Elektromobilität : Wie E-Mobility der Ingenieurskunst in Steyr und Aspern zusetzt

Automotive Cover 10-2017
© Industriemagazin Grafik

Das Theater war gefüllt und die Spannung stieg stetig. Nach einleitenden Worten des VW-Kommunikations-Chefs war es soweit. Eine große graue Maus kroch auf die Bühne. Sie bewegte sich nur vorsichtig und schien das Licht der Scheinwerfer zu meiden. So sah es zumindest aus für die 1.500 geladenen Gäste, die am Vorabend der Eröffnung der Frankfurter IAA 2017 in die Halle 3 geströmt waren. Die Volkswagengruppe hatte zum traditionellen Konzernabend geladen, der diesmal mit besonderer Spannung erwartet wurde. Viele Fragen hatten sich aufgetürmt. Der Dieselskandal forderte Antworten. Und VW-Boss Matthias Müller sollte sie geben. Alle Besucher wussten: Der Konzern sucht Richtung. Und dann kam ein Nager.

Botschaft an Zulieferer

Die rollende graue Maus entpuppte sich als das autonom fahrende VW-Konzept „Sedric“, aus dem etwas umständlich Konzern-Boss Matthias Müller kletterte. Was dann in einem auf den letzten i-Punkt getakteten Vortrag folgte, entpuppte sich als Grundsatzrede, Matthias Müller skizzierte die Ausrichtung des weltgrößten Mobilitätskonzerns bis 2025. Darin akzeptiert VW die Elektromobilität als Antriebsform der Zukunft: 2025 soll jedes vierte produzierte VW-Fahrzeug „rein elektrisch“ fahren. Das wären dann an die drei Millionen e-VWs. Und Müller versprach, „bis 2030 das gesamte VW-Portfolio zu elektrifizieren“. Von jedem der „300 Modelle im Konzern soll zumindest eine Elektro-Version“ angeboten werden. Dafür seien die Wolfsburger bereit, eine Menge Geld zu mobilisieren: „Bis 2030 wird VW mehr als 20 Milliarden Euro in die Industrialisierung der E-Mobilität investieren.“ Die Entwicklung der Akku-Technologie werde dabei als Kernkompetenz des Konzerns definiert. „Wir lassen uns das Thema Batterien nicht aus der Hand nehmen.“ Der Konzern habe bereits Ausschreibungsverfahren für „Batterieproduktionen in Europa, China und den USA“ gestartet, die mit „langfristigen strategischen Partnern“ verwirklicht werden sollen. Das Projektvolumen über die Laufzeit ist das größte der automotiven Industriegeschichte: 50 Milliarden Euro. Dies sei, so Müller, „eine Botschaft an die Zulieferer, was auf sie zukommt“.

Druckresistent

Die ganze Welt spricht von der Transformation der Autoindustrie. Shared Economy, autonomes Fahren, emissionsfreie Antriebe – die Herausforderungen des digitalen Zeitalters sollen in der festgefügten Automobilwelt keinen Stein auf dem anderen lassen, so heißt es. In der realen Welt hat die Mobilitätswende außer Strategiekonzepten und Absichtserklärungen (siehe oben) noch wenige greifbare Auswirkungen gezeitigt. Auch für die Zulieferer ist auf den ersten Blick alles beim Alten geblieben: Lieferverträge werden in unveränderter Dichte ausgelobt, der Preisdruck ist wie immer immens, die Outsourcingraten steigen unaufhaltsam. Die Branche könnte sich im Erfolg sonnen, wie sie es bei den großen Autoshows im Fahrwasser der OEMs immer tut. Und dennoch herrscht Unruhe. Norbert Dressler, Partner von Roland Berger in München, sieht in Zeiten der Neuorientierung dann auch wenig Grund zum Feiern. „ Zulieferer sind in der Situation ebenso gefordert wie die OEMs.“ Denn auch für sie gehe es um die Verteidigung von Marktpositionen. Neue Herausforderer drängten auf den Markt. Nur wer den OEMs helfen könne, das Ziel der emissionsfreien Antriebsstränge, intelligenten Mobilitätssysteme oder geteilten Nutzungskonzepte schneller zu erreichen, der werde auch in Zukunft im Team der Autofertiger spielen. Ob diese Volkswagen, Daimler, PSA oder Google, Apple, BYD Auto Company heißen, sei noch nicht sicher. Aber Dressler ist optimistisch: „Zulieferer haben im System der Autoproduktion stets den flexibelsten Part.“ Die nachgeordneten Produktionspartner sind gewohnt, auf Herausforderungen schnell zu reagieren. Sie sind die Chamäleons der Branche.

Ein Beispiel für Anpassungsfähigkeit liefert derzeit Magna Graz: Die Kanadier werden im Werk Graz-Thondorf Teile der Produktion des Plug-In-Hybrid BMW 530e und des vollelektrischen Jaguar I-Pace übernehmen. Die Hybrid-Fertigung ist bereits im Juli angelaufen, jene des E-Jaguar wird im ersten Quartal 2018 starten. Damit steht Magna mit beiden Beinen im Zeitalter der E-Mobilität. Die Batterietechnologie wird beim iPace ebenso zugeliefert wie die Verbrennungsmotoren für die konventionellen 5er-BMW, die seit März vom Band laufen. Der Umstieg von fossilen Treibstoffen auf Strom trifft Magna in vielen technischen Bereichen. Aber nie ins automotive Herz – den Antriebsstrang.

