Strompreise : Deutschland entscheidet sich für neue Hürden im Stromhandel mit Österreich

Deutschland erwägt, den Stromhandel mit Österreich wegen Netzengpässen an der Grenze einzuschränken. Die Bundesnetzagentur, die deutsche Regulierungsbehörde, hat die vier im Land tätigen Übertragungsnetzbetreiber angewiesen, entsprechende Maßnahmen vorzubereiten. Der Schritt hat sich bereits abgezeichnet, wie INDUSTRIEMAGAZIN ab dem Herbst 2015 und danach mehrfach berichtet hatte, zuletzt vor wenigen Wochen hier: Deutsch-österreichischer Stromhandelszone droht das Aus >>

Was als Nächstes passieren soll

Als Nächstes steht vermutlich in der zweiten Novemberwoche eine Trennung der Strompreiszone an, den Acer, die Agentur der europäischen Energieregulierungsbehörden, beschließen wird. Diese Entscheidung ist noch nicht rechtsverbindlich, sondern lediglich eine Empfehlung. Allerdings hat die deutsche Bundesnetzagentur jetzt angekündigt, dieser Empfehlung zu folgen.

Danach sollen die jetzt vorgesehenen Maßnahmen sollen ab dem 3. Juli 2018 greifen. Die Vorbereitung einer Engpassbewirtschaftung an der deutsch-österreichischen Grenze solle den Strommarkt langfristig funktionsfähig halten und die Versorgungssicherheit in Deutschland und der Region gewährleisten, erklärte Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, zur Begründung.

Scharfe Kritik der heimischen Energiebranche

Dies stieß umgehend auf scharfe Kritik von Österreichs E-Wirtschaft und dem heimischen Energieregulator E-Control. Für die österreichische E-Control sind die geplanten einseitigen Engpass-Maßnahmen an der Grenze "ein falscher Schritt, der weder erforderlich noch gerechtfertigt ist", es gebe "eindeutig gelindere Mittel", so die Vorstandsdirektoren Wolfgang Urbantschitsch und Andreas Eigenbauer in einer Aussendung. Der gemeinsame Strommarkt der beiden Länder sei "Musterbeispiel einer gelungenen Energiemarkt-Integration".

Für die heimische E-Wirtschaft brandmarkte Oesterreichs-Energie-Präsident Wolfgang Anzengruber die Beauftragung der deutschen Übertragungsnetzbetreiber mit einer Engpassmanagement-Vorbereitung durch die deutsche Bundesnetzagentur als "falsche und voreilige Aktion wider den Geist des europäischen Strombinnenmarkts". Deutschland, das die Probleme im europäischen Übertragungsnetz ursächlich ausgelöst habe, versuche so, den selbst verursachten Schaden auf kleinere Länder abzuwälzen, so der Verbund-Chef.

Bundesnetzagentur: Es geht nur um Handelsspitzen

Das Engpassmanagement solle vorbereitet werden, weil der Stromhandel nach Österreich weiter zunehme und zusehends zu Netzengpässen zwischen Deutschland und Österreich führe, so Homann: "Wir rechnen aber damit, dass Stromhandel zwischen beiden Ländern in erheblichem Umfang weiterhin möglich sein wird. Es werden lediglich Handelsspitzen gedeckelt." Laut Reuters geht es um etwa zehn Prozent des Handelsvolumens, das wegen fehlender Netze eigentlich nicht abgewickelt werden könnte.

Seitens der deutschen Bundesnetzagentur hieß es, die Einführung eines Engpassmanagements an der bilateralen Grenze bis Sommer 2018 sei nötig, "weil die Kapazitäten der Übertragungsnetze in Deutschland, Österreich sowie Polen und Tschechien technisch nicht in der Lage sind und auch bei erfolgreichem Netzausbau langfristig nicht in der Lage sein werden, den gehandelten Strom vollständig zu transportieren".

Will Berlin Druck aufbauen?

Die deutsche Regierung will Reuters zufolge mit der angedrohten Begrenzung nun Druck aufbauen, um mit Wien doch noch zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Sie reagiert damit auch auf Beschwerden aus Polen und Tschechien, da Strom häufig über diesen Umweg wegen der Netzengpässe nach Österreich fließt. Wie berichtet will die EU-Energieagentur ACER Mitte November eine Strompreiszonen-Entscheidung treffen, die - einige Jahre später - eine Trennung des bisherigen gemeinsam Strommarktes bringen könnte.

Ärgerlich für Österreichs E-Wirtschaft ist laut Anzengruber, dass die deutsche Regierung mit ihrer Entscheidung den Verband der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) präjudiziere. Dieser allein trägt die Verantwortung für die Prüfung, ob es einen Engpass zwischen Deutschland und Österreich gibt. Die ENTSO-E habe das Ergebnis ihres "Bidding Zone Review" erst für das vierte Quartal 2017 angekündigt.

