Management : Der Reporting-Wahn

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Das Leiden folgt einem klaren Muster. Zu Monatsende ist es schlimm. Am Quartalsende noch schlimmer. Zu Jahresende kaum auszuhalten. Wer in Unternehmen an einer Schlüsselposition sitzt, kennt das zermürbende Spiel: An wiederkehrenden Stichtagen tragen die einen mühsam Daten zusammen und pressen sie in schier endlose Reihen, Tabellen und Analysen, andere versuchen dann, diese zu entziffern und aus ihnen Schlüsse zu ziehen. Willkommen in der schönen Welt des Berichtswesens. Dass österreichische Unternehmen heute deutlich mehr Aufwand für das Erstellen von Reports treiben als noch vor fünf oder sechs Jahren, gilt unter den meisten heimischen Managern als unumstritten. Wie sinnvoll der Reporting-Boom ist und ob er helfen kann, Fehlentscheidungen zu verhindern, daran scheiden sich aber die Geister. „Abwürgen von Dynamik“ Norbert Zimmermann, Aufsichtsratsvorsitzender bei der Berndorf AG, zum Beispiel spricht von einem Reporting-Wahn, der deutlich mehr Schaden anrichte als Nutzen hervorbringe: „Das permanente Reporting führt zu einem Abwürgen der Dynamik. Wir haben immer mehr Bürokratie und immer weniger Unternehmertum“, klagt er und erklärt ohne große Schnörkel, wie sein persönliches Gegenrezept lautet: „Man kann nur eines machen: Jene Leute im Unternehmen, die kreativ und inhaltlich arbeiten, von diesem ganzen Bürokratenkram abschotten. Den müssen eben andere erledigen.“ Das koste zwar auch Ressourcen, sei aber immer noch besser, als die besten Köpfe im Haus den ganzen Tag lang Tabellen ausfüllen zu lassen. Lesen Sie weiter: Kapitalmarkt treibt Berichtswesen

Tabellen ausfüllen, wie Zimmermann Reporting bisweilen nennt, ist inzwischen längst nicht nur in börsennotierten Unternehmen zu einer zeitraubenden Pflichtübung geworden. Auch viele Firmen, die nicht an der Börse notieren und daher beim Reporting eine etwas längere Leine haben, widmen sich im Monatsrhythmus dem Schreiben, Lesen und Archivieren von Berichten. Weil Banken heute viel öfter aktuelle Zahlen verlangen, müsse man diese stets parat haben, mit diesen Worten erklären Controller gern den Hintergrund der wenig geliebten Datensammlerei. Ebenfalls oft als Sündenböcke genannt: Wirtschaftsprüfer. Auch sie, heißt es, würden immer mehr und immer genauere Zahlen verlangen. Kapitalmarkt treibt Berichtswesen Ein Befund, den Harald Fuchs, lange Zeit selber als Wirtschaftsprüfer tätig und heute Leiter des Rechnungswesens bei der Lenzing AG, relativiert: „Die Kritik, dass Wirtschaftsprüfer Unternehmen dazu treiben, immer mehr Unterlagen vorzulegen, kann ich nicht teilen. Der Grund sind vielmehr die strengeren gesetzlichen Bestimmungen. Wirtschaftsprüfer helfen ihren Kunden, diese Bestimmungen einzuhalten.“ Klaus Dirnberger, Geschäftsführer und Miteigentümer des oberösterreichischen Maschinenbauers Anger Machining, nennt einen weiteren Punkt, warum manche Firmen gar nicht anders können, als exzessives Berichtswesen zu betreiben: „Sobald Sie einen Fonds als Miteigentümer an Bord haben, wirkt sich das auch auf ihr internes Reporting aus. Denn solche Miteigentümer verlangen auch nach innen ein sehr stark formalisiertes Reportwesen.“ Dirnberger weiß, wovon er spricht. Bei Anger Machining war bis 2008 die Invest Unternehmensbeteiligungs AG beteiligt. Derzeit hält die zur Bank Austria gehörende EK Fin 49 Prozent am Unternehmen. Lesen Sie weiter: Berichte statt Verantwortung

