Automobilindustrie : Das ist die automobile Zeitenwende

Joshua Brown wird in die Geschichtsbücher eingehen. Auch wenn er sich selbst das wohl anders vorgestellt hätte. Der Unternehmer war ein echter Tesla-Freak. Was ihn besonders faszinierte: Wie der Autopilot seines Wagens beitrug, Unfälle zu vermeiden. Eines der dramatischen Dashcam-Videos, das er auf Youtube postet, wird sogar von Tesla-CEO Elon Musk retweetet – und erntet über eine Million Views. Im Juni vergangenen Jahres raste Brown mit seinem Autopilot direkt unter den Aufleger eines Lkw – er war das erste Opfer autonomen Fahrens.

Technologievertrauen

Am Schicksal des Amerikaners entzündete sich auch bei uns die Diskussion, wie weit Menschen ihr Leben den Produkten der Digitalisierung anvertrauen können. Autonome Fahrservices, Elektromobilität, Connectivity, Sharing Mobility, digitale Produktion: Die gegenwärtigen Umbrüche in der internationalen Mobilitätsindustrie sind enorm. Disruption ist eine der Vokabeln, mit denen Unternehmensberater den aktuellen Zustand der Autoindustrie beschreiben. Disruptive Innovation beschreibt keine Veränderung. Sie schiebt bestehende Produkte oder Methoden einfach und ersatzlos auf die Müllhalde der Geschichte. Als disruptive Technologie beseitigte das Smartphone das Tastenhandy, die CD die Schallplatte, die digitale Fotografie die analoge Filmkassette. Und folgt man den Trendforschern, dann ist der Elektroantrieb das disruptive Kryptonit des Diesel- und Benzinantriebs. „Die nächsten 10 Jahre bringen für die Automobilindustrie mehr Veränderungen als die 30 Jahre zuvor“, meint Gerhard Wölfel. 400.000 Benzin- und 870.000 Dieselmotoren haben 2016 das Werk in Steyr Richtung München verlassen. In Zeiten der zunehmenden Elektrifizierung steht das Motorenwerk von Steyr – wie alle anderen Motoren- und Getriebewerke – vor einem negativen Trend. Vereinfachend formuliert: Ein Elektroauto braucht wenig bis nichts, was (derzeit) in Steyr produziert wird.

Ständige Revolution

Für Motoren-Chef Gerhard Wölfel ist das Szenario aber nicht drängend: „Die Zukunft des Antriebs wird sicher bunter. Aber wir werden noch lange hocheffiziente Verbrennungsmotoren brauchen und auch weiterhin an deren Entwicklung arbeiten.“ Wölfel ist überzeugt: „Ohne moderne Dieselmotoren sind künftige Klimaziele nur schwer einzuhalten.“ Die Prognosen bei BMW sind defensiv: Die Münchner gehen davon aus, dass sie in der Gesamtgruppe im Jahr 2025 über drei Millionen Fahrzeuge weltweit verkaufen werden. Davon werden ca. 20 Prozent elektrifiziert sein (inklusive Hybride). 80 Prozent werden einen Verbrennungsmotor haben. Das ist ungefähr dasselbe Verhältnis wie heute.

Die BMW-Manager teilen sich ihre Einschätzung mit so ziemlich jedem ernstzunehmenden Entscheidungsträger in der Autowirtschaft. Bei Magna gehen die Prognosen davon aus, dass bis 2029 immer noch 60 Prozent aller Antriebe als Verbrennungsmotoren konzipiert sein werden. Bis zu 40 Prozent aller Antriebe werden zu dem Zeitpunkt von Elektromotoren unterstützt. Magna-Europa-Chef Günther Apfalter: „Plug-in-Hybride dienen als Überbrückung bis zum Elektrofahrzeug. Mildhybride werden zur Grundausstattung der 48-Volt-Bordnetzstrukturen im Premiumsegment.“ 48 Volt beschreiben die Lithium-Ionen- Akku-Technologie. Hauptträger der Mobilität bleibt nach Ansicht der Magna-Manager zumindest bis 2030 der Verbrennungsmotor.

Ein große Rolle für die Durchsetzung von E-Mobility wird die Gesetzgebung spielen. Der Stuttgarter Branchenanalyst Philip Fischer verlangt hier den großen Blick: „China ist für diese Frage der ausschlaggebende Markt. Ein Strategiewechsel in Peking kann die Entwicklung des Elektroautos beflügeln oder stoppen.“ Bereits heute ist China der weltweit größte Markt für Elektromobilität. Was automotiv im Reich der Mitte angesagt ist, beeinflusst die Marktentwicklungen am gesamten Globus.

Branche des Wandels

Dem tragischen Unfalltod von Joshua Brown zum Trotz: Selbstfahrende Autos werden mittelfristig Alltag auf den Straßen werden. Sie repräsentieren aber keine disruptive Technologie – oder in anderen Worten des digitalen Zeitalters: Sie sind keine Killerapplikation. Robotaxis werden zwar den Beruf des Taxifahrers marginalisieren und die urbane Mobilität umbauen. Die Technologie selbst wird die automotiven Produzenten aber nicht durch Apple und Google ersetzen, sondern den Acker für fruchtbare Kooperationen bereiten. Apple hat sein „Titan“-Projekt zur selbstständigen Entwicklung eines iCars bereits zurückgestellt und ventiliert mit Magna, wie die gemeinsame Zukunft beim Bau eines intelligenten Autos aussehen könnte. Magna könnte für Apple das Foxconn des iCars werden. Gespräche mit Daimler wurden übrigens letztes Jahr eingestellt. Glaubt man der New York Times, dann waren die Deutschen den Apple-Leuten einfach zu steif. So Dinge wie Datenschutz und ähnliche deutsche Bedenkenthemen waren den Amerikanern einfach zu mühsam.

