Brexit : Der Brexit ist da: Die 12 wichtigsten Auswirkungen auf den Standort Europa

"Bei einem Brexit verlieren alle; allen tut's weh, aber der große Verlierer wäre Großbritannien", sagte der österreichische Wirtschaftsdelegierte in London, Christian Kesberg, zur APA.

Das Vereinigte Königreich ist wirtschaftlich eng mit dem europäischen Festland verflochten. Die EU ist der mit Abstand größte Handelspartner des Landes. Rund die Hälfte des britischen Außenhandels wird mit der Union abgewickelt: 44 Prozent der Ausfuhren gehen in die EU, 53 Prozent der Einfuhren kommen von dort.

Österreich wäre betroffen - aber nicht dramatisch

Ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum würde jedenfalls die Nachfrage nach Waren aus dem Ausland dämpfen. "Das würden auch die österreichischen Exporteure und Österreichs Volkswirtschaft spüren, aber nicht dramatisch", so die Einschätzung Kesbergs. 2015 hatten nur 3,2 Prozent der heimischen Exporte Großbritannien zum Ziel; parallel dazu kamen nur 1,9 Prozent aller österreichischen Importe aus dem Vereinigten Königreich. Österreich erzielte mit dem Land vorläufigen Berechnungen der Wirtschaftskammer zufolge einen Handelsbilanzüberschuss von 1,72 Mrd. Euro. Mehr zu den möglichen Auswirkungen auf den Standort Österreich in dieser Meldung. (APA/red)

Die Entscheidung Großbritanniens für den Austritt aus der Europäischen Union wird nach Einschätzung der deutschen Regierung zunächst ohne größere Auswirkungen auf die ökonomische Entwicklung in Deutschland bleiben. Die deutsche Wirtschaft habe sich sehr robust gegenüber außenwirtschaftlichen Einflüssen gezeigt, sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums in Berlin.

"Sie ist sehr gut ins neue Jahr gestartet und ihr Wachstum ist auch sehr von einer starken Binnennachfrage getragen", fügte sie hinzu. "Deswegen schätzen wir das so ein, dass die Auswirkungen des Austritts vorerst verkraftbar sind."

Die Sprecherin von Ressortchef Sigmar Gabriel verwies darauf, dass es während der Austrittsverhandlungen keine Veränderungen gebe. "Die Märkte bleiben offen und die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes steht nicht infrage."

Großbritannien bleibe erst einmal vollwertiges Mitglied und Teil des Binnenmarktes. Dessen Grundfreiheiten gälten weiter und das EU-Recht sei "uneingeschränkt anwendbar". Die Unternehmen könnten somit weiter wie üblich Waren ins Vereinigte Königreich exportieren und deutsche Niederlassungen während der Verhandlungen wie bisher tätig sein. (reuters/apa/red)

Grundlage der Verhandlungen ist Artikel 50 des EU-Vertrages von Lissabon, der den Austritt eines Mitgliedslandes aus der Union möglich macht. Demnach hat Großbritannien zwei Jahre Zeit, um die Bedingungen der Scheidung auszuverhandeln.

Der britische Premierminister David Cameron will es seinem Nachfolger überlassen, der EU diese Mitteilung zu übergeben. Sobald Artikel 50 von der britischen Regierung in Brüssel angemeldet ist, gibt es kein Zurück mehr und die Uhr beginnt zu ticken. Sollte nach zwei Jahren kein Abkommen stehen, sind die EU-Gesetze im Vereinigten Königreich nicht mehr gültig.

Die neuen Vereinbarungen müssen nicht nur in London und Brüssel, sondern auch von der Mehrheit der übrigen 27 EU-Staaten abgesegnet werden. Experten rechnen mit extrem komplexen Gesprächen, die es zuvor noch nie gegeben hat. (reuters/apa/red)

Neben Frankreich ist Großbritannien das einzige EU-Land im Besitz von Atomwaffen und mit Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat. Die US-Regierung hat durchblicken lassen, dass sie nach einem Brexit weniger interessiert ist an den engen Beziehungen zum Königreich, weil dieses in der EU an Einfluss einbüßt.

