Wirtschaftspolitik : Die Probleme mit der Entsenderichtlinie in Österreich

Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) will bestimmte Branchen in Österreich für ausländische Arbeitskräfte, auch aus der EU, schließen. Mit seiner Forderung hat er die Diskussion über die Entsenderichtlinie aufgewärmt, die erst kürzlich in Österreich heftig geführt wurde. Angeheizt wurde das ganze wegen Lohn- und Sozialdumpings in der Baubranche. Österreich ist ein hauptbetroffenes Land.

Im Jahr 2015 arbeiteten 150.000 Personen aus andern EU-Staaten in Österreich, wie Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) kürzlich in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung bekanntgab. Nach EU-Daten ist die Zahl der entsendeten Arbeitnehmer in der EU zwischen 2010 und 2014 um fast 45 Prozent gestiegen. Im Jahr 2014 gab es 1,9 Millionen Entsendungen. Die durchschnittliche Entsendedauer beträgt nur vier Monate. Laut EU-Daten war Österreich 2014 Zielland Nummer vier bei Entsendungen.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit im gleichen EU-Land

Die EU-Kommission hat im März vorgeschlagen, die maximale Dauer auf zwei Jahre zu begrenzen, was aus der Sicht von Österreich zu lange ist. Vor einem Monat hat die Brüsseler Behörde einen Vorschlag für die Überarbeitung der Entsenderichtlinie aus dem Jahr 1996 vorgelegt - auf Druck von Österreich, Deutschland und anderen wohlhabenderen EU-Staaten. Die Kernforderung dieser Länder: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit im gleichen EU-Land. Genau dieses Motto hat sich nun auch Niessl zu eigen gemacht.

Heimische Baufirmen leiden massiv

Die Probleme mit dem Lohndumping konzentrieren sich auf bestimmte Branchen und Regionen. In Österreich leiden zum Beispiel Baufirmen in den östlichen Bundesländern unter der Billigkonkurrenz aus Osteuropa. In der gesamten EU entfallen 43,7 Prozent aller Entsendungen auf das Baugewerbe, gefolgt von der verarbeitenden Industrie (21,8 Prozent), der Bildung sowie dem Gesundheits- und Sozialwesen (13,5 Prozent) und den Unternehmensdienstleistungen (10,3 Prozent). Insgesamt machen entsandte Arbeitnehmer aber nur 0,7 Prozent der Gesamtbeschäftigung in der EU aus, so die EU-Kommission.

Österreich gehört eindeutig zu den "Aufnahmeländern"

Das Die meisten entsandten Arbeitnehmer nehmen Deutschland, Frankreich und Belgien auf - in diesen drei Ländern sind 50 Prozent der entsandten Beschäftigten tätig. Das viertbeliebteste Zielland ist Österreich. Umgekehrt schicken Firmem aus Polen, Deutschland und Frankreich die meisten Arbeitskräfte vorübergehend ins EU-Ausland.

Österreich ist eindeutig ein "Aufnahmeland": 101.015 Arbeitnehmer wurden laut EU-Angaben im Jahr 2014 nach Österreich entsandt. Von 2010 bis 2014 ist die Zahl der "Entsendeten", die eine Zeit lang in Österreich arbeiteten, um mehr als 69 Prozent gestiegen. Österreichische Firmen haben im Gegenzug im gleichen Jahr 48.815 Beschäftigte in andere EU-Länder geschickt (+88,1 Prozent gegenüber 2010).

Jeder Dritte arbeitet am Bau

Knapp jeder dritte nach Österreich entsandte Arbeitnehmer aus einem EU-Land arbeitete am Bau. 13 Prozent waren im Industriesektor tätig, 8 Prozent im Bildungs-, Gesundheits- oder Sozialbereich. Vom überwiegenden Teil (knapp 44 Prozent) war die Branche nach Angaben der EU-Kommission nicht bekannt.

Die meisten Menschen, die kurzzeitig für eine ausländische Firma in Österreich arbeiteten, kamen aus Slowenien (30 Prozent) und Deutschland (27 Prozent). Andere wichtige Herkunftsländer waren 2014 Ungarn, die Slowakei, Polen und Italien.

Die von österreichischen Unternehmen entsandten Arbeitnehmer gingen überwiegend nach Deutschland (48 Prozent) und in die Schweiz (10 Prozent).

Die Positionen der EU-Kommission

Im März 2016 hat die EU-Kommission eine Nachschärfung der Entsenderichtlinie gefordert. Dem Vorschlag müssen allerdings noch die Mitgliedsländer und das EU-Parlament zustimmen. Es kann sich also noch einiges ändern. Die Brüsseler Behörde will grundsätzlich, dass künftig von Firmen ins Ausland entsandte Arbeitnehmer gleich viel verdienen wie lokale Arbeitnehmer. Bisher galten für Arbeitnehmer nur Mindestlohnsätze, entsandte Beschäftigte hatten keinen Anspruch auf Prämien oder Zulagen.

