Deutschland : Dieselverbote: Städte befürchten "heilloses Durcheinander"

Der Chef des deutschen Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) fürchtet nach den Diesel-Urteilen und angesichts sehr unterschiedlicher Maßnahmen für sauberere Luft in Städten ein "heilloses Durcheinander".

"Es gibt ganz unterschiedliche Handhabungen und Umsetzungen in den jeweiligen Kommunen", sagte der Verbandspräsident und Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) der Deutschen Presse-Agentur. "Die werden in der Praxis für ein heilloses Durcheinander sorgen." Für den wichtigen Wirtschaftsraum Rhein-Main etwa sei dieser Flickenteppich eine "groteske Situation".

Lobbygruppe klagt unermüdlich weiter

Nach Klagen der Deutschen Umwelthilfe wegen überschrittener Grenzwerte für Stickstoffdioxid haben Gerichte für eine ganze Reihe an Städten angeordnet, Fahrverbote in ihre Luftreinhaltepläne aufzunehmen - darunter auch Mainz. In Hamburg beispielsweise sind schon zwei Straßenabschnitte für ältere Diesel gesperrt, in Stuttgart tritt zum Jahreswechsel ein Fahrverbot in Kraft. Für Essen ordnete das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen vom 1. Juli 2019 an eine Fahrverbotszone an, zu der erstmals auch eine stark befahrene Autobahn gehört. In Frankfurt wird es bis zu einer endgültigen gerichtlichen Klärung zunächst keine Fahrverbote geben.

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"Ich kann mir vorstellen, dass ein kluges Start-up-Unternehmen demnächst eine App auflegt, die mich dann im Rhein-Main-Gebiet mit meinem Diesel klug lenkt und aufzeigt, in welche Stadt und welche Straßen ich noch fahren darf", sagte Ebling. Auch die Durchsetzung von Fahrverboten sieht er skeptisch. "Selbst wenn es in Mainz zu einem Fahrverbot kommen würde, könnten wir es nicht kontrollieren, weil wir hierfür nicht die Kompetenz haben", sagte der Politiker. Die Kontrolle des fließenden Verkehrs obliege der Polizei.

Der Bund setze auf die elektronische Kennzeichenerfassung. "Ich sehe das mit zwei Fragezeichen: Darf ich jeden Verkehrsteilnehmer ohne Anhaltspunkte erfassen? Und wir erinnern uns noch an die Einführung der Lkw-Maut. Da haben wir gesehen, wie lange es dauert, eine technisch nicht ganz so banale Frage in der Praxis umzusetzen", sagte Ebling. "Ich habe erhebliche Zweifel, dass das etwas bringt."

All das berge Risiken für das rechtsstaatliche Empfinden. "Ich bin wahrlich kein Verteidiger von Diesel-Fahrverboten", sagte der Verbandschef. "Aber ich bin ein Verteidiger davon, dass - wenn ein Gericht Recht spricht und es Recht wird - man es als Staat auch kontrolliert und auf die Einhaltung drängt." Das müsse sichergestellt werden, auch wenn es schwer und aufwendig sei.

Entsprechend kritisch bewertete Ebling das Verhalten der deutschen Regierung in der Diesel-Frage. "Ich werde auch nach meiner Teilnahme beim dritten Dieselgipfel bei der Bundeskanzlerin das Gefühl nicht los, dass man irgendwie versucht, sich um die Folgen und das Exekutieren von Verstößen herumzumogeln." In Berlin fehle es an der Kraft, die bei dem Thema wichtigen Fragen anzugehen. Die drehten sich darum, dass in Deutschland Autos fahren, die Verbrauchern verkauft worden seien und nicht das hielten, was von den Herstellern versprochen worden sei.

Wenn Diesel-Fahrzeuge mit den Abgasnormen Euro 4 und 5 nachgerüstet würden, führe das etwa in Mainz zu drei bis vier Mikrogramm weniger Stickstoffdioxid. "Das wären die entscheidenden Mikrogramm, wo wir heute schon sagen könnten: Zu Fahrverbote brauchen wir uns ab sofort keine Gedanken mehr zu machen", sagte Ebling. "Die Automobilindustrie darf offenbar in Deutschland Fehler machen, aber sie wird dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Das ist fast schon subversiv, das untergräbt die Verlässlichkeit unseres Rechtsstaats." Die deutsche Regierung belasse es dennoch bei freundlichen Appellen.

Die Kommunen stünden nun vor Problemen, die sie alleine lösen müssten. Die von Bund und Ländern gewährten Förderungen etwa für den Kauf saubererer Busse seien zwar ein Anschub, den kommunalen Fuhrpark zu modernisieren. "Das ist aber noch nicht der dauerhafte Schub für die echte Verkehrswende." Die müsse sich an der Frage messen lassen, ob künftig mehr Menschen den ÖPNV oder das Fahrrad nutzten.

"Wir werden das nur schaffen, wenn Bund, Länder oder beide zusammen mehr Geld dafür in die Hand nehmen", sagte Ebling. "Ausbau des ÖPNV bedeutet mehr Investitionen und auch mehr Personal." Es gehe gar nicht darum, Busse und Bahnen kostenlos zu machen. Mobilität dürfe etwas kosten, es sei schließlich eine Leistung, die auch erbracht werden müsse. "Aber sie darf nicht so viel kosten, dass sie für die Menschen zur sozialen Frage wird. Das sind wir im Ballungsraum Rhein-Main schon an gefährliche Fahrpreisgrenzen gestoßen." (dpa/apa/red)