Die Zahlen, die auf Wunsch von Private-Equity-Fonds erhoben werden, sagt Dirnberger, haben schon ihren Sinn. Allerdings sei ihm zum Beispiel die Häufigkeit nicht immer einsichtig: „Viele Parameter ändern sich nicht so schnell, dass sie jedes Monat zwingend in einen Report geschrieben werden müssten. Weil es aber der Formalismus verlangt, wird es dennoch gemacht.“ Er habe allerdings das Glück, dass sein Unternehmen groß ist und er daher die meisten Zahlen tatsächlich zur operativen Steuerung brauchen kann. „Bei kleineren Unternehmen ist es aber so, dass, wenn ein Private-Equity-Fonds dabei ist, mehr interne Reports gemacht werden müssen als das ohne einer Fondsbeteiligung der Fall wäre.“ Reports schieben Verantwortung ab Nicht immer steckt hinter der Zahlenwut aber ein Miteigentümer, der die Geschäftstätigkeit mit allen möglichen Tabellen und Charts untermauern will. Vielfach geht es bei der internen Dokumentationswut ganz einfach um Angst und um den Wunsch, für jeden erdenklichen Fall gerüstet zu sein. „Oft wird intern jeder Schritt dokumentiert, bloß um sich abzusichern. Das ist eine Frage der Haltung. Wer unfähig ist, Verantwortung zu übernehmen, schreibt stattdessen Berichte“, ironisiert Jochen Pildner-Steinburg, Geschäftsführer und Eigentümer des Grazer Anlagenbauers GAW und zugleich Präsident der steirischen Industriellenvereinigung. „Wenn das im mittleren Management passiert, sind die Folgen verheerend. Denn der mittlere Manager lässt sich dann alles berichten und berichtet selbst penibel nach oben weiter. Die Leute unter ihm müssen also Berichte schreiben, die über ihm Berichte lesen. Nur zum Arbeiten kommt keiner mehr.“ Lesen Sie weiter: Schaffen klare Regeln Transparenz?

Ähnlich sieht es auch Berndorf-Aufsichtsratschef Zimmermann: „Wichtiger als Reporting ist die Unternehmenskultur. Wenn ich als Aufsichtsrat oder Eigentümer nahe genug an den Leuten bin, die die Entscheidungen treffen, ist die Gefahr deutlich geringer, dass etwas passiert, und keiner kommt drauf. Dann brauche ich auch nicht tausende Reports.“ Schaffen klare Regeln Transparenz? Eine völlige Absage an die Dokumentaton des eigenen Tuns möchten freilich weder Zimmermann noch Pildner-Steinburg postulieren: „Natürlich gibt es Bereiche, wo Reports unverzichtbar sind“, sagt Pildner-Steinburg, „etwa wenn es um Sicherheit oder Qualität geht. Ich habe aber ganz massiv den Eindruck, dass Unternehmen heute immer mehr Zeit mit Reporting verbringen müssen, ohne dass es den gewünschten Output bringt. Das nimmt komplett überhand.“ Dieser Analyse wird eher selten, gelegentlich aber doch widersprochen. Peter Fleischer, Leiter der Investor Relations bei der voestalpine und somit mit Reports immer wieder beschäftigt, merkt jedenfalls an: „Ich kann die Einschätzung, das Reportingwesen habe generell in den letzten fünf Jahren an Umfang und Komplexität zugenommen, so nicht teilen.“ Was sich allerdings geändert habe, sei die Art der Daten, die nachgefragt werden. Der Nutzen, den sich Befürworter von möglichst strengen Reportingregeln erhoffen, besteht in Transparenz und Risikominimierung. Claus Raidl, lange Jahre Vorstandsvorsitzender von Böhler-Uddeholm, heute Präsident der Oesterreichischen Nationalbank, sieht die verschärften Reportanforderungen an Unternehmen daher positiv: „Ich würde mir wünschen, dass auch Unternehmen, die nicht an der Börse notieren, sich an den Corporate-Governance-Kodex halten. Auch in deren Berichten wäre Offenheit wünschenswert. Schließlich verwalten Firmenvorstände in aller Regel fremdes Geld. Insofern erscheint es mir nicht übertrieben, hier möglichst große Transparenz zu fördern.“ Lesen Sie weiter: Welche Zahlen sind eigentlich nötig?