Zugleich müssten sich die Briten nicht mehr an EU-Positionen in der Außenpolitik halten, etwa in den Beziehungen zu Russland. Die Nato-Mitgliedschaft Großbritanniens ist durch einen Brexit formal nicht berührt. (reuters/apa/red)

Großbritannien hat bereits eine Reihe von Ausnahmen in den Bereichen Justiz- und Innenpolitik für sich beansprucht. Das Land ist vor allem kein Mitglied des pass- und kontrollfreien Schengen-Raums. Unklar ist, ob es künftig die Wiedereinführung der Visapflicht für Briten in den anderen EU-Staaten und umgekehrt geben wird.

Großbritannien beteiligt sich an der EU-Polizeibehörde Europol, erkennt derzeit den EU-Haftbefehl an und tauscht mit den EU-Partnern Daten aus. All diese Bereiche müssen neu geregelt werden. Auch die gerade ausverhandelten EU-Datenschutzabkommen, die Internetfirmen wie Facebook oder Google betreffen, wären künftig nicht mehr gültig. (reuters/apa/red)

Der als Rückgrat der Wirtschaft in Österreich wie in Deutschland geltende Maschinenbau fürchtet nach der Entscheidung der britischen Bevölkerung für einen Brexit einen Orderrückgang.

"Die Entscheidung für den Austritt Großbritanniens aus der EU ist ein Alarmsignal für die Unternehmen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands VDMA, Thilo Brodtmann.

Offene Fragen für Firmen mit britischen Konzerntöchtern

Der Brexit werde den Industriestandort Europa viel Vertrauen bei Investoren kosten. "Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden."

Völlig unklar sei zudem, was auf Unternehmen mit britischen Tochtergesellschaften zukommt. "Die EU muss jetzt den Schaden eindämmen und die Phase der Unsicherheit möglichst kurz halten. Europas Unternehmen brauchen Planungssicherheit und einen verlässlichen Fahrplan für den Austritt", so Brodtmann.

UK ist sehr viel wichtiger als Russland

Für den deutschen Maschinenbau war Großbritannien 2015 der viertwichtigste Auslandsmarkt mit 7,2 Mrd. Euro Exportvolumen hinter den USA (16,8 Mrd. Euro), China (16 Mrd. Euro) und Frankreich (9,8 Mrd. Euro). (ag./apa/red)

Der Rest der EU liefert Waren im Wert von 100 Mrd. Euro ins Vereinigte Königreich. Zugleich exportiert Großbritannien Dienstleistungen für 20 Mrd. Euro auf den Kontinent, das ist mehr, als von dort die britische Inseln erreichen. Ein Großteil entfällt dabei auf Finanzdienstleistungen.

Englands Stärke: Die Finanzfirmen der City of London

Die Befürworter eines Brexit haben argumentiert, dass es im Interesse der EU sei, ein Freihandelsabkommen mit Großbritannien auszuhandeln. Allerdings liegt der Fokus solcher Abkommen oft bei Waren und weniger bei (Finanz-) Dienstleistungen. Die Schweiz etwa, deren Finanzdienstleistungen einen noch größeren Anteil an der Wirtschaftsleistung des Landes haben als die von Großbritannien, hat keinen freien Zugang zu den EU-Märkten.

Heftige Turbulenzen am Devisenmarkt

Das Brexit-Votum hat zu heftigen Turbulenzen am Devisenmarkt geführt. Der Euro gab deutlich nach, das britische Pfund rutschte auf den tiefsten Stand seit 1985 ab. Der bevorstehende Austritt Großbritanniens habe das Vertrauen in den Zusammenhalt der Europäischen Union (EU) geschwächt, hieß es aus dem Handel. Außerdem rechnen Experten mit geldpolitischen Lockerungen in Reaktion auf den Brexit. Notenbanken signalisierten am Freitag Handlungsbereitschaft. Die als sichere Häfen geltenden Währungen Yen und Franken waren unterdessen stark im Aufwind.

Euro und Pfund brechen ein

Der Euro verlor am Freitag etwa 3,5 Prozent an Wert und fiel zwischenzeitlich bis auf 1,0913 US-Dollar. Das war der tiefste Stand seit März. Da sich viele Marktteilnehmer in den vergangenen Handelstagen auf einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union eingerichtet hatten, waren die Ausschläge ungewöhnlich hoch. Zuletzt lag der Euro bei 1,1045 US-Dollar.