Szenarien der Motorenwerke

Management und Mitarbeitern bei Opel Aspern und BMW Steyr bietet sich da schon eine schwierigere Perspektive. Auch wenn man davon ausgeht, dass 2025 noch drei Viertel aller Kraftfahrzeuge durch Verbrennungsmotoren angetrieben werden und 2030 immer noch die Hälfte – die Schätzungen variieren stärker als Wahlprognosen –, so verfügen Motorenwerke heute nur mehr über begrenzte Wachstumsaus- sichten. Damit ist der künftige Stellenwert der beiden hochproduktiven Standorte nur schwer festzumachen. Ihre Bedeutung für Österreich ist enorm: neben Magna (ab 2018: 8000 Mitarbeiter) die absoluten Schwergewichte in der österreichischen automotiven Wirtschaft. Zudem ist die Motoren- und Getriebefertigung die Königsdisziplin des Autobaus. Im Vergleich zu einem Verbrennungsmotor ist ein Elektromotor so komplex wie ein Lied von Hansi Hinterseer. Dieses Verhältnis spiegelt sich auch in der Wertschöpfung wider: Das Know-how und die Forschungsintensität sind bei Diesel oder Benziner ungleich höher als bei einem Stromaggregat. Bis auf die Speicherproblematik ist die Fertigung eines Elektrofahrzeuges um vieles einfacher als die eines konventionellen Fahrzeuges.

Jan Dannenberg, Partner des Münchner Auto-Consulters Beryll, lässt sich nicht festlegen, wenn er die Zukunft eines Motorenwerkes 2025 beschreiben soll. Er sieht jedoch Szenarien, die den Managern in den Konzernzentralen zur Verfügung stehen, wenn sie über die Zukunft ihrer Motorenwerke entscheiden: Im realistischsten Fall dürften zusammengehörige Produktionseinheiten zusammengefasst und rechtlich ausgegliedert werden. Dannenberg nennt dies in der Consultersprache „strukturelle Anpassung“. Denn werden die Fertigkeiten am Standort genutzt, um in die Produktion von Elektromotoren einzusteigen, ist ein kompletter Ausgleich an Volumen und Wertschöpfung nicht möglich. Eine Redimensionierung also fast zwingend. Möglich, dass die Konzerne ihre Motorenwerke auf wenige Standorte mit der höchsten Produktivität konzentrieren – und viele Standorte schließen, die produktivsten damit jedoch auf Jahrzehnte weiterlaufen. Der konzerninterne Wettbewerb wird um eine Drehung weiter verschärft. Möglich auch, dass die Produktion in den Motorenwerken auf die komplexesten Aggregate in der Angebotspalette reduziert werden und die Fertigung auf die verkaufsstärksten Modelle konzentriert wird. Auch hier sind die Folgen auf die Dimension der Werke dramatisch.

Jan Dannenberg nennt keine Präferenz, welche Entscheidung in einem Szenario 2025 oder 2030 getroffen werden wird. Er unterstreicht aber, dass der Verbrennungsmotor noch viele Jahre gebraucht werden wird: „Der Durchbruch der E-Mobilität sieht nicht so aus, dass es den Diesel oder Benziner von heute auf morgen nicht mehr gibt.“ Es sei dies auch eine Frage der Kosten und Erträge. „Tesla hat bis heute keinen Dollar verdient“, erinnert Dannenberg.

Schaumgebremste Innovation

Eine der vielen Erkenntnisse des Dieselskandals war, dass sich die europäische und im Speziellen die deutsche Autoindustrie in puncto Elektromobilität lange hinter potemkinschen Fassaden versteckte. Die Strategie hinter den diversen E-Mobilitäts-Projekten hieß meist, „nicht den Anschluss verlieren“. Den Markt erobern wollte keiner. Die Kosten waren zu hoch – für Hersteller und Käufer. So verfügt Opel mit dem „Ampera“ über eines der ausgereiftesten Strommodelle am Markt, das laut Werk 500 km Reichweite hat und mit ca. 40.000 Euro die Hälfte eines Tesla kostet. Das in den USA gebaute Akku-Auto ist in Europa so gut wie nicht zu kaufen. GM hat viel zu geringe Produktionskapazitäten dafür vorgesehen. Der Liefertermin im Kernmarkt Deutschland liegt im Frühjahr. Der Grund für die Verknappung: Lieferschwierigkeiten bei den Akkuzellen. Dass der Ampera vom Opel-PSA-Deal ausgenommen wurde und jetzt quasi wie ein Kuckucksei im Opel-Vertrieb zu liegen kommt, befeuert die Situation nicht unbedingt. Opel ist mit den Nachlässigkeiten nicht allein: VW erzielt mit dem E-Golf Reichweiten, die den Fahrer nur wenig weiter als bis zum nächsten Hofer-Supermarkt bringen. Und bei Daimler muss man googeln, bis man Hinweise auf die elektrischen Aktivitäten findet. Die Tatsache, dass Smart elektrisch werden soll, reißt nicht vom Hocker. Und der Markenname EQ, unter dem Daimler seine Stromer-Aktivitäten zusammenfassen will, ist weniger gut eingeführt als eine heimische Tankstellenkette mit ähnlichem Namen. Einzig BMW hat es geschafft, mit dem i3 als Elektro-Flaggschiff einen Fuß auf den Boden der E-Mobilität zu setzen. Die Münchner sind mittlerweile der zweitgrößte Hersteller von E-Cars und Plug-in-Hybriden der Welt – hinter Tesla.

