Industrie : DAX-Vergleich: Wir müssen reden...

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Heimo Losbichler ist kein Mann der dramatischen Worte. Der nüchterne Controlling-Professor, der auch in den USA und in Berlin unterrichtet, ringt eher mit Termini als

mit Chiffren: "Seit dem Krisenjahr 2008 entwickelt sich die deutsche Industrie deutlich dynamischer als die österreichische", sagt er, und lehnt sich in den Stuhl. "Wir verlieren hier gerade wirklich den Anschluss". Wenn ein Zahlenmensch wie Losbichler so etwas behauptet, dann untermauert er mit Daten und Fakten. Die liegen schon vor ihm: Eine Studie, von seinem Team an der FH Steyr erstellt, untersucht die Umsatz-, Ertrags-, und Rentabilitätskennzahlen der 23 Industrieunternehmen im deutschen Aktienindex DAX – und jenen im ATX. Das Ergebnis ist alarmierend.

Bescheidener Anstieg

Dabei scheinen die Zahlen, in die Losbichler sich vertieft, zumindest vordergründig gute Nachrichten zu enthalten: Im Vergleich zu den Industrieunternehmen im DAX haben heimische Produzenten seit 2009 die Umsätze um insgesamt 52 Prozent (DAX: 38 Prozent) steigern können. "Doch in diesen Zahlen ist eine starke Verzerrung enthalten", sagt Losbichler. Die OMV, der einzige wirkliche Industriegigant der Alpenrepublik, dessen Umsatz alleine jenem von Voestalpine, Borealis, Mondi, Andritz und Red Bull zusammen entspricht, ist extrem ölpreisabhängig. Und der Anstieg des Ölpreises von 35 Dollar pro Fass im Jahr 2009 auf 120 Dollar im Jahr 2014 verzerrt die Umsätze des gesamten Industrie-Vergleichs extrem. "Rechnet man die OMV heraus, steht das Umsatzplus der deutschen Industrie von 38 Prozent seit der Wirtschaftskrise einem eher bescheidenen Anstieg von 24 Prozent in Österreich gegenüber", sagt Losbichler.

Noch schlechter bestellt ist es um die Ertragskraft der österreichischen Industrie. Losbichler nähert sich diesem Parameter mit einem Vergleich der EBIT-Margen. Traditionell lag Österreich dabei vor den deutschen Unternehmen – bis ins Jahr 2011. Seither ist ein eindeutiger Abwärtstrend erkennbar. Für 2014 liegt die errechnete Ertragskraft der deutschen Industrie (EBIT-Marge) bei 8,0 Prozent, die österreichische Industrie kommt auf einen Wert von 4,3 Prozent – Tendenz weiter fallend.

Noch schlechtere Nachrichten hat Losbichler, was die Produktivität der heimischen Industrie anbelangt: Konnten deutsche Unternehmen (DAX-Indus-triebetriebe) seit 2008 im Schnitt den Umsatz je Mitarbeiter um 20 Prozent steigern, verzeichnen ATX-Unternehmen nur 5 Prozent Wachstum. "Auch hier muss eigentlich die OMV ausgeklammert werden", sagt Losbichler. Der massive Mitarbeiterabbau bei der rumänischen Tochter Petrom wirkt hier "stabilisierend", wie Losbichler meint. Rechnet man die Werte der OMV aus der Summe der heimischen Industrieunternehmen heraus, ist der Umsatz pro Mitarbeiter der ATX-Unternehmen seit Beginn der Wirtschaftskrise 2008 sogar zurückgegangen: um sagenhafte 15 Prozent.

Kippt da was?