Unterdessen sorgt die panikartige Reaktion auf das Brexit-Votum vor allem beim Pfund für einen Ausverkauf. Die britische Währung fiel zwischenzeitlich unter 1,33 Dollar bis auf 1,3229 Dollar. Das war der tiefste Stand seit 1985. Damit war das Pfund rund elf Prozent billiger als in der Nacht, als die britische Währung zeitweise noch etwas mehr als 1,50 Dollar gekostet hatte. Zuletzt lag das Pfund bei 1,3630 Dollar. Die Bank of England erklärte am Freitagmorgen, sie werde alle notwendigen Schritte einleiten, um die Stabilität zu sichern. Man habe sich bereits mit anderen Notenbanken verständigt. (dpa/reuters/apa/red)

Wenn britische Unternehmen EU-Firmen übernehmen wollen, brauchen sie in Zukunft die Genehmigung der Wettbewerbsbehörden ihres Landes genauso wie der EU-Kommission. Das dürfte zu höheren Kosten und Unsicherheit führen, weil jede Behörde anders entscheiden könnte.

Die britische Regierung könnte zwar in Schieflage befindlichen Firmen in der Heimat stärker unter die Arme greifen, weil sie nicht mehr die EU-Regeln zur Staatsbeihilfe beachten müsste. Umgekehrt kann aus London kein Veto mehr gegen Beihilfen von EU-Staaten für ihre eigenen Unternehmen kommen. (reuters/apa/red)

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Mit dem Verlassen der EU werden Infrastrukturprojekte im Energiesektor in Großbritannien wahrscheinlich teurer. Bereits jetzt kämpft das Land mit Schwierigkeiten bei der Stromversorgung. London setzt entgegen dem Kurs vieler EU-Staaten, etwa Österreichs und Deutschlands, massiv auf Atomkraft. Die Probleme bleiben trotzdem, der teure Strompreis auch - und die massiven staatlichen Subventionen beim Ausbau von AKW wie Hinkley Point kommen erst.

Mit dem Brexit dürfte sich die Energieversorgung und die Energiepreise des Landes nicht bessern. Die schlechteren Wettbewerbsbedingungen könnten auch Energieriesen wie BP und Shell treffen.

Großbritannien ist das Land in Europa mit dem zweitgrößten Ausstoß an Treibhausgasen. Seine Energiekonzerne gehören zu den größten Käufern von Verschmutzungszertifikaten (ETS), mit denen die EU den CO2-Ausstoß verringern will. Allerdings setzt das Königreich zugleich auf Atomkraft, die nur geringfügig CO2 ausstößt. Deshalb hat sich die Regierung in London für ambitionierte Klimaziele in der EU eingesetzt. Diese Stimme dürfte nun verloren gehen. (reuters/apa/red)

Mit dem britischen EU-Austritt stehen auch Luftverkehrsabkommen infrage, mit denen die britischen Anbieter unbegrenzten Zugang zum europäischen Markt erhalten haben. Auch die transatlantischen Routen in die USA muss Großbritannien neu verhandeln und könnte dabei mit weniger vorteilhaften Bedingungen abgespeist werden.

Im Bereich der Industrie werden Investitionsentscheidungen geprüft, etwa bei Airbus. Der europäiische Flugzeugbauer stellt nach dem Brexit seine Investitionspläne in Großbritannien auf den Prüfstand.

Vorstandschef Tom Enders sagte, Großbritannien werde sich jetzt "noch mehr auf die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft gegenüber der EU und der gesamten Welt fokussieren. Aber natürlich werden wir unsere Investitionsvorhaben in Großbritannien überdenken, so wie jeder andere auch." Er hoffe, dass der wirtschaftliche Schaden durch den Brexit klein bleibe. (dpa/reuters/apa/red)

Europas größter Autobauer Volkswagen sieht in den möglichen Konsequenzen des britischen EU-Austritts größere Unsicherheiten, hält die Folgen aber für wahrscheinlich beherrschbar. "Es ist zu früh, alle Auswirkungen auf die Aktivitäten des Unternehmens zu bewerten", hieß es am Freitag aus der Konzernzentrale in Wolfsburg.

