ERP-Systeme : Daten für alle
Automobilherstellers Hymer ist nahezu endlos. Unter den Brands Bürstner, Carado, Dethleffs, Eriba, Hymer, Niesmann + Bischoff, Laika, LMC und Sunlight fertigt das Unternehmen Wohnmobile für nahezu jeden Verwendungszweck. Angefangen beim Kleinmodell bis zum Familientrailer, der sowohl im Preis als auch im Ausmaß eher schon an eine Yacht erinnert. Und jedes einzelne Modell hat seinerseits wieder unzählige Varianten: rote Sitzbezüge, blaue Sitzbeläge, Holzfurnier, Laminat. Die Koordination der extrem diversifizierten Fertigung ist bei Hymer nicht einfach: Das Unternehmen produziert an sechs Standorten, die quer durch Europa verteilt sind.
Szenenwechsel. Was in der Wiener Zentrale des Immobilienkonzerns conwert gemanagt wird, ist so vielfältig wie das Portfolio des Unternehmens selbst: Material für die Verwaltung von Immobilien muss geordert werden, neue Wohnbauprojekte wollen abgewickelt werden und es gilt – last, but not least –, laufendes Reporting zu erledigen. Denn conwert ist börsennotiert und somit strengen Reporting-Regeln unterworfen. Und noch ein Szenenwechsel: Wenn bei Lidl in einer Filiale ein Artikel gar nicht oder besonders gut geht, muss das Unternehmen sofort reagieren. Am besten noch im Laufe des Tages, damit das begehrte Produkt nachgeliefert werden kann. Oder damit nicht noch mehr Exemplare eines Ladenhüters angekarrt werden.
ERP neu gedacht
Drei Businessfälle, drei völlig unterschiedliche Ansprüche: Industrie, Dienstleistung, Einzelhandel. Und doch haben sie alle eines gemeinsam. Sie zeigen: Eine neue ERP-Lösung muss dringend her; eine, die nicht mehr isoliert dasteht und zeitverzögert reagiert, sondern in ein größeres Umfeld eingebettet und höchst agil ist. Ein ERP-System, das mit der Produktionswelt davor und dem Verkauf dahinter interagiert und die Wertschöpfungsprozesse ohne Lücken abbildet. Insellösungen, selbst gebastelte Schnittstellen, Excel-Zahlenkolonnen, die von Hand nachgeführt werden müssen, das hatte früher einmal durchaus seine Berechtigung, in der Steinzeit. Na gut, um die letzte Jahrtausendwende. Doch inzwischen ist alles anders.
Noch vor zehn Jahren, sagt der Geschäftsführer von SAP Österreich, Klaus Sickinger, war das große Thema rund um ERP die Fragmentierung und spätere Konsolidierung der Daten: "Man musste die Daten allein schon deshalb fragmentieren, weil die damaligen Systeme sonst nicht lauffähig gewesen wären." Später wurde das Getrennte wieder zusammengefasst und mit einer Verzögerung von einigen Tagen standen die Daten dem werten Nutzer auch schon wieder zur Verfügung. Heute sieht die IT-Welt besser aus und sie ist schneller.
Übertragungsraten, die einst maximal der NSA oder dem Pentagon zur Verfügung standen, sind inzwischen Standard. Mit browserbasierten Anwendungen ist der Zugriff auf ERP-Daten in Echtzeit möglich. Es ist allerdings kein Zufall, dass ein Tool, das einen solchen Zugriff möglich macht, nämlich die Plattform S/4 HANA, von SAP kommt. 6.500 Unternehmen nutzen heute bereits dieses SAP-System, rund 75 Prozent aller Transaktionen weltweit werden über SAP-Anwendungen abgewickelt. Für die SAP war daher der Wunsch, die HANA-Plattform so weiterzuentwickeln, dass sie noch mehr Flexibilität durch Echtzeit erlaubt, besonders groß. Mit der neuen Version S/4 hat man nun nicht nur das Echtzeit-Versprechen eingelöst, wie Sickinger stolz betont, sondern auch die oft gestellte Forderung nach einer Modernisierung des ERP-Kerns, indem er noch näher an die Produktion und den Kunden rückt.