Dass Geschäftsberichte in ihrer äußeren Gestaltung bisweilen völlig überfrachtet daherkommen, gibt Raidl indessen gern zu. „Viele Firmen nützen das halt als PR-Maßnahme. Das ist ja auch legitim. Bei manchen Geschäftsberichten denke ich mir allerdings schon, dass da die Verpackung teurer ist als der Inhalt.“ Formale Muss-Berichte bleiben ungenutzt Den Vorwurf, dass Reporting für viele Unternehmen aufgrund von verschärften Vorschriften zum Zeit- und Ressourcenkiller wird, kann Raidl hingegen nicht teilen. „Ich weiß: da wird viel gejammert, aber ich glaube nicht, dass das im Vergleich zu früher um so viel mehr Aufwand ist. Und abgesehen davon braucht man die Zahlen so oder so, um ein Unternehmen zu führen.“ In dieser Allgemeinheit würden der Aussage wohl viele zustimmen. Fragt man bei einzelnen Managern allerdings nach, wie viel von den in Berichten gelieferten Zahlen sie auch tatsächlich zur Steuerung ihrer Firmen brauchen, ergibt sich ein anderes Bild. „Sobald ich die Kennzahlen nicht mehr im Kopf behalten kann und sie auf Papier haben muss, sollte ich mich fragen, ob es nicht zu viele sind“, sagt etwa Norbert Zimmermann. Und fordert daher, ganz Firmenlenker der alten Schule: „Die wenigen Zahlen, die ich brauche, sollte ich so parat haben, dass ich mit ihrer Hilfe gleich nach dem Aufwachen und noch vor dem Frühstück sagen kann, wie es meiner Firma gerade geht.“ „Wissen Sie, ich bin ohnehin eher ein Bauchmensch“, antwortet auf die Frage nach den nötigen Kennzahlen der Eigentümer und Aufsichtsratsvorsitzende des Entsorgerriesen Saubermacher, Hans Roth. Roth gesteht zwar, „mit dem Reporting an sich kein Problem zu haben“, fügt aber hinzu, dass „natürlich kein Unternehmer etwas dagegen hätte, wenn man die gesetzlichen Rahmenbedingungen vereinfachen würde“. Bei einer Unternehmensgruppe aus 70 Firmen, wie es bei Saubermacher der Fall ist, würden sich die Parameter, die man für Entscheidungen braucht, außerdem oft so schnell ändern, dass man diese Dynamik selbst beim besten Willen nicht so leicht in Zahlen gießen könne. Was ist nötig zur operativen Führung? Auch Jochen Pildner-Steinburg vom Grazer Anlagenbauer GAW kann auf die Frage nach den für die operative Unternehmensführung nötigen Zahlen nur milde lächeln: „Da fragen Sie einen alten Fuchs. Soll ich es Ihnen wirklich sagen? Fünf, maximal zehn, mehr brauche ich normalerweise nicht. Aber natürlich gibt es auch Leute, die sich hunderte von Zahlen berichten lassen.“ Lesen Sie weiter: "Kultur des Misstrauens"

Die Tendenz geht jedenfalls eindeutig zu immer längeren und immer breiteren Zahlenkolonnen. Und sie kommt, so meinen jedenfalls viele, die mit ihr zu kämpfen haben, ausgerechnet aus dem Land, das oft als Sinnbild für unternehmerische Freiheit herhalten muss: den Vereinigten Staaten. „Der Trend, alles zu reporten, alles zu dokumentieren, kommt aus den USA und folgt einer für Unternehmer leider oft verhängnisvollen Logik. Es geht nur noch darum, keine Fehler zu machen, anstatt etwas gut und richtig zu machen. Das kann jede Dynamik töten“, sagt etwa Martin Krauss, Finanzvorstand bei Siemens VAI. „Misstrauenskultur“ Dahinter macht Krauss als Ursache eine Kultur des Misstrauens aus: „Es gibt eben eine Vertrauens- und eine Misstrauenskultur. Wo es eine Misstrauenskultur gibt, werden die Vorgaben an das Reporting allein schon aus dem Kontrollbedürfnis heraus größer.“ Was jedoch nur einen bedingten Nutzen habe, denn natürlich seien Zahlen als Mittel des Risikomanagements wichtig. „Am Ende steht aber die Interpretation und damit die Frage, was ein konkreter Mensch als Entscheider aus den Zahlen macht.“ Und selbst das ist erst das halbe Problem. Die andere Hälfte besteht darin, dass eine Balance zwischen an Zahlen reichen, aber unübersichtlichen Berichten und Berichten, die sich auf wenige Daten konzentrieren, dafür aber oft einseitig ausfallen, kaum zu finden ist. Wie werden Daten besser? „Der Trend geht, nicht zuletzt unter dem Stichwort Risikomanagement, zu mehr Daten“, sagt Christoph Eisl von der FH Oberösterreich, an der ein Team darüber forscht, wie Unternehmen ihre Reports am effizientesten gestalten können. „Aus der Sicht der Lesbarkeit wären hingegen eher weniger Daten wünschenswert, wobei Sie dann natürlich sofort das Problem haben, dass Reportersteller versuchen können, die wenigen Kennzahlen, die im Report vorkommen, auf Kosten von Zahlen, die nicht vorkommen, zu frisieren.“ Die Hoffnung, schon bald werde es nur noch eine einzige, allgemein verständliche, supereffiziente Vorlage für alle Reports geben, müssen die Forscher enttäuschen. Heimo Losbichler, der an der FH Oberösterreich den Studiengang Controlling, Rechnungswesen und Finanzmanagement leitet, relativiert allzu hohe Erwartungen: „Die One-size-fits-all-Empfehlung für Reports gibt es nicht, und es wird sie auch nicht geben. Dazu sind die Anforderungen an unterschiedliche Reports zu groß und auch die persönlichen Vorlieben der Reportersteller und -leser. Wir können aber mit ziemlich großer Sicherheit sagen, was nicht funktioniert, und Empfehlungen für Dinge geben, die höchstwahrscheinlich funktionieren werden“ (siehe Kasten). Ein Ende der Subjektivität Die wichtigste Herausforderung im Reporting sehen die FH-Forscher in der Notwendigkeit, möglichst viel auf möglichst wenig Fläche unterzubringen, nicht zuletzt unter dem Einfluss von Tablets und Smartphones, bei denen der zur Verfügung stehende Platz anders begrenzt ist als beim klassischen PC, Laptop oder gar im Druck. „Wie bringe ich möglichst viel Information pro Quadratzentimeter unter, ohne dass es unübersichtlich wird, das ist sicher eine der Kernfragen“, sagt Losbichler. Sich hier allein auf Erfahrung zu verlassen, helfe nicht weiter. „Fragen Sie drei Leute, die seit Jahren Reports machen, wie ein konkretes Problem zu lösen ist, eine Grafik zum Beispiel, und Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit drei völlig unterschiedliche, ja womöglich sogar einander widersprechende Vorschläge bekommen.“ Lesen Sie weiter: Unschärferelation

