30 Jahre INDUSTRIEMAGAZIN: Generation U-45 : Die jungen Wilden

Anette Klinger AFN

Anette Klinger, Geschäftsführerin der IFN.

- © Helene Waldner

Das INDUSTRIEMAGAZIN wird 30 Jahre alt! Wir feiern das auch mit dem Wiederauflebenlassen unserer besten Artikel sowie Rückblicke auf spannende Industrie-Player. Heute: Anette Klinger, Robert Ottel. Entdecken Sie die inspirierenden Ansätze und innovativen Strategien für den Unternehmenserfolg von Top Führungskräften.

(Dieser Artikel der Jubiläumsserie 30 Jahre INDUSTRIEMAGAZIN erschien in der Ausgabe vom November 2009.)

Anette Klinger: Die vermittelnde Kraft im Familienunternehmen IFN Internorm

Anette Klinger sieht sich als Schlichterin. Denn die 41jährige Absolventin der Handelswissenschaften an der WU Wien ist im Familienunternehmen IFN Internorm für Familienagenden zuständig. Während Cousin Christian Klinger die Bereiche Fenster und Türen und Vetter Stefan Kubinger den Bereich Fassaden verantwortet, vermittelt Anette Klinger – neben operativen Aufgaben im Unternehmen – als Aufsichtsratsvorsitzende der Holding zwischen den Stämmen.

„Familienunternehmen bestehen aus Menschen, die sehr starke und kräftige Persönlichkeiten haben. Da braucht es jemanden der manchmal ausgleichend wirkt“ sagt Klinger. Eine Rolle, die man Klinger auf den ersten Blick abnimmt. Wenn Anette Klinger spricht, strahlt sie Ruhe – und eine unaufdringliche Bestimmtheit aus. „Dass ich in die Rolle der Vermittlerin geschlüpft bin, hat möglicherweise etwas mit meinem Charakter zu tun“ sagt Klinger. Für die Assistentin gehalten. Als Vorstand, zumal weiblich und zum Zeitpunkt der Unternehmensübergabe gerade einmal 28 Jahre alt, im Familienunternehmen ernst genommen zu werden, ist der jungen Frau mit der festen Stimme nach eigenem Bekunden nicht schwer gefallen.

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„Meine Tante war im Unternehmen als Führungskraft tätig, Frauen sind also im Hause gelebte Kultur“sagt Klinger. Dass Sie, etwa bei Terminen mit ihrem Finanzvorstand, schon einmal für die Assistentin gehalten wird, sieht sie als Bestätigung ihres Führungsstils. „Wir haben keine sehr hierarchieorientierte Unternehmenskultur, ich bin da auch grundsätzlich nicht sehr sensibel“ sagt Klinger. „Wobei mir natürlich klar ist, dass es als Eigentümer und Familienmitglied leichter ist, hier grosszügig zu sein, als etwa als angestellte Vorstandsfrau.

“Dass auch Frauen erfolgreiche Unternehmer sein können, hat ihr auch die Mutter vorgelebt. Obwohl ihr Ehemann als Metallbauer erfolgreich war, hat die Mutter ihr Bandagistengeschäft nicht aufgegeben.

„Ich erinnere mich an die Eifersucht, die mich packte, wenn sich meine Mutter mehr mit dem Unternehmen als mit mir beschäftigt hat. Heute bin ich voll der Bewunderung, wie die berufstätige Frau in ihrer Freizeit mehr mit mir unternommen hat, als andere Vollzeit-Mütter“ sagt Klinger. Zur Unternehmerin erzogen. Dass sie zur Unternehmerin erzogen – oder gar geboren wurde, glaubt die zweifache Mutter nicht. „Niemand in der Familie hat jemals von mir verlangt, aktiv im Unternehmen zu werden“ sagt Klinger. Das nötige Rüstzeug habe sie fürs Leben erhalten.

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Sparsamkeit („mir ist das öfters passiert, dass ich eine der wenigen in der Klasse war, die keinen Lacoste Pulli hatte“), den Wille Verantwortung zu übernehmen („ich kenne viele Kinder von erfolgreicher Eltern, die das nie gelernt haben“) und vor allem das Nichtvorhandensein von Druck, das Familienunternehmen zu übernehmen („Ich habe mich für das Unternehmertum entschieden, weil ich die freie Wahl hatte“), haben aus der Schlichterin Anette Klinger eine Unternehmerin gemacht.