Volkswagen: Für Anpassungen "gut aufgestellt"

Man sei jedoch gut aufgestellt, um VW "an sich verändernde wirtschaftliche und politische Umstände anzupassen". Für das größte deutsche Unternehmen sei das Vereinigte Königreich der zweitwichtigste Einzelmarkt in Europa. Auch die Produktion der Tochter Bentley ist dort angesiedelt.

BMW: "Es beginnt eine Phase der Unsicherheit"

BMW hat betont zurückhaltend auf die Entscheidung der britischen Wähler reagiert, die EU zu verlassen. "Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind heute noch nicht absehbar. Klar ist, dass nun eine Phase der Unsicherheit beginnt", teilte der Autokonzern am Freitag in München mit. "Wir erwarten jedoch zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen auf unsere Aktivitäten in Großbritannien."

Großbritannien ist für BMW nach China und den USA der drittgrößte Auslandsmarkt. Der Konzern verkauft bisher mehr als zehn Prozent seiner Autos in Großbritannien - im vergangenen Jahr waren das 236.000 Fahrzeuge. Außerdem baut BMW in England jährlich mehr als 200.000 Minis und Rolls-Royce-Limousinen und beschäftigt dort 24.000 Mitarbeiter.

Nach dem Brexit-Votum erklärte BMW, die Bedingungen für den Personen- und Warenverkehr müssten nun neu verhandelt werden. "Bevor die neuen Rahmenbedingungen nicht im Detail definiert sind, können wir uns zu konkreten Auswirkungen auf unsere Aktivitäten in Großbritannien nicht äußern." Über Auswirkungen auf die Produktionsstandorte - Oxford, Hams Hall, Swindon und Goodwood - werde der Konzern nicht spekulieren. BMW hat dort rund 2,2 Mrd. Euro investiert.

Mehr zu den Einschätzungen der Autoindustrie und besonders zu BMW lesen Sie hier: Brexit: Die Autoindustrie fürchtet ein Umsatzminus in Milliardenhöhe >>

(dpa/apa/red)

Dem Chef der Voestalpine, Wolfgang Eder, fällt es schwer, die Entscheidung der Briten gegen die EU zu akzeptieren - auch wenn das natürlich sein müsse. Trotz der Scheidung könne in Verhandlungen zwar ein konstruktiver Weg einer weiteren Zusammenarbeit gefunden werden. Dominoeffekte in anderen EU-Ländern seien aber nicht auszuschließen, gibt der Manager zu bedenken. Zwar müsse man auch künftig Ländern, die raus aus der EU wollen, die Wahl lassen - aber die Union dürfe sich davon nicht erpressen lassen.

Voestalpine hat in Großbritannien Standorte in der Weiterverarbeitung

in Sollte es auch in Österreich zu einem Referendum kommen, müsse den Österreichern bewusst sein, dass eine Abkehr von der europäischen Idee Österreich zum Spielball internationaler Spekulation werden ließe - "mit unabsehbaren Folgen für Wirtschaft, Arbeitsplätze und Wohlstand", so Eder. Die FPÖ will bei einer weiteren "Reformunwilligkeit" und bei einem EU-Beitritt der Türkei hierzulande ja auch ein Referendum haben. In diesem Fall müsse gesagt werden, "dass wir ein vereintes Europa aus politischen und wirtschaftlichen Gründen wollen". Die EU müsse es aber "schaffen, auf Basis konsequent gelebter Prinzipien stringenter, klarer und transparenter zu werden". Hier Eders ungekürzter Kommentar.

Britische Finanzfirmen sind eine mächtige Aktionärsgruppe der Voestalpine

Die Voestalpine ist in Großbritannien mit 650 Mitarbeitern und 30 Lehrlingen ausschließlich in der Weiterverarbeitung tätig. Weitaus wichtiger scheint die Rolle der mächtigen britischen Finanzfirmen für den Linzer Stahlriesen zu sein. Ganze sieben Prozent der Aktien der Voestalpine werden von Investoren aus dem Vereinigten Königreich gehalten. (apa/red)