Innovation : Das bringt die digitale Zukunft der Logistik

(Dieser Artikel wurde bereits im April 2017 veröffentlicht. Nun haben wir ihn für alle Leser freigegeben.)

Die Lösung war letztlich einfacher als gedacht. Sie bestand aus einer simplen Verkehrstafel. Der Lösungsweg war allerdings ein Paradebeispiel für State-of-the-Art-Logistik: Monatelang waren auf der gleichen Route sensible Bauteile in Containern beschädigt worden. Grund: völlig unbekannt. Erst, nachdem man die Container mit Sensoren ausgestattet hatte, lichtete sich das Rätsel. Die Lkw-Strecke unmittelbar vor dem Entladehafen ist eine lange Gerade, die zum Rasen verführt. Die Sensoren registrierten beim Abbremsen hohe G-Kräfte, die ausreichten, die empfindlichen Teile zu zerstören. Eine radikale Geschwindigkeitsbeschränkung beseitigte das Problem.

Materialkosten von nicht einmal zehn Euro, und dennoch verweist die Episode, die Marco Prüglmeier, Projektleiter in der BMW-Inbound-Logistik, erzählt, in die unmittelbare Zukunft der Logistik. In den kommenden Jahren wird sich die Branche, die ohnehin veränderlich ist wie wenige andere, so massiv entwickeln wie nie zuvor. Und wird dabei die Grenzen zu anderen Branchen immer mehr auflösen.

Internet of Things: Auf der Suche nach den Protokollen

Das Internet of Things verändert bereits heute die Logistik. Noch stehen die Kosten im Weg, doch in den kommenden Jahren ist mit Durchbrüchen zu rechnen.

Die Pressemeldung rief kein besonderes Echo hervor, doch für Logistiker hatte sie hohe Relevanz: Vor wenigen Wochen kündigte die Deutsche Telekom an, ihr Narrowband-IoT-Netz kommerziell und großflächig auszubauen. In Deutschland und in mehreren Ländern Europas, darunter Österreich. Das Schmalband-Funknetz deckt große Flächen ab und ist gleichzeitig in der Lage, tief in Betongebäude einzudringen. Die Deutsche Telekom argumentiert in erster Linie mit Anwendungen wie den Smart Meters oder Parkleitsystemen – doch NB-IoT könnte der gesamten Transportlogistik einen massiven Schub verleihen. Die Möglichkeit, Daten aus der Sensorik über das ganz normale Handynetz zu übertragen (was das Netz derzeit komplett überlasten würde), öffnet buchstäblich Türen.

Denn das, was BMW mit dem Problem-Container angestellt hat, ist erst der Beginn. Der nächste Schritt, der flächendeckende Einsatz von kommunikationsfähigen Sensoren, scheitert derzeit noch an den Kosten. Die Sensorik kostet pro Stück zwischen fünf und zehn Euro, was den Einsatz nur im Zusammenhang mit kritischen Lieferungen erlaubt. Doch wenn die Kosten – wie zu erwarten ist – sinken, öffnet die Technologie unglaubliche Möglichkeiten. Jürgen Maidl, Cheflogistiker im BMW-Produktionsnetzwerk, spricht mit breiter Brust davon, dass es in den kommenden Jahren möglich sein sollte, für jeden Bauteil weltweit feststellen zu können, wo und in welchem Zustand er sich gerade befindet. Er spricht von rund 30 Millionen Stück, die täglich unterwegs sind.

In die gleiche Richtung geht die größte Container-Reederei der Welt, die Maersk Line. Die Dänen sind derzeit dabei, ihr „Remote Container Management“ auf letztlich 290.000 Kühlcontainer an Land und zu Wasser auszuweiten. Ausgestattet mit SIM-Card, GPS-Einheit und Antenne werden Ort und Zustand der Container permanent überwacht und in Echtzeit verarbeitet.

Doch dahinter wartet bereits der nächste, der entscheidende Schritt: Wenn Daten über Lokalisation und exakten Zustand des Materials in der Supply Chain in Echtzeit einlangen, ist es auch möglich, daraus sofort automatisch Handlungsoptionen und die Einleitung entsprechender Maßnahmen zu errechnen. Das Schiff verliert Zeit im Sturm? Der Lkw hat eine Panne oder steht im Stau? Ein Container ist Stößen ausgesetzt, die den Inhalt beschädigen? Denkt man das Internet of Things zu Ende, ist es dann etwa möglich, sofort eine Ersatzlieferung auf den Weg zu bringen und damit Zeit und Kosten zu sparen – und, wenn so eine Notbelieferung per Flugzeug entfällt, sogar Emissionen.

Die Technologien, die man für IoT benötigt, sind im Grunde bereits alle auf dem Markt. Abgesehen von den Kosten, steht dem flächendeckenden Einsatz derzeit noch das Thema der Protokolle im Wege. Oliver Schauer, Professor am Logistikum in Steyr, weist darauf hin, dass es hier nicht um eine Vereinheitlichung der Systeme, sondern um ein „System of Systems“ geht, also um standardisierte Protokolle, über welche die einzelnen Systeme miteinander in Echtzeit kommunizieren.