Weiters will die Kommission die Länder dazu verpflichten, die Entsenderichtlinie auf alle Branchen auszuweiten. Derzeit gilt das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" nur für das Baugewerbe, und die Mitgliedstaaten können selbst entscheiden, ob sie allgemein verbindliche Tarifverträge (Kollektivverträge) auf entsandte Arbeitnehmer in anderen Sektoren anwenden wollen. Es bleibt also den Staaten überlassen, ob sie Kollektivverträge für verbindlich erklären oder nicht. In Österreich und neun anderen Ländern sind die Kollektivverträge bereits in sämtlichen Branchen für entsandte Arbeitnehmer verpflichtend.

Bei Subunternehmerketten sollen die Staaten ebenfalls mehr Instrumente an die Hand bekommen, um Lohndumping zu verhindern.

Der Wunsch des burgenländischen Landeshauptmannes Hans Niessl, zeitweise die Aufnahme von Arbeitnehmern aus EU-Ländern für gewisse Branchen einzuschränken oder zu verbieten, ist "mit dem europäischen Recht derzeit nicht zulässig", sagte Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) im "ORF-Mittagsjournal". Für Bürger aus Drittstaaten (Nicht-EU-Länder) gebe es das schon.

"Die Entsenderichtlinie hat eine wichtige Funktion, sie macht möglich, dass wir in Europa Lohn- und Sozialdumping verhindern können", sagte Stöger. Niessl hatte die Abschaffung der Richtlinie gefordert. Niessl habe sich dazu heute "ein bisschen zu unscharf" geäußert, sagte nun Stöger. Man müsse das aus der "konkreten Situation im Burgenland" verstehen.

Mit seiner Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsplatz habe Niessl hingegen "völlig Recht" - das habe er, Stöger, selber im Ministerrat so gefordert, und auch in Verhandlungen mit der EU-Kommission sei es ihm gelungen, "das unterzubringen". Die EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen habe sich zu diesem Prinzip bekannt. "Da haben wir eine gemeinsame Linie gegenüber der EU-Kommission. Ich sehe mich da von Niessl unterstützt."

Wirtschaftsbund dagegen

Gegen "unüberlegte Schnellschüsse, wie eine Abschaffung der Entsenderichtlinie" ist Wirtschaftsbund-Generalsekretär ÖVP-Wirtschaftssprecher Peter Haubner. Eine Abschaffung würde heimischen Unternehmen einen deutlichen Wettbewerbsnachteil bringen. "Das darf nicht passieren." Für ein exportorientiertes Land wie Österreich hätte das deutliche Nachteile. "Das schwächt den Standort. In weiterer Folge wären dann auch heimische Arbeitsplätze gefährdet", so Haubner.

"Völliges Unverständnis" erntet Niessl mit seiner Forderung, die Entsenderichtlinie aufzukündigen und bestimmte Branchen in Österreich für Arbeitskräfte aus anderen EU-Ländern zu schließen, beim Wirtschaftssprecher der Neos, Sepp Schellhorn. Das würde keinen einzigen Arbeitsplatz sichern. Das Problem des heimischen Arbeitsmarktes seien zu hohe Lohnnebenkosten und zu geringe Flexibilität. Außerdem schade er mit seiner Forderung, eine der Grundfreiheiten der EU "für billigen Populismus zu opfern", der Union als Ganzes.

Industriellenvereinigung lehnt den Vorstoß ab

Schellhorn trägt damit ähnliche Argumente wie Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung. Nicht die Entsendung von Arbeitskräften, sondern die stetig nachlassende internationale Wettbewerbsfähigkeit Österreichs sei die "mit Abstand größte Gefahr für unsere heimischen Arbeitsplätze. Unsere Betriebe kämpfen mit einer kosten- und zeitintensiven Bürokratie und Überregulierung, die ihresgleichen sucht. Hinzu kommen eine nach wie vor extrem hohe Steuer- und Abgabenquote für Unternehmen sowie ein restriktives und unflexibles Arbeitsrecht", schreibt IV-Generalsekretär Christoph Neumayer in einer Reaktion. "Abschottung hat noch zu keinem Zeitpunkt und noch nirgendwo zu Wachstum beigetragen."

Niessls Forderungen kämen einer Schließung des Arbeitsmarkts für EU-Ausländer gleich und würden auch die Tätigkeit österreichischer Arbeitnehmer im Ausland konterkarieren, so Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit, in der WKÖ. Das wäre für ein erfolgreiches Exportland wie Österreich fatal. Etliche Branchen wie der Pflege- und Gesundheitsbereich hätten auch so große Probleme, geeignete Fachkräfte zu finden.

WKÖ: Keine Einschränkung des EU-Binnenmarktes

Für das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" ist auch die Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk, Renate Scheichelbauer-Schuster, aber "wir dürfen uns mit einer Einschränkung des EU-Binnenmarktes nicht selbst ein Bein stellen". Die heimischen Betriebe müssten geschützt werden, indem Wettbewerbsgleichheit geschaffen und durch Kontrollen auch durchgesetzt wird. "Grenzen dicht" zu rufen, sei aber ein vorschneller Schritt, "der auch Auswirkungen auf die heimischen Betriebe haben" werde. Es drohten zu wenig Arbeitskräfte für den Bau, den Tourismus und die Hotellerie und andere Branchen. Zielführender wäre es, Gelder sinnvoll in Konjunkturmaßnahmen zu stecken. (APA/red)