Trotz aller Bekenntnisse aus den Konzernen der vergangenen Jahre: Es mangelt in Europa immer noch an einem Stromer-Angebot mit ausreichender Reichweite und Leistbarkeit. Die auf der IAA präsentierten Konzepte kommen sämtlich erst in drei bis fünf Jahren auf den Markt. Dies zeigt: Der Dieselskandal schüttelt die Konzerne heftig durch. Es unterstreicht aber auch, wie säumig sie waren. Wenn die Autobauer ihre Prioritäten vor fünf Jahren mit ähnlichem Nachdruck und Geldeinsatz in Richtung Elektroautos gesetzt hätten, wäre die Welt vielleicht noch etwas kälter.

Entscheidung in Shanghai

Die entscheidenden Schlachten in Sachen E-Mobilität werden in China geschlagen. Dort wurden 2016 mit 352.000 Fahrzeugen mehr Elektroautos verkauft als in Europa und den USA zusammen (Neuverkauf weltweit 2016: 2 Mio. Einheiten). Dort etabliert sich eine bunte Schar an Anbietern und Technologien, die an einen stetig wachsenden Markt liefern. Die chinesische Regierung setzt seit zwei Jahren wegen des immensen Smogproblems in Peking und Shanghai voll auf E-Autos. Förderungen und Regulierungen pushen den chinesischen Markt mit Vehemenz. Dazu kommt die Tatsache, dass die meisten Batteriefabriken in China stehen. Das Land verfügt zudem über große Vorkommen an seltenen Erden, die für Lithium-Ionenakkus gebraucht werden.

Am Heimmarkt liegen die chinesischen Hersteller klar vorn. Im laufenden Jahr schafft es mit Tesla nur ein ausländischer Autobauer mit seinen Fahrzeugen ins Ranking der 20 meistverkauften Batteriewagen. Die Herausforderer zeigten sich auf der IAA entsprechend selbstbewusst: Die heutigen großen Autobauer würden aufgrund des Vormarschs von Elektroautos „wie Motorola enden“, zitiert das Manager-Magazin einen chinesischen Auto-Manager.

Der Hochmut hat seinen Grund: Die deutschen Hersteller verdanken ihre Profite zum Großteil den Umsätzen auf dem chinesischen Markt. Für europäische OEMs und Zulieferer wird es daher entscheidend, auch im Bereich der E-Mobilität in China erfolgreich zu sein. Eines ist klar: In China ist die Position des Herausforderers am Markt der Akku-Autos vergeben. Der kommt den Langnasen aus Europa zu. Die Chinesen haben die letzten Jahre genutzt.

Bislang ist der Motoren- und Getrie-bebau die Königsdisziplin der Automobilfertigung. Die hochproduktiven Motorenwerke in Wien Aspern (Opel, 1.600 Mitarbeiter) und Steyr (BMW, 4.460 Mitarbeiter) pressen mit enormem Prozess-, Produktions- und Forschungs-Know-how Verbrennungsmotoren immer neue Effizienzgewinne ab. Mit dem Siegeszug der Elektromobilität geht der Stellenwert dieser Werke verloren. Denn die Herstellung von E-Motoren ist weitaus weniger komplex – und wertschöpfungsintensiv. Vier Szenarien für die Kronjuwelen der heimischen Zulieferindustrie:

1. Die Motorenwerke steigen in den E-Motorenbau ein

Aufgrund der geringeren Wertschöpfung und des geringeren Volumens folgt jedoch eine starke Redimensionierung der bestehenden Produktionsstätten.

2. Der E-Motorenbau der großen OEMs wird auf die Werke mit der höchsten Produktivität weltweit beschränkt

Viele Werke schließen. Der konzerninterne Wettbewerb wird noch härter. Trotzdem wird diese Konzentration eine Redimensionierung der bestehenden Werke nicht verhindern.

3. Die OEMs entscheiden, die Produktion der Motorenwerke auf die komplexesten Aggregate der verkaufsstärksten Modelle zu reduzieren

Starke Redimensionierungen bestehender Werke. Neue Chancen für Zulieferer.

4. Strukturelle Anpassung

Zusammengehörige Produktionseinheiten werden organisatorisch zusammengefasst – und letztlich möglicherweise veräußert. Steyr und Aspern würden diese Voraussetzungen schon jetzt erfüllen.