Wolfgang Anzengruber: "Politische Entscheidung Deutschlands"

Anzengruber: "Jetzt stehen wir vor einer einseitigen Entscheidung Deutschlands, die politisch, aber nicht sachlich motiviert ist. Österreich hat Kompromissvorschläge unterbreitet, die Oesterreichs Energie unterstützt. Wir hoffen, dass die Gespräche der Regulatoren weitergeführt werden und dass noch eine bessere Lösung für die österreichischen Stromkunden gefunden werden kann."

E-Control: "Tatsächliches Problem ist ein innerdeutscher Netzengpass"

Die E-Control betonte, weiter gesprächsbereit zu bleiben: "Wir werden die Gespräche mit Deutschland und den anderen Beteiligten weiter fortführen und sind weiter zuversichtlich, auf dem Verhandlungsweg eine Einigung zu finden."

Der heimische Energieregulator bezeichnet den langfristigen Netzausbau als einzige Lösung, um die Situation nachhaltig zu entspannen: "Das tatsächliche Problem ist ein innerdeutscher Netzengpass, das lässt sich durch eine künstliche Verschiebung an die deutsch-österreichische Grenze nicht lösen."

Industrie in Bayern gegen ein Engpassmanagement zu Österreich

Gegenwind kommt auch von der Industrie in Bayern. Der Freistaat im Süden gehört bekanntlich zu den nur noch drei verbliebenen Netto-Einzahlern im innerdeutschen Länderfinanzausgleich. Die anderen zwei sind Baden-Württemberg und Hessen. Von den innerdeutschen Transferzahlungen, mit denen defizitäre Bundesländer subventioniert werden, entfällt auf Bayern mit zuletzt 5,45 Milliarden Euro der Löwenanteil.

Entsprechend groß ist das Interesse der Industrie im Freistaat an erschwinglichen Energiepreisen. Im Hinblick auf den Vorstoß der Bundesnetzagentur warnt Eberhard Sasse, Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags: "Diese Pläne gefährden die Versorgungssicherheit in Bayern, führen zu höheren Strompreisen und schaden dadurch unseren Unternehmen."

Dagegen bestünden leistungsfähige Netzverbindungen zwischen Österreich und Bayern, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme des BIHK und der Wirtschaftskammer. Zudem gebe es in Österreich viele Pumpspeicherkraftwerke, die Netzspitzen aufnehmen und den Strom bei Bedarf wieder einspeisen können.

(apa/red)

Falls die EU-Energieagentur ACER tatsächlich im November eine Trennung des gemeinsamen Strom-Marktgebiets Deutschland-Österreich beschließen sollte, will der österreichische Übertragungsnetzbetreiber APG "alle rechtlichen Möglichkeiten dagegen prüfen". Nach Ansicht der Austrian Power Grid würde die jetzt angekündigte Maßnahme der deutschen Seite einen "massiven Rückschritt in der EU-Marktintegration bedeuten".

APG: Wirksamkeit der Maßnahme im Netz gering

Zunächst dürfte die APG wohl bei ACER selbst gegen die Entscheidung berufen, die weiteren rechtlichen Möglichkeiten auf europäischer Ebene sind derzeit noch unklar.

"Den einzigen derzeit in Europa funktionierenden grenzüberschreitenden Strommarkt zu zerschlagen, kann nicht im Sinne der Vertiefung des EU-Binnenmarktes sein", so APG-Chefin Ulrike Baumgartner-Gabitzer. Der Aufbau von künstlichen Handelshemmnissen wäre außerdem eine netztechnisch wenig wirksame Maßnahme, meint Technik-Vorstand Gerhard Christiner.

Die APG werde weiterhin auf der Ebene der Vereinigung der europäischen Übertragungsnetzbetreiber an Lösungsvorschlägen zur Verbesserung der gesamteuropäischen Netzsituation mitarbeiten, sagte der kaufmännische APG-Vorstandsdirektor Thomas Karall.

ÖVP: Deutsche Stellen handeln gegen den Binnenmarkt

Auch Josef Lettenbichler, der Energiesprecher der ÖVP, reagiert ablehnend auf die Ankündigung der deutschen Bundesnetzagentur: "Anstatt an einem europäischen Energiemarkt zu arbeiten, setzt die deutsche Bundesnetzagentur einen nationalen Alleingang und handelt damit dem Ziel eines gemeinsamen EU-Energiebinnenmarktes zuwider." Jetzt müssten die Details der geplanten Umsetzung sowie die juristischen Möglichkeiten gegen die Maßnahme geprüft werden. (apa/red)