Supply-Chain-Management : Die perfekte Prozesstaktung

Es riecht in der Halle geradezu nach Effizienz. Auf der Suche nach der perfekten Prozesstaktung ist man weit gekommen in Steyr. In der auffallend leisen Produktion von SKF scheint kein Handgriff ungeplant, an den Arbeitsplätzen liefern Displays die benötigten Daten und selbststeuernde Flurförderzeuge verbreiten Industrie-4.0-Ambiente. Das SKF-Werk liegt mitten im oberösterreichischen Industrie-Kerngebiet, viele Lieferanten und Kunden befinden sich in der Nähe. Der Normalfall sieht allerdings anders aus: Auch SKF betreibt längst globales Sourcing. Zahlreiche Lieferanten – wie auch Kunden – sitzen in Asien. Lange Lieferketten also, die entsprechend anfällig sind für Störungen. "Natürlich betreiben wir klassisches Risk Management", erzählt Reinhard Blasl, Demand-Chain-Manager bei SKF in Steyr. "Unser Projekt ist aber der Versuch, einen neuen methodischen Ansatz auf der Basis von Resilienz zu entwickeln.“

Resilienz-Profile

Das Projekt nennt sich ReSCUE und sein Leiter Markus Gerschberger, Professor am Logistikum der FH Steyr, sieht es in erster Linie als Reaktion auf steigende Komplexität. "Singuläre Ereignisse wie Fukushima oder die Aschewolke über Island sind zwar spektakulär, aber selten. Was uns beschäftigt, ist die Tatsache, dass in der Industrie immer mehr Partner kooperieren, dass das Gefüge zwischen Herstellern, Lieferanten und Kunden immer komplexer wird. Wir suchen im Rahmen von ReSCUE nach Faktoren, die Unternehmen gegen Störungen dieses Gefüges resilient machen."

Die Suche begann bei den drei Projektpartnern SKF, Magna Steyr und Voestalpine. Tiefeninterviews in den verschiedenen Unternehmensbereichen und auf allen Hierarchieebenen sollten die Fragen klären: Was ist eigentlich eine Krise, was löst sie aus und wie wird damit umgegangen? Aus den Antworten entstanden umfangreiche Fragebögen, die an österreichische Unternehmen versandt wurden. 115 davon kamen komplett zurück – ein Rücklauf, der Markus Gerschberger angesichts des Aufwandes der Beantwortung positiv überrascht hat. Aus der in diesen Tagen abgeschlossenen Auswertung soll schließlich eine Art "Resilienz-Profil" destilliert werden, anhand dessen sich Unternehmen aus der eigenen Warte selbst bewerten können. "Wir wollen keine Regel ableiten, wir suchen kein Best Practice", sagt Gerschberger, "sondern eine Möglichkeit, Defizite frühzeitig zu identifizieren. Wir wollen ein Wirkmodell entwickeln." Auch das Profiling wird in den unterschiedlichen Ebenen und Abteilungen durchgeführt – "die Supply Chain ist natürlich der Ausgangspunkt, aber wenn man von dieser Warte aus konsequent denkt, dann landet man ohnehin schnell in den anderen Bereichen."

Daily Business

Von Vulkanausbrüchen spricht auch Bernhard Gosch nicht. "Es geht uns hier nicht um die seltenen Ereignisse", sagt der Risk Manager bei Magna Steyr, "sondern um das Daily Business. Die Lieferkette muss ganz einfach stabil sein." Angesichts vieler Serien- und Ersatzteillieferanten wäre für Magna Steyr ein Tool, mit dessen Hilfe man Probleme bei einem Partner früher erkennen könnte, extrem wertvoll. "Nur die wenigsten kommen im Fall der Fälle ja zu uns und sagen, dass sie Hilfe brauchen", bedauert er. "Das Hauptproblem ist, dass man es meist mit Daten älterer Lieferantenbilanzen zu tun hat, daher muss man permanent mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen." Dem entgegenzusteuern, bedeutet aber auch, das Thema "Risk Management" immer weiter in Richtung der Lieferanten und der Kunden auszuweiten. Die vertragliche Einbindung beider Seiten werde immer wichtiger, bestätigt Reinhard Blasl. So ist es eine mittlerweile übliche Verpflichtung, den Kunden über einen Lieferantenwechsel zu informieren. Auch gemeinsam Audits mit dem Kunden beim Lieferanten nehmen zu – was im Falle der "3rd Party Audits" vor allem bei asiatischen Kunden bisweilen heikel werden kann.

Zentral versus dezentral?

Eine spannende Frage des Projekts war, inwieweit die Organisationsstruktur eines Unternehmens Einfluss auf dessen Resilienz gegen Störungen der Supply Chain hat. Die Studien-Teilnehmer sind auch vor unter diesem Aspekt nicht zufällig gewählt: Magna Steyr als Teil eines globalen Konzerns, die Voestalpine als eigenständiges Unternehmen und SKF, das zwar in einen Konzern eingebettet ist, aber sehr selbstständig agiert. Erste Ergebnisse zeigten, dass der Deckungsgrad bei den Interviews zu den Fragebogen recht hoch war, erzählt Reinhard Blasl – dem ein anderes Thema mehr Sorgen bereitet. "Ich sehe seit einiger Zeit einen Trend zur Zentralisierung in Unternehmen. Die einzelnen Bereiche an den Standorten werden in vielen Konzernen derzeit stärker von einander getrennt und vertikal gebündelt. Das schwächt in meinen Augen tendenziell die Supply Chain und ist die Antithese zum Versuch, die komplette Lieferkette vom Kunden her zu denken und bis zum Lieferanten durchzuorganisieren."

Die Frage zentrale versus dezentrale Organisation ist eines der Themen, die SKF auf Basis der Studienergebnisse vertiefen will. Für Magna Steyr, sagt Bernhard Gosch, gehe es neben dem proaktiven Risk Management vor allem um die Bereiche Qualitäts- und Mitarbeitermanagement. Lead-Funktion. In einem Punkt sind sich Blasl und Gosch auch ohne Studie einig: Risk Management braucht im Unternehmen ein Gesicht, "einen Kümmerer, der entweder verantwortlich ist oder zumindest das Thema permanent treibt", wie Reinhard Blasl definiert. Bernhard Gosch, der bei Magna Steyr für das Thema verantwortliche Risk Manager, geht davon aus, "dass letztlich jedes größere Unternehmen eine Abteilung dafür schaffen wird. Die One-Man-Shows, die das Thema Risk Management in den einzelnen Unternehmen oft nebenbei betreiben, werden bald nicht mehr ausreichen."

Einer der nächsten Schritte im ReSCUE-Projekt wird nun die Internationalisierung sein. Über Partneruniversitäten der FH Steyr werden die Fragebögen in Deutschland, den USA und Südasien verteilt. Bis 2016 wird das Projekt abgeschlossen. Wenn alles läuft wie geplant, gibt es dann einen fundierten ResilienzProfiler, in dem sich jedes Unternehmen spiegeln kann.