Logistik : Effizienzjagd

Die drei Zweier-Teams arbeiten unabhängig voneinander. Sie wühlen sich durch die Abläufe des Unternehmens. Sie folgen dem Informationsfluss vom Kunden bis zur Beschaffung, dem Materialfluss in umgekehrter Richtung, und das dritte Team durchleuchtet die Organisation von der Geschäftsführung bis zur Produktionsebene. Die Research-Teams arbeiten mit Methoden der Wertstromanalyse, des Benchmarkings, mit halbstandardisierten Interviewleitfäden, und erst wenn sie nach rund drei Tagen fertig sind, vergleichen sie ihre Eindrücke und präsentieren ihre Erkenntnisse. Nach den drei intensiven Tagen erhält das untersuchte Unternehmen ein Art Diagnose seiner Supply-Chain: Wo gibt es firmenspezifische Probleme, Brüche in den Flüssen? Was sind die Haupthemmnisse? Und wo sind Erfolgspotenziale versteckt?

Wie gesund ist die Supply-Chain ...

Die Methode hat Struktur, und natürlich hat sie einen Namen: "QSAM" – Quick Scan Audit Method – wurde vor rund zehn Jahren entwickelt und seitdem von den Logistik-Fakultäten einiger Universitäten wie Cardiff, Sydney, Wollongong oder Groningen permanent geschärft.

Weitergegeben wird QSAM in einer Art Paten-System, erzählt Markus Gerschberger, Professor am Logistikum Steyr, das mittlerweile Mitglied des Netzwerks ist: "Die Researcher einer Universität trainieren jeweils die nächsten. Und die erhalten damit auch Zugriff auf die Ergebnisse der bislang mehr als 50 weltweit durchgeführten QSAMs."

Die Methode, sagt Markus Gerschberger, bewährt sich in der Praxis: Die bislang durchgeführten QSAMs brachten neben massiv verminderten Variantenvielfalten Reduktionen der Bedarfsschwankung um teilweise über 40 Prozent. "Wir können in äußerst kurzer Zeit konkrete Aussagen über die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens im Zusammenspiel mit seinen Kunden- und Lieferantenbeziehungen treffen." Und vor allem: Am Ende steht ein Aktionsplan mit konkreten Handlungsempfehlungen.

Supply-Chain-Risk-Management steht derzeit im Fokus der Logistikforschung wie noch nie zuvor. Beim ISCRiM-Netzwerk etwa, einem internationalen Forschungsverbund, dem, ausgehend von den USA und Großbritannien, mittlerweile neben dem MIT, der ETH Zürich, dem Cambridge IFM oder dem IML in Dortmund auch das Logistikum der FH Oberösterreich angehört.

Ein Hotspot der Forschung ist zur Zeit die National University von Singapur, die asiatische Nummer eins im QS-Uniranking. Gemeinsam mit deren Logistikinstitut führt die FH Oberösterreich derzeit ein Projekt mit der Singapur-Niederlassung von Sempermed durch. Clemens Eichler, Managing Director der Sempermed, geht es um die Erstellung eines Risiko-Portfolios seiner Supply-Chain und das Erarbeiten einer gezielten Strategie für Supply-Chain-Risk-Management: "Im Grunde wollten wir eine Art umfassenden Gesundheits-Check unserer Abläufe und eine Antwort darauf, wie wir die mit der Supply-Chain verbundenen Risiken entschärfen können. Das sind ja zentrale Anliegen, es geht um nicht weniger als einen glatten Geschäftsbetrieb." Für das Sempermed-Projekt verknüpften die österreichischen Logistiker die QSAM-Methodik mit einem weiteren Element: der Web- Recherche nach Risiko-Indikatoren.

... und wie gesund sind Lieferanten und Kunden?

Ein Lieferant fragt um Verkürzung der Zahlungsziele an? "Das ist eigentlich kein Frühwarnindikator mehr, denn dann brennt es ja schon", räumt Markus Gerschberger ein. Doch wenn viele Mitarbeiter ein Unternehmen verlassen, wenn Schlüsselpersonal abwandert, es zu häufigen Eigentümerwechseln kommt oder gar ein Hedgefonds einsteigt – all dies deutet mit unterschiedlicher Vorlaufzeit auf grundlegende Probleme auf Seiten eines Kunden oder Lieferanten hin.

Die Forscher des Logistikum identifizierten eine Reihe von Frühwarnindikatoren, indem sie Dutzende Interviews auswerteten, die sie mit Risikomanagern oder Einkaufsverantwortlichen in Unternehmen führten, die Insolvenzfälle erlebten. Aus den Gemeinsamkeiten des Geschilderten extrahierten sie eine Liste von Warnzeichen, auf die es zu achten gilt.

Die Informationen über das zu beobachtende Unternehmen landen gemeinsam mit den identifizierten Frühwarnindikatoren in einem Webmining-Tool, das automatisch Informationen aus Pressemitteilungen, Homepages, Social Media, Blogeinträgen und anderen Quellen extrahiert. Die gewonnenen Einträge werden zunächst manuell als relevant oder irrelevant bewertet – ab einer gewissen Menge kann das Tool trainiert werden, die Bewertung automatisiert durchzuführen.

"Im Moment", sagt Gerschberger, "liegt unser Fokus auf Finanz-Indikatoren, doch da es uns ja um eine ganzheitliche Betrachtung des 'Gesundheitszustandes' von Kunden und Lieferanten geht, wollen wir uns demnächst auch Themen wie CSR annähern." In diesem Zusammenhang soll etwa auch beobachtet werden, mit welchen Inhalten ein Unternehmen im Web diskutiert wird: Gibt es einen sprunghaften Anstieg des Begriffs "Stellenabbau" im Zusammenhang mit dem Lieferanten? Ist der Name des Kunden im Web plötzlich häufig mit "Bestechung" oder "Rückruf" assoziiert? Und was sagen die identifizierten Meinungsbildner in den Social Media zu einem Unternehmen, einem Produkt oder einer Marke? Das Logistikum unternimmt derzeit auch Testläufe mit DHL und Magna, um Evaluierung, Automatisierung und Reporting dieses "Supplier Monitoring" zu schärfen.

Dynamisch und generalisiert

Im Sempermed-Projekt, betont Markus Gerschberger, geht es nicht darum, es mit jedem Risiko aufzunehmen – es geht um jene, die maximale Auswirkung auf die Performance der Supply-Chain haben. Im ersten Schritt werden also die Verteilungsfunktionen der Risiken bestimmt und diese können dann in einem Modell inklusive der Wirkzusammenhänge dargestellt werden. Durch Simulation kann man zeigen, wo welche Risiken besonders wirken würden und welche Partner in der Supply-Chain besonders wichtig sind.

Das Supplier-Monitoring ist der erste Schritt im Forschungsprojekt. "Im Moment arbeiten wir an einem aktuellen Bild", erzählt Markus Gerschberger. "Es beinhaltet die dynamischen Elemente aus der Web-Recherche, aber auch Momentaufnahmen wie zum Beispiel die Anzahl der Knoten – also der Kunden und Lieferanten –, die im System aufgenommen werden." In der Folge aber soll Sempermed ein generelles Modell zur Bewertung und zum Management seiner Supply-Chain-Risiken erhalten, das auch die kunden- und lieferantenseitigen Risiken berücksichtigt. "Es wird also eine Mischung sein", sagt Sempermed-Chef Clemens Eichler: "Einige Elemente des Modells können automatisch aktualisiert werden, bei einigen anderen bedarf es einer periodischen, quasi manuellen Aktualisierung."