einem Landwirt bei 0,1 Milligramm pro Kilo Körpergewicht pro Tag. Bisher waren es 0,2 Milligramm. Das bedeutet, dass ein 70 Kilo schwerer Mensch, der mit dem Wirkstoff hantiert, nach Meinung der Behörde sieben Milligramm Glyphosat pro Tag aufnehmen kann, ohne dass es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt.

Behörde: Kein Zusammenhang mit Krebs

Jose Tarazona, Leiter des EFSA-Referats Pestizide, erklärte: "Es handelte sich hierbei um einen umfassenden Prozess - eine vollständige Bewertung, die eine Fülle neuer Studien und Daten berücksichtigte. Durch die Einführung einer Akuten Referenzdosis verschärfen wir die künftige Bewertung potenzieller Risiken durch Glyphosat. Was die Karzinogenität betrifft, so ist es unwahrscheinlich, dass dieser Stoff krebserregend ist." Auch eine Gentoxizität liege nicht vor.

"Insbesondere waren sich die Experten aus dem Mitgliedstaaten, mit einer Ausnahme, einig, dass weder die epidemiologischen Daten, also solche in Bezug auf den Menschen, noch die Befunde aus Tierstudien einen Kausalzusammenhang zwischen der Glyphosat-Exposition und einer Krebsentstehung beim Menschen aufzeigten", schreibt die EFSA.

Weltgesundheitsorganisation: Gift ist "wahrscheinlich krebserregend"

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO in Lyon hat allerdings im Frühjahr dieses Jahres Glyphosat als "wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen" eingestuft. Auf Ersuchen der Europäischen Kommission berücksichtigte die EFSA auch die entsprechende IARC-Publikation.

Verbraucherschützer und Umweltschützer haben in den vergangenen Monaten immer wieder heftig einen ihrer Meinung nach "laschen" Umgang der EU mit dem Pflanzenschutzmittel kritisiert. Entsprechend stark fällt ihre Kritik auch an dem Urteil der Brüsseler Behörde aus. Unter anderem ist von einem "Weißwaschen" der giftigen Substanz die Rede.

Greenpeace: Zweifel an der wissenschaftlichen Unabhängigkeit der Behörde

"Das Papier verlässt sich stark auf nicht publizierte Studien, die von den Glyphosat-Erzeugern in Auftrag gegeben worden sind und missachtet Hinweise aus Peer-Reviewed-Studien, wonach Glyphosat Krebs erregend ist", stellt die Umweltschutzorganisation Greenpeace fest. Dazu sagte Franziska Achterberg, verantwortlich für Lebensmittelsicherheitsfragen in der EU bei Greenpeace: "Die Feststellung der EFSA, dass Glyphosat sicher sei, stellt deren wissenschaftliche Unabhängigkeit infrage."

Der Sprecher der "foodwatch" in Berlin, Martin Rücker, meint dazu: "'Wahrscheinlich nicht' krebserregend - vielleicht aber doch? Auch nach der Einschätzung der EFSA steht die gegenteilige Bewertung der WHO-Krebsforscher weiter im Raum. Wenn die Wissenschaft keine eindeutigen Antworten liefert, muss politisch entschieden werden - und solange die Hinweise auf potenzielle Krebsrisiken nicht widerlegt sind, ist nur eine Entscheidung denkbar: Die Europäische Kommission muss dem Vorsorgeprinzip Rechnung tragen und Glyphosat die Zulassung entziehen. Für eine Neuzulassung fehlt die Grundlage." (red/apa/dpa)