Familienunternehmen bestehen aus Menschen, die sehr starke und kräftige Persönlichkeiten haben. Da braucht es jemanden der manchmal ausgleichend wirkt.
Anette Klinger, Geschäftsführerin der IFN

Robert Ottel: Ein Meister der Finanzen mit kreativer Vision

Wer Robert Ottel zu Details aus seinem Lebenslauf befragt, der erhält zuallererst – Schweigen. „Ich glaube, ich werde alt“ sagt der Finanzvorstand der Voestalpine, der gerade einmal 42 Lenze zählt und ruft auf dem Laptop seinen Lebenslauf auf. „Ach ja, Maschinenbau habe ich bis 1991 studiert, BWL noch während meines ersten Jobs bei der Haas Waffelmaschinengruppe, bis 1994.“ Für einen Finanzvorstand hat Ottel sein persönliche Zahlenwerk erstaunlich schlecht parat. Das liegt vielleicht daran, dass der Vater dreier kleiner Söhne seine Führungsaufgabe weniger in der Analyse als in der Kommunikation sieht. „Die Kunst eines Finanzvorstandes ist es, Zahlen spürbar zu machen“ sagt Ottel. Da kann es schon vorkommen, dass er vor einer Präsentation erhebliche Zeit für das Malen von Bildern veranschlagt. Etwa jenes vom Ralleyfahrer, der in der Kurve gleichzeitig bremst und Gas gibt um auf der folgenden Geraden schneller vom Fleck zu kommen.

„Das soll den Zustand der Voestalpine im derzeitigen wirtschaftlichen Umfeld begreifbar machen“ sagt Ottel. Kreativ. Kollegen bestätigen die kreative Kraft, die Ottel innewohnt. Ein kreativer Beruf ist für den Bildermaler, Sohn zweier Freiberufler – die Eltern haben ein Architekturbüro – trotzdem nie in Frage gekommen. Auch war von Anfang an klar, dass er niemals selbständig sein wollte.

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„Ich habe die Arbeitsbelastung meiner Eltern gesehen, das war kein Lebensplan für mich“ sagt Ottel. Heute hat er nach eigenen Angaben „acht bis 19-Stunden-Tage“ und sein Gehalt bemisst sich zu zwei Drittel aus den Variablen Vorsteuerergebnis und Kapitalrentabilität. Kann gut sein, dass der Mann die Sache mit der Selbständigkeit heute auch ein bisschen anders sieht. Doch wie wird jemand, der sich in jungen Jahren weder Selbständigkeit, Chefsessel noch Luxusleben erträumt, mit 38 zum Finanzvorstand eines der größten Industriebetriebe des Landes?

Möglicherweise, so die Selbsteinschätzung, „weil ich immer den vollen Einsatz geben und nie zufrieden bin“. Vor allem nicht mit sich selbst. Als einen Getriebenen dieser Unzufriedenheit sieht sich der Mann, der 1997 im Zuge der geplanten Übernahme des deutschen Herstellers Salzgitter im Voest-internen Ausbildungsprogramm „Hochmobilitätsreserve“ zur Firmenelite ausgebildet wurde, dennoch nicht. „Unglücklich wäre ich mit der Situation doch nur, wenn ich sie nicht ändern könnte. Aber ich kann ja immer den Extra-Schritt gehen, der nötig ist.“

Finanzvorstand Robert Ottel
Robert Ottel, Finanzvorstand bei der Voestalpine AG. - © Voestalpine
Die Kunst eines Finanzvorstandes ist es, Zahlen spürbar zu machen.
Robert Ottel, Finanzvorstand bei der Voestalpine AG

Seit 22 Jahren erstellt das INDUSTRIEMAGAZIN ein Ranking der Top 250 Industrieunternehmen nach Umsatz, Mitarbeiterzahl und Ertrag. Für die Erstellung des Rankings 2023 wurden 460 der größten Industrieunternehmen (basierend auf dem Umsatz 2021) zu ihrem Umsatz im Jahr 2022 sowie zusätzlich zu Mitarbeiterzahl, Umsatz und Forschungskosten befragt. Die Ergebnisse des diesjährigen Rankings sind hier abrufbar.

Die 250 größten Unternehmen in Österreichs Industrie!

