Digitalisierung : Der Schrittmacher: Wenn Digitalisierung zur Not wird

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Eine Fahrt durchs Schilcherland macht die Segnungen der heimischen Landschaften spürbar. Weinberge, Kürbisfelder, satte grüne Wiesen – dazwischen immer wieder kupierte Eichen- und Buchenwälder – die Bezeichnung der „österreichischen Toskana“ erklärt sich recht eindringlich. An international aktive Zulieferunternehmen denkt man in diesem ländlichen Idyll zuletzt. Zu Unrecht: Knapp außerhalb der Stainzer Ortstafel – auf halbem Weg ins kürzlich eingemeindete Georgsberg findet sich linker Hand ein moderner Bau: bunt, würfelförmig, viel Glas. So sehen architektonisch ambitionierte Gewerbebauten aus dem Anfang der Nullerjahre aus. Im Technologiezentrum Stainz-Georgsberg hat die TCM-Gruppe ihren Stammsitz. Die Werkzeugspezialisten dirigieren von den Ufern der Lemsitz aus Aufträge bei Opel, Magna, Daimler oder Volkswagen, und das an Standorten in ganz Europa, Südamerika und China.

Obmann von alles

Manfred Kainz ist Gründer und bis heute geschäftsführender Gesellschafter des 540-Mitarbeiter- Unternehmens. Ohne seine Person lässt sich die Geschichte der TCM nicht erzählen – und auch nicht deren Zukunft erklären. In und um Stainz ist der 57-Jährige so etwas wie der Duracell-Hase des Ehrenamtes: Erst im Frühjahr wurde er zum Honorarkonsul von Polen ernannt. Im Vorjahr machte man den Unternehmer gar zum Tourismusobmann des Schilcherlandes, ohne dass er ein einziges Bett vermietet. Nach dem Ende seiner (nicht ganz ehrenamtlichen) Landtagskarriere 2012 und der Abgabe des ÖVP-Bezirksobmanns von Deutschlandsberg 2015 – sein Nachfolger ist übrigens Werner Amon – war man der Ansicht, er habe dafür genug Zeit. Dass Kainz beim Aufbau des steirischen Autoclusters AC Styria federführend war, überrascht nicht mehr. Und dass das Technologiezentrum TEZ, in dem die TCM den größten Mieter gibt, die Idee des einstigen Kabarettisten ist, passt auch ins Bild. Aktuell neigt er aber wenig zu Scherzen: „Wenn die TCM die nächsten zehn Jahre so weitermacht wie bisher, dann verlieren wir fünfzig Prozent unseres Umsatzes“, zeichnet Manfred Kainz ein düsteres Bild der Unternehmenszukunft. Digitalisierte Produktionsmethoden in der Automobilindustrie und Auswirkungen der E-Mobilität würden Kernsegmente der bisherigen TCM-Dienstleistungen ins Leere laufen lassen. Ohne Gegenstrategie wäre der Fortbestand seiner Unternehmensgruppe mittelfristig gefährdet. „Wir arbeiten seit zwei Jahren daran, die TCM neu auszurichten.“ Die Digitalisierung braucht Antworten.

Bohren statt Schärfen

Um die Zukunftsängste von Manfred Kainz zu verstehen, ist ein Ausflug in die Zerspanungstechnik notwendig. Bei der Zerspanung geht es im Wesentlichen um Drehen, Bohren, Fräsen und Schleifen. Die Kernkompetenz des Stainzer Dienstleisters besteht im Schärfen und Optimieren von Werkzeugen, die für genau diese Verfahren gebraucht werden. In den letzten 15 Jahren wurden die Dienstleistungen zunehmend erweitert: Ging es zuerst um die Beschaffung und Schärfung des Bohrers, übernahm man später das Bohren selbst. Die TCM- Teams kümmern sich heute auch um die Ausgabe der Werkzeuge sowie um die Umrüstung ganzer Produktionslinien. Derzeit macht das Unternehmen 80 Prozent seines 95-Mio.-Euro-Umsatzes an den globalen Produktionsstätten der automotiven Industrie. Das Problem für TCM: Die Digitalisierung verändert die Produktion der Autokonzerne grundlegend. „Wir müssen davon ausgehen, dass eine künftige Autofertigung mit neuen Verfahren und geringerem Werkzeugeinsatz auskommt“, befürchtet Kainz. Die Werkzeugabnützung an den digitalen Montagestraßen werde um vieles schwächer sein als heute und – für die TCM-Dienstleistungen entscheidend – durch andere Prozesse kontrolliert werden. Mit anderen Worten: Das Werkzeugmanagement wird zu einer unternehmensinternen Aufgabe. Für externe Spezialisten gibt es in dem Bereich nur mehr wenig zu tun.

