Blockchain : Die Krypto-Rebellen

Erst seit wenigen Wochen ist der neue Standort in der Dresdner Antonstraße 3a bezogen. Blickt Thomas Müller aus dem Fenster, schaut er geradewegs auf das Museumshaus „Die Welt der DDR“. Auch ein Erich-Kästner-Haus ist nicht weit. Doch Müller bleibt derzeit wenig Zeit für Mußestunden im deutschen Bildungskanon. Sein Start-up Contractus, mit einem Kompagnon 2016 gegründet, will mittelständische Unternehmen schnell, flexibel und schlagkräftig gegenüber den digitalen Giganten Google, Apple und Amazon, aber auch etablierten Branchenriesen wie Siemens machen. „Wir wollen ein Gegengewicht zu den Großen schaffen“, sagt Müller. Datenkraken wie Amazon agieren immer globaler, ziehen Informationen ab und begründen damit neue Geschäftsmodelle. Die werden alteingesessenen Maschinenbauern immer gefährlicher. Dagegenhalten will Müller mit automatisierten Daten- und Zahlungsflüssen von Unternehmen zu Unternehmen, die es erst gar nicht erforderlich machen, manuell Daten in die Cloud zu schaufeln. „Ist eine Leistung erbracht, meldet die Maschine dies und gibt die Zahlung auf das Konto des Partners automatisiert frei“, so Müller.

Portfolioerweiterung

Von „unerreicht schnellem Daten- und Informationsaustausch“ unter Partnern, die sich zu einem Netzwerk zusammenschließen und zusammen Wertschöpfung erbringen, spricht Müller, der auch Geschäftsführer von Contractus ist. Hervorgegangen ist die Firma aus dem Eisenacher IT-Dienstleister B-S-S Business Software Solutions, in der ein interdisziplinäres Team aus Entwicklern den Grundstein legte. Die Industrie, genauer der Industriautomatisierer Festo, wurde im Rahmen eines Accelerator-Programms auf das Dresdner Start-up aufmerksam. Inhalt des gemeinsamen Piloten: Eine Blockchain-basierte Lösung zur Optimierung des internationalen Service-Managements im Maschinenbau. „Produkte und ihre Komponenten werden zunehmend komplexer“, heißt es im Projektteam. Die Vision: „Eine vollständige Automatisierung der Servicekoordination über mehrere beteiligte Unternehmen, einschließlich externer Servicepartner.“ Das überrascht nur auf den ersten Blick. Mit Festo assoziiert man zwar Pneumatik und elektrische Antriebstechnik, zuletzt dachte der Automatisierer aber stärker in Richtung Entwicklung einbaufertiger Systeme.

Freier Handel im Bieter-Pool

Asset-Contracting, wie die Verwaltung von Maschinen, ihren Daten und Nutzern über audit-sichere Protokolle in der Blockchain genannt wird, könnte, so vermuten einige, das „missing link“ sein. Contractus nützt von Ethereum nicht nur die sicheren Transaktionen zum Verteilen von Informationen in Netzwerken. Rund um die Kontrakte ließe sich ein ganzes Ökosystem hochziehen. Über in der Blockchain hinterlegte Protokolle – etwa solche zur Wartung – würden dann „punktgenau und automatisiert Wartungsjobs im Partnerpool ausgeschrieben“, erklärt Contractus-Chef Thomas Müller. Den Job zugeteilt bekommen könnte nur jener Dienstleister, der „zum richtigen Zeitpunkt am besten allen Anforderungen entspricht“, so Müller.

Spiel der Kräfte

Ein derart freies Spiel der Kräfte – noch dazu mit automatisierter Abwicklung – könnte der Startschuss sein für flexiblere Formen der Maschinennutzung – Stichwort Pay-per-use. Auch manuelle An- und Abmeldeprozesse im Geschäft mit Mitmaschinen könnten wegfallen, zudem Nutzungskontingente über Blockchain beauftragt und abgerechnet werden. Die nächsten Monate bleiben für Müller jedenfalls spannend. Der Thüringer Fördertechnik-Verleiher Lindig erprobt mit Contractus den automatisierten Verleih von Linde-Staplern über die Blockchain. Und bei Festo wird gerade der Rollout auf weitere Standorte geprüft.

Stichwort: Blockchain

So funktioniert’s: Blockchain wurde als das „Betriebssystem“ hinter der Kryptowährung Bitcoin erdacht: Eine dezentral aufgebaute Datenbank, die laufend aktualisiert wird und jede Aktualisierung in einer Kette von Datenblöcken speichert. Jeder Block hat alle Informationen über den vorigen Block. Jeder Teilnehmer im Netzwerk hat eine Kopie der gesamten Blockchain. Eine Transaktion ist erst gültig, wenn sie die Mehrheit der Teilnehmer bestätigt.

Darum ist es fälschungssicher: Ohne zentrale regulierende Instanz stellt ein dezentrales Protokoll sicher, dass Manipulationen ausgeschaltet werden. Das funktioniert so: Rechner A tätigt eine Transaktion mit Rechner B, beide weisen sich mit einer Signatur aus. Ein komplexes Rechensystem verschlüsselt diese unumkehrbar in einer Zahl. Weltweit verteilte Rechner, sogenannte „Miner“, müssen die Endung der Zahl erraten. Erst dann gilt die Transaktion als bestätigt.

Darum interessiert es die Industrie: Blockchains können nicht nur Geldwerte übertragen, sondern auch Vereinbarungen, sogenannte „Smart Contracts“: Flexible Vereinbarungen, die jeder Knoten im Netzwerk bekommt. Der menschliche „Chef“ dieses Knotens – also etwa der Betreiber einer Fabrik – stellt die Parameter in seinem „Smart Contract“ genau nach seinen Bedürfnissen ein.