Management : Entdeckung der Langsamkeit
Mit Gordon Gekko hat er wenig gemein. Michael Douglas’ Parade-Filmrolle als zahlenorientierter Manager, der niemandem – am wenigsten sich selbst – Zeit gibt: Diesem Bild entspricht Johann Risak nicht. Der jugendlich wirkende 71-Jährige erzählt mit ansteckender Begeisterung davon, wie er sich vor Jahrzehnten daran machte, seinen Ruf als Parade-Industriesanierer Österreichs aufzubauen. Als er den Auftrag übernahm, die Chemie Linz zu sanieren, rieten ihm selbst enge Freunde dringend ab. Als er Jahre später den heutigen Chemiepark Linz wieder verließ, war der Standort gesund, und frei nach dem Motto der Marines „No one gets left behind“ war das ohne massenhaften Stellenabbau gelungen. „Organische Transformation“ nennt WU-Professor Risak, was er in Linz umsetzte – und räumt ein, dass man für einen solchen Turnaround mehr Zeit benötigt, als sie Managern heute zugestanden wird. Schrumpfen der Zeit „Was sind Kosten und was Erträge?“, fragt der Soziologe Harald Katzmair, Gründer von FAS.research. „Die entscheidende Dimension, ohne die diese Frage nicht beantwortet werden kann, ist der Zeitraum.“ Als gelernter Philosoph hat er auch einen passenden Vergleich zur Hand: „Ohne Aristoteles gäbe es keine Mathematik und damit letztlich keine Computer. Aristoteles hat sich also in 2000 Jahren verwertet.“Katzmair spricht von einem „Schrumpfen der Zeit“: immer kürzere Planungshorizonte, Manager, die an Quartalsergebnissen gemessen werden, beschleunigte Zyklen und der Zwang zur permanenten Evaluierung – „und das hat natürlich auch mit dem Going-public und den Börsen zu tun, da muss man sich nichts vormachen“. Turnaround-Managern wie Johann Risak – „Optimierern“ also – eilt heute ein klarer Ruf voraus: Wenn sie kommen, rollen Köpfe. Hier geht´s weiter
Die Beschleunigung und das Kalibrieren des Handelns an den Bedürfnissen der Shareholder bilden sich in nahezu allen Managementbereichen ab, wie etwa FH-Professor und Controllingexperte Heimo Losbichler konstatiert: Die hierzulande zentrale Funktion des Controllers als „Reibebaum“ für das Management, ohne dabei selbst operativ tätig zu sein, sieht er vor allem in den USA und den angelsächsisch geprägten Ländern längst im Verschwinden begriffen. „Die Management Accountants sterben dort aus, gesucht werden eigentlich nur noch die Financial Accountants, zu deren Hauptaufgaben das externe Rechnungswesen zählt.“ Controlling für die Märkte also statt für das Management. Ausrede „Shareholder Value“? Gordon Gekko als Role-Model des Managers – eine Entwicklung, die nicht nur den Shareholdern anzulasten ist, sondern auch den Managern selbst, wie Klaus Dirnberger betont. Der Geschäftsführer von Anger Machining weist darauf hin, dass die Betonung des Shareholder Value auch Schutzfunktion haben kann: „Ich sehe viele Manager, die ganz gut damit leben, dass sie kurzfristige Erfolge heimholen und nicht den längerfristigen Proof of Concept bringen müssen.“ Gute Strategien zu entwickeln und konsequent zu verfolgen, sei nun einmal mit erheblichen Unsicherheiten verbunden, insbesondere, weil man schwache Signale erkennen, analysieren und interpretieren muss und richtig oder falsch erst später oder zu spät sichtbar werden. „Da ist es für einen Manager oft viel leichter, kurzfristige Erfolge anzustreben“, meint Dirnberger, „weil der Zusammenhang von Aktion und Reaktion besser prognostizierbar ist. Der Shareholder Value dient oft als Ausrede für eher oberflächliche Konzepte, die aber leichter kommunizierbar sind.