Interview : "Die dritte Milliarde ist angetastet"

Helmut Bernkopf
© David Sailer

Herr Bernkopf, ganz im Gegensatz zu vielen Ihrer Kunden war Kurzarbeit bei Ihnen in den vergangenen sechs Monaten nie ein Thema, oder?

Helmut Bernkopf Nein, in wirklich all unseren Geschäftsbereichen – vom durch die Volatilität der Börsen geprägten Kapitalmarktgeschäft bis hin zur Exportfinanzierung – waren wir ziemlich gefordert. Wir haben binnen weniger Tage mit dem OeKB-Sonder-KRR (Sonder-Kontrollbank-Refinanzierungsrahmen, Anm.) ein liquiditätssicherndes Programm für Exporteure, in Form eines Betriebsmittelkredits, aufgesetzt.

Wieso ging die Bearbeitung so viel schneller und reibungsloser als bei den Garantien, die die bundeseigene COVID-Finanzierungsagentur Cofag abwickelt? Sie prüfen und bearbeiten für die Cofag ja auch Anträge...

Bernkopf Der Sonder-KKR baut auf einem bestehenden rechtlichen Rahmen auf. So war es uns möglich, wenige Tage nach Ausbruch der Krise, gemeinsam mit dem Finanzministerium zwei Milliarden Euro dafür zur Verfügung zu stellen. Seitdem können wir Großunternehmen zehn Prozent und Kleinunternehmen 15 Prozent des Exportumsatzes des Vorjahres zur Verfügung zu stellen. Die Nachfrage war enorm. Bei den Cofag-Garantien hat man sich entschieden, etwas Neues aufzuziehen. Man wollte die Maßnahmen von bestehenden Instrumenten abgrenzen. Der Prozess war daher natürlich aufwendiger. Unsere Rolle dabei ist die Abwicklung der Anträge für Großunternehmen im Auftrag der Cofag.

Der Sonderkreditrahmen für Exporteure wurde mittlerweile auf drei Milliarden Euro aufgestockt. Wie viel davon ist denn noch im Topf?

Bernkopf Die dritte Milliarde ist schon angetastet. Wir haben mittlerweile deutlich über 300 Fälle abgewickelt. Die gesamte Abwicklung gelang jeweils binnen weniger Tage. Das war sehr rasche und sehr benötigte Hilfe für die Exporteure zu Beginn des Lockdowns. Mittlerweile bemerken wir, dass die Nachfrage langsam nachlässt. In der ersten Phase hat es 20 bis 30 Anträge pro Woche gegeben, jetzt sind wir da deutlich im einstelligen Bereich gelandet.

Planen Sie eine Verlängerung des Finanzierungsprogramms im kommenden Jahr?

Bernkopf Wir werden all unsere Maßnahmen an den Bedarf der Exporteure anpassen. Wir bemerken allerdings, dass sich die Liquiditätsplanung der Unternehmen wieder normalisiert. Die Liquidität kommt für die Exporteure auch durch die Entspannung auf den Exportmärkten wieder zurück. Wir gehen also davon aus, dass der Bedarf nach dem Sonder-KRR sinkt. Wir haben darüber hinaus auch zahlreiche Absicherungs- und Finanzierungsprodukte, die unseren Kunden in der Vergangenheit und in anderen schwierigen Phasen schon treue Dienste geleistet haben. Klar ist, dass wir als verlässliche Partnerin gemeinsam mit unseren Kunden durch diese Zeit gehen.

Sie prüfen für die Cofag Anträge der Industrie und geben Empfehlungen ab. Wie viele Anträge haben Sie in dieser Pandemiewelle bearbeitet?

Wir halten derzeit bei rund 70 Anträgen...

...was erstaunlich wenig ist...

Bernkopf Das hat damit zu tun, dass wir hier rein die Anträge von Großbetrieben abwickeln. Letztlich muss man aber sagen: Wenn uns Unternehmen in dieser Angelegenheit nicht brauchen, ist das eine positive Sache. Gerade die Industrie hatte glücklicherweise – in vielen Branchen – keinen kompletten Stillstand wie etwa Dienstleister, der Handel oder der Tourismus. Es gibt tausende Anträge beispielsweise aus dem Tourismusbereich. Diese bearbeitet unsere Tochter ÖHT.

Die größte Herausforderung der letzten Monate war die Liquiditätssicherung und Schadensbegrenzung. Jetzt steht das Ankurbeln der Konjunktur im Vordergrund. Was würden Sie sich für Exporteure wünschen?

Bernkopf Wir hoffen, dass zusätzlich zu den Investitionszuschüssen, die derzeit umgesetzt werden, auch die eine oder andere Initiative in Sachen Exportwirtschaft angedacht wird. Zum Beispiel im Bereich Digitalisierung oder Standortentwicklung. Wir haben im letzten Jahr, knapp vor Ausbruch der COVID-Pandemie, das Produkt Export Invest Green geschaffen. Unternehmen, die nachhaltig investieren, können damit über das Ausmaß ihrer Exportquote hinaus begünstigt refinanzieren. Solche Maßnahmen können ein sinnvoller Baustein von Wiederaufbaumaßnahmen sein.

Wie schätzen Sie denn die konjunkturellen Rahmenbedingungen der nächsten Monate ein?

Bernkopf Ich glaube, wir alle haben 2020 abgehakt. Das Schlimmste scheint hinter uns zu liegen, wenn man den Prognosen vertraut. Im Export werden wir zwar leider noch ein bisschen stärker schwächeln als gesamtkonjunkturell, aber wir sehen schon eine leichte Verbesserung der Situation. Es wird voraussichtlich bis 2022 dauern, bis unsere Exporteure auf das Vorkrisenniveau kommen. 2021 wird sich das noch nicht ausgehen.

Neben der Disruption durch die Pandemie verändert auch der neue Protektionismus die globalen Handelsströme. Ist das etwas, was Ihnen Sorgen macht?

Bernkopf Protektionistische Tendenzen sind für uns nie erfreulich. Wir haben erst kürzlich nachgezählt: Von Mitte 2019 bis Mitte 2020 sind weltweit über 165 neue protektionistische Maßnahmen erlassen worden, die österreichische Unternehmen direkt oder über Vorprodukte betreffen. Der Prozentsatz an Importen weltweit, der von handelsbeschränkenden Maßnahmen betroffen ist, ist von 0,8 Prozent im Jahr 2010 auf 8,7 Prozent im Vorjahr gestiegen. Da lässt sich ein Trend erkennen, der sich verstärkt. Die Rivalität zwischen China und den USA dürfte, das ist meine persönliche Einschätzung, auch nach der US-Wahl, egal wie sie ausgeht, nicht zu Ende sein. Auch beim Thema Brexit gab es zuletzt keine guten Nachrichten. Gerade kleine, offene Volkswirtschaften und Nischenplayer wie Österreich brauchen den freien Handel.

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