Um von dieser Subjektivität wegzukommen, arbeiten Losbichler und seine Kollegen mit der sogenannten Eye-Tracking-Technik, die aufzeichnet, wie Testpersonen einen Report lesen, welche Teile davon sie wie lange betrachten. Verbindet man solche Aufzeichnungen mit Aufgaben, die die Probanden mit Hilfe der ihnen vorgestellten Reports lösen sollen, lässt sich recht gut herausfinden, welche Elemente beim Verständnis helfen und welche nicht. Auf diese Weise können Reportvorlagen optimiert werden. Besonders gut funktioniert das natürlich, wenn als Testpersonen jene Menschen herangezogen werden, die die getesteten Reports auch im realen Leben lesen. Die FH Oberösterreich bietet daher ein entsprechendes Service für Unternehmen an. Die Kosten sind überschaubar: Mit einem vierstelligen Euro-Betrag ist man dabei, bei umfangreicheren Fragestellungen wird es teurer. Die wohl am weitesten reichende Frage im Zusammenhang mit Reporting wird aber selbst die beste Aufzeichnungstechnik nicht lösen können. Und die lautet: Spiegeln Reports tatsächlich die Wirklichkeit wider oder erschaffen sie eine eigene, unter Umständen verzerrte Welt? Denn ähnlich wie in der Physik, in der seit Heisenberg die Annahme gilt, dass schon die bloße Messung die gemessenen Eigenschaften beeinflusst, meinen auch einige Wirtschaftswissenschafter, dass Kennzahlen als Entscheidungsgrundlage nicht wirklich taugen. Denn sobald eine Kennzahl in Reports erhoben wird, versuchen die Verantwortlichen, diese Kennzahl möglichst in die gewünschte Richtung zu beeinflussen. Damit wird sie aber als objektive Messeinheit unbrauchbar.Lesen Sie hier: Das sagen die Profis Eye TrackingWie sich Wissenschafter an der FH Oberösterreich in Steyr auf den Weg zum perfekten Report machen. Mit einem neuartigen Zugang untersuchen Forscher der FH Oberösterreich derzeit, was einen effizienten von einem uneffizienten Bericht unterscheidet. Dabei wird die sogenannte Eye-Tracking-Technologie eingesetzt. Eye-Tracking-Geräte ermöglichen es, den Blickverlauf von Berichtlesern aufzuzeichnen, und geben so wichtige Aufschlüsse darüber, welche Art der Berichtgestaltung die Informationsaufnahme unterstützt und welche sie behindert. Da die Antwort auf die Frage, ob ein Berichtempfänger einen Bericht als gut lesbar und effizient empfindet, auch von persönlichen Präferenzen abhängt, bietet die FH Unternehmen an, das Design von Reports mit Hilfe des Eye-Tracking-Verfahrens maßgeschneidert auf konkrete Berichtsempfänger zu optimieren. Nähere Informationen dazu gibt es beim Leiter des Studiengangs Controlling, Rechnungswesen und Finanzmanagement, Heimo Losbichler. E-Mail: heimo.losbichler@fh-steyr.at