Drohszenario E-Mobilität

Neben der digitalisierten Produktion kämpft die TCM mit einem zweiten Negativtrend: Autos mit einem elektrifizierten Antrieb haben einen wesentlich geringeren Werkzeugeinsatz als konventionelle Karossen. Konkret: TCM macht heute in seinem Automobilsegment mehr als zwei Drittel seines Umsatzes mit Werkzeugen, die zur Fertigung des Antriebsstranges dienen. Und die drohen in Zukunft in weiten Bereichen nicht mehr gebraucht zu werden. Zu den sogenannten „Powertrain“-Teilen gehören so umfassende Module wie Motor, Kupplung oder Getriebe. Bei einem Elektrofahrzeug fallen diese Fertigungsstücke weitgehend weg. Selbst wenn bis weit nach 2030 mehr als die Hälfte aller Autos immer noch mit Verbrennungsmotoren verkauft werden – die Zukunft spricht hier gegen bisherige TCM-Stärken.

Ausweg: Selber digitalisieren

Das Management von TCM tritt angesichts der Prognosen die Flucht nach vorne an. „Wir müssen unseren Einfluss auf die Wertschöpfungskette der Kunden vergrößern“, gibt Manfred Kainz die aktuelle Stoßrichtung vor. Das Zauberwort dafür: Automatisierung. Durch die Vernetzung der Maschinen lasse sich die Produktivität des Kunden messbar steigern. Gepaart mit einem erfolgsorientierten Honorarsystem – der Kunde zahlt im Verhältnis der gewonnenen Produktionsleistung – will Kainz den Stellenwert der TCM-Dienstleistungen deutlich nach oben treiben. Der Bereich des Tool- Managements kontrolliert derzeit um die drei Prozent des Kostenspektrums einer Autofertigung. Beiden von Kainz angestrebten Automatisierungsdienstleistungen würde man auf 30 Prozent Einfluss nehmen. Fünf Prozent mehr Produktivität durch optimierte Vernetzung bringen so dem Kunden mehr als 50 Prozent Steigerung im vergleichsweise kleinen Werkzeugbereich.

Zukäufe

Um aus den Plänen Wirklichkeit werden zu lassen, verstärkt die TCM zunehmend ihre Datenkompetenz. Basierend auf den Planungs- und Kontrollverfahren für das Werkzeug-Management wurden zuletzt SAP-Anwendungen entwickelt, die auf den-Standardmodulen der Materialwirtschaft, des Controllings und der Finanzbuchhaltung aufsetzen: Dabei geht es bisher noch um Dinge wie Werkzeuge nachbeschaffen oder wiederaufbereiten. In naher Zukunft sollen die Daten zur Steigerung von Taktfrequenzen, Verringerung von Umrüstzeiten und Reduktion des Planungs- und Lageraufwandes herhalten. Die Leistungsfähigkeit bestehender Produktionsketten soll nach oben gepeitscht werden.

Worte brauchen Taten

TCM investiert seit 2014 sukzessive in den Aufbau von speziellem Daten-Know-how. Neben dem Aufbau einer Zwei-Mann-Applikationsentwicklung in Stainz wurden in den vergangenen Jahren drei kleine Software- und Engineering-Firmen in Österreich und der Schweiz mit zusammen fast siebzig Mitarbeitern eingekauft. Sie sollen die TCM-Gruppe vom Werkzeugspezialisten zum Automatisierungsexperten für Auto-, Flugzeug- sowie Maschinenproduktionen trimmen.

Aufrüsten an der Wissensfront

Der verbesserte Umgang mit Daten wird dabei auch im Verkaufsprozess genutzt. Die Analyse- und Anbotsphase, die sich bis vor wenigen Jahren über Wochen hinzog, dauert heute bei TCM auch für komplexe Projekte zwei bis drei Tage. Gleichzeitig wurde ein Ausbildungszentrum für interne und externe Mitarbeiter eingerichtet, das die digitalen Kompetenzen im Fräsen, Bohren und Schleifen puscht. Dabei von zunehmender Bedeutung: der Einsatz von 3D-Druckern in der Produktion.

Keine Jobverluste

Für Manfred Kainz ist die Digitalisierung unaufhaltsam, ebenso wie es Dampfmaschine und Internet waren. Jobverluste fürchtet er nicht: „Fachleute und Spezialisten kann auch die Digitalisierung nicht ersetzen. Wir werden mehr Mitarbeiter haben. Die verfügen aber über ein wesentlich breiteres Wissen.“ Er warnt nur vor einem: „Nichts zu tun.“

Auch am 10. Industriekongress war das Thema Digitalisierung und deren Umsetzung im Unternehmen vorherrschendes Thema. Vor allem die Strategie von Viessmann wurde breit diskutiert.