Innovation bleibt Erfolgstreiber

Der Trend zur Elektromobilität hinterlässt im Gefüge der traditionellen Autobauer schon tiefere Spuren. Aber auch hier zeigen die Entwicklungen, dass bekannte Branchennamen den Ton angeben – mit Gewinnern, Verlierern und einem Neueinsteiger Tesla. Aber unterm Strich forscht und feilt die Branche an ihrem fünften Frühling. Im Südtiroler Bruneck produziert der britische Zulieferkonzern GKN (global 56.000 Mitarbeiter) seit 53 Jahren. GKN Driveline fertigt dort Antriebsstränge, Sperrdifferenziale und elektrische Antriebssysteme. Andreas Mair, technischer Leiter Produktentwicklung von GKN Driveline: „Wir loten aus, was bei den elektrifizierten Traktionssystemen alles möglich ist.“ Eine elektrische Vorderachse von GKN treibt unter anderem den Hybrid-Porsche 918 Spyder eAxle, der mit einer Systemleistung von 887 PS aus der Plug-in-Hybridtechnologie das technische Maximum für ein Serienauto rausholt. Die elektrischen Antriebe der Vorderachse des in limitierter Auflage gebauten Hybrid-Spyder (Preis: 768.000 Euro) wurden in Bruneck gefertigt sowie komplett montiert. Mair weiß, dass „in der Gesamtproduktion die elektrifizierten Achsen bei den Stückzahlen noch länger in der Minderheit sein werden.“ Aber er will über die passenden Technologien verfügen, „wenn die Elektromobilität den Durchbruch schafft.“ Es ist immer noch die Innovation, die im automotiven Geschäft über die Erfolge entscheidet.

Antriebsmotor Digitalisierung

Unbestrittener Haupttreiber beim Umbau der automotiven Wunderwelt ist die Digitalisierung. Durch die beschleunigte Datenmobilisierung und -vernetzung werden Services möglich, die vor zehn Jahren nicht denkbar waren. Autonomes Fahren ist dafür ein Beispiel. Ein anderes ist Connectivity, die Vernetzung der Fahrzeuge untereinander. Für Goran Maric erlauben diese Entwicklungen völlig neue Formen der Dienstleistung. Er ist Direktor des Fuhrparkmanagement-Anbieters Arval: „Der Austausch von Daten bringt uns auf die Spur von jedem Kostenfaktor eines Fahrzeuges. Wir wissen heute über unsere Autos alles.“ Wenn vom Kunden gewünscht, liefert ein Telematik-Kit in den verwalteten Autos und Nutzfahrzeugen ständig aktuelle Informationen über Verschleiß, Kilometerleistung, Verbrauch und notwendige Wartungen. Selbstfahrende Fuhrparkflotten-Besitzer können auch ihre Fahrtstrecken und Lieferzeiten aufzeichnen – aktuell und per App abruf- bar (bei Mitarbeitern gibt es dagegen arbeitsrechtliche Hindernisse).

Datenfluss in der Produktion

Vernetzung verändert den Produktionsablauf der Autoindustrie. Und dies zum x-ten Mal. Schon die Tin-Lizzy von Ford wurde anders gefertigt als der erste Käfer aus Wolfsburg. Automatisierung ist dabei nicht neu. Zum Beispiel arbeiten bei BMW heute schon weltweit über 250.000 Steuerungsgeräte, die von 20.000 Robotern unterstützt werden. Neu ist, dass die Vernetzung keine Grenzen kennt – weder im Konzern noch in der Branche. Sie ist dabei, sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette hochzuarbeiten – von der Tiefzieh-Niete bis zum Powertrain-Modul. Jan Dannenberg, Partner beim Münchner Consulter Berylls und einer der renommiertesten Kenner der deutschen Autoindustrie, ortet die aktuell sichtbarsten Fortschritte in der „digitalen Fahrzeugentwicklung. Simulationen, 3D-Druck von Prototypen, Software- anstelle von Hardwarelösungen“ beschreiben schon heute den Alltag in den Denkschmieden der Autokonzerne – ebenso wie gemeinschaftliches Arbeiten über Kontinente hinweg. In der Produktion sieht Dannenberg das unmittelbarste Potenzial der Digitalisierung in der Schnittstelle zwischen Kunde, Vertrieb und dem Automobilwerk. Die Vision ist das kurzfristig individualisierbare Auto, das ohne großen Aufpreis nach minimaler Lieferzeit vor die Tür gestellt wird. Dannenberg: „Hier liegen noch deutliche Effizienzsteigerungsmöglichkeiten, aber auch Mehrwert für den OEM und den Kunden.“ Der Prozess steht am Anfang.