Harald Sommerer: Von AT&S CEO zu neuen beruflichen Herausforderungen

Für die kommenden Monate hat sich Harald Sommerer viel vorgenommen. Der Vorstandsvorsitzende des Leiterplattenherstellers AT&S nimmt nach fünf Jahren als CEO und fast einem Jahrzehnt als Finanzvorstand im Juni kommenden Jahres seinen Hut – aus einer Art beruflicher Mittlebenskrise. „Nach 13 Jahren bei AT&S stellte sich für mich die Frage, ob ich weitere fünf Jahre in derselben, sehr speziellen Branche tätig sein möchte. Nach 18 Jahren wäre ich dann schon sehr branchengeprägt, was es sicherlich schwieriger machen würde, etwas Anderes zu tun“, sagt Sommerer. Sesselkleber ist er auf keinen Fall, der zurückhaltende Zahlenmensch, der in der Finanzwelt den Ruf genießt, selbst abgebrühte angelsächsische Analysten nachhaltig zu beeindrucken.

Distanziert, sachlich, ungreifbar – so wirkt der Mann, der die Gabe hat, potentielle Firmen-Verkäufer selbst nach einem nur rudimentären Blick auf die Bilanzen auf Widersprüchlichkeiten in den Büchern hinzuweisen. Kein Kontrollfreak. Harald Sommerer hat AT&S im vergangenen halben Jahrzehnt nachhaltig verändert. Vom viel zitierten „steirischen Leiterplattenhersteller“zum europäischen Marktführer, ja sogar globalen Top-Unternehmen mit Werken in China, Indien und Korea. Da blieb schon umständehalber kaum mehr etwas übrig vom sehr persönlich geführten Unternehmen seines Vorgängers Willi Dörflinger. „Kontrollfreak darf man in meiner Position keiner sein“ sagt Sommerer. „In einem globalen Konzern ist es wichtig, an den verschiedenen Standorten ein kompetentes Management zu haben, dem man vertrauen kann. Trotzdem braucht es natürlich überall Ziele und Kontrollmechanismen, denn die Kunden verlangen aus jedem AT&S Werk die gleiche Qualität“ sagt Harald Sommerer. Dieser Mann, so berichten Weggefährten, hat den Ruf, Mitarbeitern seines Vertrauens eine lange Leine zu lassen –mit Mitarbeitern, die dieses Vertrauen allerdings auch nur geringfügig missbrauchen, kurzen Prozess zu machen.

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Als „Schwiegersohn“ des Industriellen – und AT&S-Miteigentümers – Hannes Androsch wurde dem Ungreifbaren immer wieder ein einfach verfügbarer – wenn auch völlig unpassender Stempel – aufgedrückt. Es war Willi Dörflinger, der den jungen Absolventen der US-Elite-Uni Kellogg vom Fleck weg engagierte. Seit dem Vorjahr ist der Stempel Schwiegersohn gänzlich unpassend: Der dreifache Familienvater ist geschieden. Starker Aktionär gesucht. Für seine nächste berufliche Herausforderung – nach eigenen Angaben industrienahe ohne geografische Präferenz – dürfte der Eigentümer (aus persönlicher Erfahrung?) trotzdem eine sehr wichtige Rolle spielen. „Ich habe mit dem Modell eines starken, entscheidungsschnellen Kernaktionärs gute Erfahrung gemacht“ sagt Sommerer.

Viel von der enormen Expansion, die AT&S kurz nach dem Platzen der IT-Blase 2001 vorgenommen hat, wäre bei einem breit gestreuten Börsenunternehmen nicht nur sehr schwer möglich gewesen. AT&S hat damals allen Unkenrufen zum Trotz massiv in China investiert. Mittlerweile steht in Shanghai das größte Werke der AT&S Gruppe und der Handy-Bereich erwirtschaftet rund 2/3 des Gesamtumsatzes des Unternehmens. „Sollte ich in ein Unternehmen wechseln, das wieder einen Kernaktionär hat, so ist es mir wichtig, dass unsere strategischen Ansätze kompatibel sind, die Chemie stimmt und eine Vertrauensbasis geschaffen werden kann“ sagt Sommerer. Ob er sich eine Karriere in einem Familienunternehmen vorstellen kann, lässt er offen. „Kapitalgesellschaften sind unbedingt gewinnorientiert. Für angestellte Manager ist die unausgesprochene Familienagenda in Familienbetrieben oft nicht ganz einfach.“