Die österreichische Industrie hat ein Problem – und es gibt Gesprächsbedarf. Das findet auch Christian Keuschnigg, bis 2014 Leiter des Institut für Höhere Studien (IHS), heute Professor an der Universität St. Gallen und Gründer des Wirtschaftspolitischen Zentrums Wien: "Die Zahlen sind ein Warnsignal, das man ernst nehmen sollte", sagt der Ökonom, den wir mit der Studie konfrontierten. Dass sich die österreichische Indusrie vom Zugpferd Deutschland abkoppelt, sieht auch Wifo-Chef Karl Aiginger – bemüht sich jedoch um ein größeres Bild: "Wenn wir uns die Entwicklung etwas langfristiger ansehen, dann ist das österreichische BIP seit dem Jahr 2000 um 21 Prozent gewachsen, das deutsche hingegen nur um 16 Prozent."

Deutschland, meint Helmut Hofer, wirtschaftspolitischer Sprecher des IHS, war um die Jahrtausendwende ein Land mit gravierenden wirtschaftlichen Problemen, die damals eingeleiteten Reformen hätten erst Ende der Nullerjahre zu greifen begonnen. "Während sich die ökonomischen Verhältnisse in Deutschland seit Jahren verbessern, stagnieren sie in Österreich auf hohem Niveau. In einer solchen Phase ist die Stimmung natürlich nie so gut."

Doch bei all der akademischen Vorsicht beschleicht auch so manchen Ökonomen die Ahnung, dass sich die Alpenrepublik – und mit ihr die Industrie – in Schieflage befindet. "Das ist nicht etwas, das von heute auf morgen gekommen ist. Wir haben Jahre einer falschen Entwicklung hinter uns und jetzt müssen wir beobachten, dass da was kippt", sagt Christian Keuschnigg.

Es mangelt an Mut

Für Bernhard Felderer, den ehemaligen IHS-Chef und heute Präsident des österreichischen Fiskalrates liegt ein wichtiger Grund für den zunehmenden Produktivitätsverlust Österreichs in der fortschreitenden Bürokratisierung des Landes. "Gemessen an der Bevölkerungszahl haben Österreich und Deutschland eine ungefähr gleich große Quote an Beamten. Deutschland ist allerdings inzwischen deutlich pragmatischer, während bei uns die Behinderungen der Wirtschaft durch die Bürokratie eher noch zunehmen", sagt Felderer. Im aktuellen Ease-of-Doing- Business-Index der Weltbank, der die Hürden und Erschwernisse für Unternehmen widerspiegelt und Länder nach ihrer Unternehmerfreundlichkeit reiht, liegt Deutschland auf Platz 15, Österreich aufPlatz 21, Tendenz weiter fallend.

Ein ebenfalls seit Langem bestehendes, in schlechten Zeiten aber besonders drückendes Problem sehen Experten in der mangelnden Bereitschaft, das Pensionssystem nachhaltig zu reformieren und die Verwaltungsreform ernsthaft anzugehen: "Da gibt es eine beträchtliche Trägheit des öffentlichen Sektors und eine Reformmüdigkeit", sagt Karl Aiginger. Und sein Kollege Hofer ergänzt: "Es wäre ganz wichtig, den öffentlichen Sektor zu modernisieren, damit in den Budgets mehr Geld für investive Ausgaben frei wird."

Dass Investitionsstau eine der Ursachen für Österreichs zunehmenden Rückstand gegenüber Deutschland ist, gilt unter den Ökonomen als ausgemacht. "Viele Unternehmen haben auf die Krise völlig rational mit Zurückhaltung bei Investitionen reagiert. Jetzt, wo die Bedingungen gut wären, mit niedrigen Zinsen, exportfreundlichem Euro und niedrigen Rohstoffpreisen, wird aufgrund der schlechten Allgemeinstimmung trotzdem nicht investiert", sagt Felderer.