Individualisierung
Das große Schlagwort dabei ist Individualisierung. Allerdings nicht eine, die wie in den 90er-Jahren als hemmungslos an Zusätzen zu bestehenden ERP-Systemen programmiert wurde, bis sich außer dem Programmierer keiner mehr auskannte. Die Individualisierung der neuen Ära ist schlauer und baut auf einer Kernplattform auf, über die sich eine zweite, individualisierte Schicht legen lässt. Damit können auch sehr spezifische Zusatzmodule in das Kernsystem integriert werden.
Für SAP HANA gibt es derzeit zum Beispiel rund siebzig davon, ähnlich bunt und unterschiedlich wie die Nutzer der Plattform es selbst sind. Im E-Commerce-Bereich etwa geht es vielen Nutzern darum, bei Bestellprozessen Betrug rechtzeitig zu erkennen. Ein wichtiges Indiz dafür kann sein, dass ein Besteller zur gleichen Zeit von zwei Rechnern auf das Bestellsystem zugreift. Entsprechende Zusatzanwendungen erkennen das und schlagen in Echtzeit Alarm. Und sie reagieren auch bei anderen Auffälligkeiten, die von gewohnten Mustern abweichen.
Anderswo kann es wiederum nötig sein, im ERP ein Reporting- und Analysewerkzeug zu haben, das von mobilen Geräten aus zugänglich ist und mit dessen Hilfe der Außendienst stets eine aktuelle Übersicht über offene Rechnungen der Kunden hat. Im Einzelhandel wiederum freut sich der Nutzer, wenn er die Kaufhistorie eines jeden Kunden auf Knopfdruck parat hat, um ihm individuelle Angebote unterbreiten zu können, die das System vorher durchkalkuliert hat.
"Diese neuen Möglichkeiten, die ein wirklich integriertes und echtzeitfähiges ERP bietet, sind aus meiner Sicht viel spannender, als darüber zu diskutieren, ob sich der weltweite Datenbestand innerhalb der nächsten zwölf Monate verdoppeln oder verdreifachen wird. Uns geht es nämlich ganz konkret darum, wie Unternehmen Vorteile aus den stetig wachsenden Datenmengen ziehen können", sagt SAP-Chef Sickinger.
Realtime
Realtime ist dabei der wohl entscheidende Punkt. Allein schon der Druck, so zeitnah wie möglich zu liefern, wird den meisten Unternehmen über kurz oder lang keine andere Wahl lassen, als ihr ERP in Echtzeit laufen zu lassen. Vielfach bedeutet das allerdings auch, dass ein Umstieg oder eine Modernisierung des Systems nicht mehr damit bewältigbar ist, dass man noch einen weiteren Server in den Keller stellt. Für immer mehr Unternehmen dürfte sich daher in Zukunft die Frage stellen, ob es nicht besser ist, diesen Bereich zur Gänze auszulagern und sich selbst auf das eigene Kerngeschäft zu konzentrieren. Lösungen dafür, Stichwort "Cloud", gibt es inzwischen genug.
Dass österreichische Unternehmen der Cloud gegenüber freilich nicht immer übermäßig offen sind, steht auf einem anderen Blatt. Klaus Sickinger ist allerdings auch diesbezüglich ziemlich optimistisch: "In den letzten eineinhalb Jahren habe ich einen ziemlichen Meinungswandel erlebt. Früher ist bei Cloud-Diskussionen zunächst einmal über die Gefahren gesprochen worden. Heute erkennen immer mehr Verantwortliche die unglaublichen Chancen und Möglichkeiten, die mit ihr verbunden sind."