Harald Sommerer AT&S
Harald Sommerer, CEO bei AT&S. - © Helene Waldner
„In einem globalen Konzern ist es wichtig, an den verschiedenen Standorten ein kompetentes Management zu haben, dem man vertrauen kann. Trotzdem braucht es natürlich überall Ziele und Kontrollmechanismen, denn die Kunden verlangen aus jedem AT&S Werk die gleiche Qualität.
Harald Sommerer, CEO bei AT&S

Konfrontative Führung bei Frauenthal Holding's Automotive Division

Wenn Anette Klinger den Prototyp der ausgleichenden Führungskraft darstellt, dann ist Hans-Peter Moser, 43 vom Schlage des Konfrontativen. Der Sohn eines Försters und einer Hausfrau, von dem durchaus auch lautstarke Konfrontationen überliefert sind, ist seit Oktober vergangenen Jahres Vorstand der Automotive Division des Zulieferers Frauenthal Holding. Für die Aufgabe, vor der Moser beim LKW-Zulieferer (Katalysatoren und Nutzfahrzeugfedern) steht, ist sein Charakter wie maßgeschneidert: Die europäische LKW-Produktion ist in den vergangenen Monaten um zwei Drittel geschrumpft. Frauenthal musste einen Umsatzrückgang von 64 Prozent hinnehmen.

Der Mann, der keinen Konfrontationen aus dem Weg geht („Ich war nie jemand für die zweite Reihe, ich habe immer die Fahne getragen“) musste in den letzten zwölf Monaten fast 30 Prozent der Mitarbeiter (insgesamt 1100 Personen) abbauen, hat zwei Standorte (in Deutschland und in Serbien) verkauft, und schließt gerade ein Werk in Frankreich – dem Land, vor dessen Gewerkschaftskultur ganze Vorstandsetagen zittern. Reibefläche. Solche Aufgaben erfordern einen eigenen Schlag Mensch, wie auch Moser eingesteht.

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„Ich brauche unterschiedliche Charaktere, an denen ich mich reiben kann. Ja-Sager haben in meiner Umgebung nichts verloren“ sagt der Anfangvierziger. Moser (Eigendefinition: „berechenbar, extrem direkt, vielleicht zu vertrauensvoll“) mit seiner Strategie zwar umstritten, aber ziemlich erfolgreich ist, konzedieren auch heimische Mitarbeiter. Auch weil er – der sich regelmässig in den Werken sehen lässt und freiwillig auf einen Teil seines Gehaltes verzichtet hat – durchaus authentisch erscheint. Dabei ist er gar nicht als Troubleshooter ins Unternehmen gekommen: Als käufmännischer Leiter der Tschibo/Eduscho-Kette in Österreich wurden die Haupteigentümer der Frauenthal-Gruppe 2001 auf den gelernten Steuerberater aufmerksam. Er sollte, so der Plan, für die Expansion der Frauenthal-Gruppe Unternehmen identifizieren, die eine gewisse Marktposition, Verbesserungspotential und behebbare Defizite aufweisen – und diese dann für die Gruppe erwerben, sanieren und integrieren. Meisterwerk. Sein Meisterwerk, das gestehen auch Mitbewerber ein, legte er mit dem Kauf der drei Sanitärgrosshändler Pinguin, Hoffmann und Röhrich hin.

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Die Betriebe wurden als SHT Haustechnik AG, restrukturiert und neu aufgestellt. „In diesem Bereich habe ich jetzt zwei hervorragende Vorstandskollegen, da sind derzeit keine offenen Fronten mehr, daher kann ich mich auch voll der Automotive Sparte widmen“ sagt Moser. Auf die Frage, wo er sich in zehn Jahren sieht, kommt zu allererst gar keine Antwort. Nach einiger Überlegung, dann: „Auf einer Schihütte, in der Sonne, mit meiner Frau und meinen drei Kindern.“ Und was, wenn ihm diese drei Kinder dort vermittelten, dass sie weder studieren, noch eine Karriere wie die seinige machen wollten? Die Antwort kommt plötzlich wie aus der Pistole geschossen: „Was meine Kinder beruflich machen, ist völlig gleichgültig – soferne sie es aus Überzeugung machen und glücklich dabei sind.“ Wie sagte schon der (dem Automobilmanager Moser sicherlich nicht unbekannte) Erfinder und Forschungschef von General Motors Charles F. Kettering in den 30er Jahren: Glück ist meist nur ein Sammelname für Tüchtigkeit, Fleiß und Beharrlichkeit.