Diese Stimmung wird auch durch die hohe Steuerlast genährt, so Felderer. "Ich denke nicht, dass Unternehmen zu wenig in neue Technologien oder Industrie 4.0 investieren. Die machen hier so viel, wie viel sie für sinnvoll erachten. Was die Unternehmen wirklich behindert, ist die extrem hohe Abgabenquote", sagt der Ökonom. Felderer weiter: "Wir wollen alle zu viel Sicherheit vom Staat, das kostet aber. Und: Zu viel Sicherheit verträgt sich nicht mit den Freiheiten, die ein funktionsfähiger Markt benötigt." Vorschläge, wo man mit der Reduzierung der Staatsquote beginnen könnte, nennen die Ökonomen auch: "Nehmen Sie den Wohnbauförderungsbeitrag, der ist heute doch völlig unzeitgemäß. Oder der Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds. Der ist doch nur deshalb so hoch, weil aus dem Fonds viel zu viele Leistungen bestritten werden, die mit seinem eigentlichen Zweck nichts zu tun haben."

Schließlich ist auch die fehlende Wachstumsfantasie in Österreich eine Investitionsbremse: Der österreichischen Industrie, die in noch höherem Maß exportgetrieben ist als die deutsche, ist zuletzt das Narrativ abhandengekommen: Der Bonus als Drehscheibe in den Osten ist fast aufgebraucht – während der Automatismus, wonach österreichische Unternehmen den globalen Deutschen Konzernen zuliefern, und so direkt vom Boom Deutschlands profitieren, zunehmend schwindet.

Befreiungsschlag

Nichts weniger als einen "Befreiungsschlag" wünscht sich der St. Gallener Wirtschaftsprofessor Christian Keuschnigg angesichts dieser Gemengelage: "Die Sozialpartner sollten sich bei den Lohnabschlüssen soweit zurückhalten, dass das Land wettbewerbsfähig und die Beschäftigung sicher bleibt", fordert der Ökonom. Durch eine Korrektur der öffentlichen Finanzen müsse zudem Spielraum für die Förderung von Innovation geschaffen werden. "Und wir müssen uns noch mehr als bisher um Unis und den Wissenstransfer von dort in die Wirtschaft bemühen", sagt Keuschnigg.

Ähnliches fordert auch die Industrie. Der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, geht allerdings noch einen Schritt weiter: Er will einen Minimal-Wachstumsplan. Das Land und die Industrie brauche Anpassungsstrategien an die geänderte Ausgangslage. "Bislang gibt es kein fundiertes Konzept, das auch bei Minimalwachstum die relative Wettbewerbsfähigkeit erhält" sagt Kapsch. Bislang konnte die Alpenrepublik ihre Wettbewerbsfähigkeit dadurch erhalten, dass Kostensteigerungen durch Technologievorsprung und somit mehr Effizienz aufgefangen wurden. Inzwischen gerät dieses Modell aber zunehmend unter Druck. "Da muss wirklich schnell etwas geschehen. Denn wir haben als Hochlohnland keine Alternative. Wenn andere billiger sind, können wir nur mir Qualität dagegenhalten", sagt der IHS-Experte Helmut Hofer.

Ein Team der FH Steyr rund um die Professoren Heimo Losbichler und Albert Mayr untersuchten für INDUSTRIEMAGAZIN die Entwicklung von Umsatz, Ertrag und Rentabilität der Industrieunternehmen im deutschen Aktienindex DAX sowie dem ATX. Aus Deutschland gingen Werte von 23 Unternehmen in die Studie ein – hier konzentrierten sich die Forscher auf die DAX 30 Unternehmen exklusive Versicherungen, Banken und Immobiliengesellschaften. Aus Österreich wurden Unternehmen des ATX 20 exklusive Versicherungen, Banken und Immobiliengesellschaften sowie weitere 23 nicht ATX- gelistete, börsennotierte Flaggschiffe der heimischen Industrie untersucht. Die Ergebnisse: Die Ertragskraft produzierender Unternehmen sinkt seit Jahren kontinuierlich – von 10 Prozent vor der Wirtschaftskrise auf niedrige einstellige Werte. Die Ertragskraft heimischer Unternehmen schwindet, gleichzeitig sinkt die Produktivität.