“ „Wen kauft ihr zuerst?“ Ihre Hochblüte dürfte die Beschleunigung wohl mit dem Jahrtausendwechsel erlebt haben. Und Norbert Zimmermann schien die Bedürfnisse der Zeit zu bedienen. Als sein Unternehmen, Schoeller-Bleckmann, 2005 an die Börse ging, so erzählt der heutige Aufsichtsratsvorsitzende, waren die Analysten euphorisiert. Junge Männer, viel Selbstbewusstsein, wenig bis gar keine praktische Erfahrung – und eine Frage stellte fast jeder von ihnen: „Welche Firma werdet ihr zuerst kaufen?“ Hier geht´s weiter
SBO musste sie enttäuschen. „Wir haben uns um diese Mode des Akquirierens nie gekümmert“, sagt Zimmermann, „und wir haben auch als börsenotiertes Unternehmen unseren Fokus auf Wertschöpfung und auf die Schaffung von leistungsfördernden Bedingungen für die Mitarbeiter beibehalten – wir haben uns ganz einfach Zeit gelassen.“ Die Zeit der massiven Tempozunahme, meint Norbert Zimmermann, neige sich ihrem Ende zu. „Ich sehe Bewegung, einen gewissen Lernprozess“ – der nicht zuletzt im viel gescholtenen kapitalistischen System selbst begründet sei: „Das eben ist ja das Positive im Unterschied zu hermetischen Wirtschaftssystemen wie dem kommunistischen: Es gibt Kontrollpunkte, und an denen hat man die Möglichkeit, Kurskorrekturen vorzunehmen.“ Am Scheitelpunkt An einem solchen Scheitelpunkt glaubt Zimmermann die Wirtschaft nun angelangt – die Sinuskurve sei dabei, die Richtung zu wechseln. Bestes Beispiel, so Zimmermann: Die Veränderung der Vergütungsmodelle. Die Zeit der exorbitanten Prämien für das Erzielen von kurzfristigen Einmaleffekten scheint zu enden, Clawback-Klauseln werden Usus. Ein weiteres, viel beachtetes Signal in diese Richtung war die Ankündigung des Deutsche-Bank-Chefs Jürgen Fitschen vom September, sein Haus werde sich vom Ziel einer Eigenkapitalrendite von 25 Prozent für längere Zeit verabschieden. Und Fitschens trockener Kommentar klang überhaupt nicht mehr nach Tempojagd: „Wir sollten mit dem Thema gelassener umgehen, am Ende wird der Markt darüber entscheiden, welches Niveau angemessen ist.“ Auch die gerne als „unsexy“ diskreditierten konservativen Strategien eigentümergeführter Unternehmen erleben eine gewisse Renaissance. Nicht zuletzt, seit klar wird, dass es vor allem der Mittelstand ist, dem Länder wie Deutschland ihre Resilienz verdanken. Das positive Vorurteil, sie neigten generell eher dazu, nachhaltig zu agieren, sieht auch Klaus Dirnberger als zutreffend – und subsumiert darunter den Bereich der Konzerne, die langfristig orientierte Eigentümer haben und dem Management ebenso langfristige Perspektive und Absicherung bieten: Familienunternehmen in x-ter Generation etwa, in denen die Familienmitglieder bewusst nicht operativ tätig sind, oder auch Investments von (Ex-)Unternehmern, die dem Management eine lange Leine für plausible Vorhaben und längerfristige Strategien geben. Eine Renaissance? Durchaus. Eine echte Trendwende? „Nein“, bleibt Dirnberger skeptisch, „die sehe ich trotz der allgemein erkannten wichtigen Funktion längerfristiger Strategien leider nicht.“ Next Generation Andere sehen die Trendwende durchaus. Viktoria Kickinger etwa. Die quirlige ehemalige Post-Managerin ist Gründerin der Aufsichtsräte-Plattform INARA. Ihr Optimismus im Zusammenhang mit einer neuen Managementkultur ist beinahe ansteckend. „Ich sehe eine Gegenbewegung, und ich behaupte, dass sie bereits im Gange ist.“ Hier geht´s weiter
