Paketlogistik : Der Onlinehandel: "Ein dauerhaftes Logistikproblem"

Die wachsende Paketflut nicht nur zur Weihnachtszeit wird zum Problem: "In Zukunft kann nicht mehr im gleichen Umfang an die Haustür geliefert werden", warnte der Bundesverband Onlinehandel (BVOH) in Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Kunden müssten "sich stärker in den Lieferprozess einbringen" - Lösungen wie etwa mehr Abholstationen seien denkbar.

Jeder Sommer übertrifft die Werte des vergangenen Dezember

Rund 3,16 Milliarden Sendungen beförderten die Unternehmen des Bundesverbandes Paket und Expresslogistik im vergangenen Jahr - dazu gehören die großen Anbieter wie DPD, GLS, Hermes oder UPS. In diesem Jahr sei ein Anstieg auf über 3,3 Milliarden Sendungen zu erwarten, teilte der Verband am Freitag mit. Zu Spitzenzeiten wie in der Vorweihnachtszeit werden demnach "deutlich mehr" als 15 Millionen Sendungen pro Tag befördert. In der Weihnachtszeit würden 25.000 zusätzliche Zusteller beschäftigt.

"Wir hatten im Sommer bereits die Spitzenwerte von Weihnachten 2016", sagte BVOH-Präsident Oliver Prothmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Im Sommer 2018 könne die Branche dann wieder bei den Spitzenwerten von Weihnachten dieses Jahres landen. "Wir haben dauerhaft ein Logistikproblem", sagte er. "Da muss schnell eine Lösung her."

Verstopfte Innenstädte

Prothmann erwartet "wachsenden Unmut aus den Kommunen, weil ständig Fahrstreifen von Paketdiensten blockiert sind". Handel, Logistiker, Kommunen und die Immobilienbranche müssten gemeinsam über Lösungen nachdenken. "Wir erleben, wie Onlinehandel in allen möglichen Bereichen unserer Gesellschaft Auswirkungen zeigt."

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Prothmann schlug Abholpunkte für die Empfänger vor. Der Lieferdienst DPD forderte bereits einen privilegierten Zugang seiner Fahrzeuge zu öffentlichen Parkflächen. In einer Studie des Beratungsunternehmens PwC werden auch digitale Lösungsansätze angeregt, etwa die bessere Nutzung von Verkehrsdaten für die Verkehrsplanung und -steuerung durch Datenplattformen oder der Einsatz von Apps zur Information und Kommunikation zwischen den Beteiligten.

Verbraucher werden immer unzufriedener

Die Verbraucher selbst sind laut PwC-Umfrage oft unzufrieden mit der Paketzustellung: Jeder Fünfte bemängelt unpünktliche Lieferungen, fast ebenso viele Befragte gaben an, beschädigte Sendungen bekommen zu haben. Verbraucher wünschen sich demnach vor allem pünktliche Lieferungen, die aber nichts kosten sollen, und am besten umweltfreundlich und leise daherkommen - etwa per Elektroauto oder Fahrrad. Das ist den meisten laut der im Oktober veröffentlichten Umfrage sogar wichtiger als eine besonders schnelle Lieferung.

Gesamte Branche ist durcheinandergeraten

Der Boom des Online-Versandhandels hat das Paketgeschäft durcheinandergewirbelt. Branchenprimus DHL und Konkurrenten wie UPS, Hermes und DPD finden gar nicht genug Zusteller, um das enorme Marktwachstum abzudecken. "Die Sendungsmengen wachsen jährlich um 6 bis 12 Prozent", sagt Uwe Speckenwirth, NRW-Landesfachbereichsleiter Post der Gewerkschaft Verdi. "In dem Ausmaß wird mit Sicherheit nicht eingestellt." So würden Zustellbezirke größer und größer, zugleich wachse der Krankenstand - "ein Knochenjob", sagt Speckenwirth.

Hermes wagt einen spektakulären Schritt

Nach Branchenschätzungen fehlen derzeit deutschlandweit knapp 6.000 Zusteller - und im Weihnachtsgeschäft wächst das Zustell-Volumen noch mal kräftig. Der Paketdienstleister Hermes rechnet für 2017 mit dem mengenstärksten Weihnachtsgeschäft der Unternehmensgeschichte und bis zu 20 Prozent mehr Paketen als Weihnachten 2016. Das Unternehmen reagiert auf die Paketflut mit einem spektakulären Schritt: Erstmals soll es in besonders belasteten Regionen Obergrenzen für Online-Händler geben. Sind die erreicht, nimmt Hermes keine weiteren Lieferungen an und verzichtet auf das Geschäft.

Fahrer fahren zu Hungerlöhnen - fast rund um die Uhr

Der enorme Druck auf die Branche und der Personalmangel sorgten teils für "wenig durchsichtige Beschäftigungsverhältnisse" mit Sub- und Subsub-Unternehmen, sagt Verdi-Fachmann Speckenwirth. Für angebliche "Solo-Selbstständige" gelten dabei die Arbeitszeitgrenzen von maximal zehn Stunden und der Mindestlohn nicht. "Die Verantwortung über die letzte Meile wälzen einige Unternehmen ab", kritisiert Speckenwirth.

Der WDR berichtete nach einer groß angelegten verdeckten Recherche vor kurzem sogar von illegalen Praktiken mit osteuropäischen Kräften mit Bezahlung weit unter Mindestlohn im Umfeld von Subunternehmen und löste damit eine Groß-Razzia von Zoll und Polizei aus. Die Gewerkschaft Verdi fordert schon länger, die Zahlung von Sozialbeiträgen auch in Sub-Unternehmen durch eine gesetzliche Haftungsvorschrift zu sichern.

20 Stunden Arbeit pro Tag - bei 300 Euro im Monat

Den Recherchen des WDR zufolge beschäftigen große Pateklogistiker in Deutschland unzählige Fahrer aus Osteuropa, die für umgerechnet 300 Euro im Monat fahren - oft in der Nacht und oft bei Arbeitszeiten von 20 Stunden am Tag und mehr.

Dabei schlafen und kochen die Fahrer direkt in ihren Lieferwagen - und zwar monatelang. Auf den großen Parkplätzen auf dem Firmengelände der Konzerne, etwa bei der Deutschen Post, werden sie dabei großzügig geduldet.

Die Doku hieß "Leben auf der Raststätte - die Sprinterkolonnen aus Osteuropa" und ist auf der Homepage des Sendes nicht mehr abrufbar. Grund sind Konkurrenzbestimmungen für öffentlich-rechtliche Sender als Schutz für private Sender.

Jeder Konsument macht mit - nach dem Motto "Geiz ist geil"

Angesichts des Drucks von Konsumenten nach dem Motto "Geiz ist geil" und einer Bezahlung auf Dumpingniveau kämpfen so manche Zusteller um das wirtschaftliche Überleben.

Im aggressiven Innenstadtverkehr stoßen sie freilich auf wenig Verständnis. "Eine Frau musste wegen mir zweimal rangieren, um auf den Parkplatz zu kommen", berichtet ein Zusteller auf der Beschwerde-Plattform der Verbraucherzentrale: "Daraufhin wurde ich von ihr auf das Übelste beschimpft und zweimal bespuckt. Leider kein Einzelfall."

(AFP/Rolf Schraa, dpa/APA/red)

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