Jede Zeit, meint Kickinger, habe auch ihre Managertypen – und der Gekko-Typus, der die Ärmel aufkrempelt und alles zertrümmert, weiche gerade dem langfristig orientierten Typus. „Die Antwort auf die Manager, die durch die Welt ziehen und Unternehmen zurechtbiegen, lautet Nachhaltigkeit, langfristige Entwicklung, Innovationsmanagement. Und Abkehr vom entpersonalisierten Umgang mit dem so genannten Humankapital.“ Aufsichtsräte bestellten heute immer mehr Manager in Vorstandspositionen, die noch vor wenigen Jahren keine Chance gehabt hätten, meint Kickinger: „Wir sind mit einer völlig anderen Generation von Managern konfrontiert. Diese Leute strahlen das auch aus, die ruhen in sich und wirken nicht getrieben.“ Befreiter Gang Was diesen neuen Managertypus ausmacht? „Der befreite Gang“, meint Johann Risak, „wir hatten ihn schon einmal, aber er ist uns verloren gegangen.“ Hinsichtlich des erhofften Wandels ist er nicht ganz so euphorisch wie Viktoria Kickinger. Den „befreiten Gang“ wiederzuerlangen, sei vor allem Aufgabe der Manager selbst: „Das Pouvoir und die Zeit dafür bekommen sie – und zwar unabhängig von der Struktur des Unternehmens –, wenn sie die grundlegend erforderlichen Aufgaben zu lösen in der Lage sind. Dann können sie auch zukunftsorientiert agieren. Das kann jeder, er muss nur permanent in sich selbst investieren.“ Vielleicht ist es ja eine verklärte Sicht der Vergangenheit. Vielleicht auch nur eine Frage der Zeit. Kommentar: Harald Katzmair, FAS.researchDie Spielregeln bleiben dieselben Aus dem Abebben der Euphorie für das Shareholder-Value-Denken dessen Ende abzuleiten, halte ich für naiv. Zweifelsohne hat das Shareholder-Value-Management schon euphorischere Zeiten erlebt. Zu offensichtlich ist, dass in manchen Branchen die völlig übersteigerten Erwartungen der Börsen die nachhaltige unternehmerische Substanz zu gefährden beginnen. Dort, wo nicht durch neue Produkte und Kunden, sondern durch mehr und mehr „Abschlackungen“ die Renditen hoch gehalten werden, wird irgendwann die Luft draußen sein. Daraus aber ein Ende der Ära des Shareholder-Value-Denkens abzuleiten, halte ich für naiv. Immerhin sprechen wir hier von den größten Unternehmungen weltweit, also von der ganzen Weltwirtschaft. Und diese wird ihre Spielregeln der Bewertung und Kapitalisierung nicht so schnell über Bord werfen. Was allerdings passieren wird, ist, dass sich in den kommenden Jahren immer mehr Unternehmen bewusst entscheiden werden, nicht den klassischen Weg an die Börse zu gehen, um autonomer zu bleiben. Es wird auch unter den größeren Unternehmungen wieder zu einer verstärkten Diversifizierung der Landschaft kommen, Stichwort Familienbetriebe, Genossenschaften, Public-Private-Partnerships. Dieser Trend zu einer Vervielfältigung der wirtschaftlichen Unternehmens- und Managementkulturen auch bei unseren Leitbetrieben wäre aus Gründen der volkswirtschaftlichen Resilienz und Entwicklungsfähigkeit sehr wünschenswert. Denn nur auf die Spiel- und Denklogik der Märkte zu setzen, ist hochriskant, weil auf der Seite der Managementstile Monokulturen entstehen. Monokulturen verstellen den Blick auf Alternativen. Und von denen werden wir noch genügend benötigen in den unsichereren und ruppigen Zeiten, die vor uns liegen.