An der Frage, wer diese Standards und Protokolle eigentlich vorgeben soll, scheiden sich derzeit noch die Geister. Der deutschen Automotive-Verband VDA arbeitet derzeit sehr intensiv daran, doch Oliver Schauer sieht das mit leichter Skepsis: „Wenn etwa der VDA solche Standards etabliert, dann werden die wohl auf die OEM und Zulieferer zugeschnitten sein. Was wir aber brauchen, das sind offene, branchenunabhängige Open-Source-Protokolle, die Echtzeit-Kommunikationsfähigkeit bieten. Eine solche Disruption wäre derartig vorteilhaft, dass zahlreiche relevante Branchen auf den Zug aufspringen würden. Und dann bewegen wir wirklich etwas in der Logistik!“

Es könnte auch eine Frage der kritischen Masse werden. Angesichts vieler Milliarden an IoT-fähigen Devices, die es auf der Welt bereits gibt, besteht auch die Möglichkeit, dass sich gemeinsame Protokolle ähnlich schnell herausbilden, wie das im Internet der Fall war. Und zwar, bevor Branchenverbände so weit sind. Die dazu notwendige Bereitschaft, branchenübergreifend horizontal zu kooperieren, scheint jedenfalls zu steigen. Dass sich etwa ein Handelsriese wie die Hofer KG an gemeinsamer Forschung an Physical Internet bereiterklärt – und dafür auch begrenzte Einblicke in seine Interna erlaubt –, war noch vor wenigen Jahren undenkbar.

Hinzu kommt der Generationswechsel: Digital Natives rücken in Entscheider-Positionen auf, und das macht sich immer häufiger darin bemerkbar, dass völlig neue Player in der Logistik auftauchen. „Das Internet of Things wird auch dazu führen, dass sich die Grenzen zwischen den Berufsfeldern weiter auflösen“, meint Oliver Schauer. „Produktion und Logistik etwa hängen ja eng zusammen und werden durch IoT noch weiter zusammenwachsen. In einem hochkooperativen System der Systeme, in dem hochgradiger Datenaustausch geschieht und auf Basis gegenseitigen Vertrauens Informationen geteilt werden, sind auch Logistik und Produktion nicht mehr scharf zu trennen. Offene Standards und Protokolle werden als Katalysator dieser Entwicklung dienen.“

Autonome Fahrzeuge: Die Kleinen sind deutlich schneller

Bis autonome Lkw über die Straßen fahren, wird es noch Jahre dauern. In der Intralogistik geschieht allerdings bereits heute Erstaunliches.

Die Fahrt ging zwar nur über wenige Kilometer, doch Daimler sicherte sich damit größte Aufmerksamkeit. Am 2. Oktober 2015 fuhr – dank Ausnahmeregelung – zum ersten Mal ein autonomer Truck über Europas Straßen. Am Steuer: Daimler-Vorstand Wolfgang Bernhard, Beifahrer: der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Der zum „Future Truck“ umgebaute Actros könnte tatsächlich in die mittelfristige Zukunft weisen. Hinter dem medial im Fokus stehenden Entwicklungen bei den autonomen Pkw wartet auch im Güterverkehr enormes Potenzial. Potenzial, das auch zu einer Neudefinition so mancher Berufsbilder führen könnte.

Wesentlich weiter ist die Entwicklung in der Intralogistik. In zahlreichen Hallen kooperieren bereits Menschen mit autonomen Fahrzeugen, ohne dass es zu nennenswerten Problemen oder gar Unfällen käme.

Und permanent ergänzen neue Ideen das Bild: Emili zum Beispiel, eine weitere spektakuläre Entwicklung von Fraunhofer, ist ein fahrerloses Transportfahrzeug, das sich von den Mitarbeitern über Gesten steuern lässt. Dank Wearables kann man den Kleinen so etwa heranwinken oder mit einer Geste wieder fortschicken. Ganz nebenbei kann sich Emili, die exakt die Abmessungen eines Kleinladungsträgers (KLT) hat, dank integrierter Hub- und Absenkfunktion selbst in einen KLT verwandeln und somit zwischen Transportfahrzeug und Transportbehältnis changieren. Emili teilt Informationen über ein integriertes Front-Display mit, hat damit fast so etwas wie ein Gesicht. Während also technische Herausforderungen wie etwa fehlerfreies Navigieren längst gelöst sind, geht es nun bereits in Richtung einer Kommunikation, die sich immer natürlicher anfühlt. Michael ten Hompel, der umtriebige Leiter von Fraunhofer IML, meint denn auch: „Es wird uns bald ganz normal vorkommen, mit einer Kiste zu reden. Emili ist der industrielle Prototyp für eine zukünftige Social Networked Industry, in der Menschen mit intelligenten Maschinen zusammenarbeiten werden.“

Für die autonomen Devices in der Intralogistik gilt übrigens Ähnliches wie generell für IoT: Einheitliche Standards werden das Um und Auf sein. Während die grundlegenden technischen Voraussetzungen bereits existieren, wird es darauf ankommen, die Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller in ein gemeinsames System zu integrieren. Seitens der Hersteller, erzählt Marco Prüglmeier, gebe es dazu derzeit noch sehr unterschiedliche Philosophien, „doch ich bin sicher: Der gemeinsame Einsatz verschiedener Fahrzeuge wird letztlich das K.o.-Kriterium sein.“

Augmented Reality: Hilfe oder Overload?

Datenbrillen verändern bereits heute immer mehr Arbeitsabläufe. Die Herausforderung lautet, das auch menschengerecht zu gestalten.

Wie viel Information braucht ein Mensch? Wie viel verträgt er überhaupt? Und vor allem: Welche Informationen benötigt er gar nicht? Bei keinem der aktuellen Logistik-Themen sind technische Fragen und solche der Zukunft der Arbeit derartig verschränkt wie bei Augmented Reality. Nicht, dass bei ersterem alles in trockenen Tüchern wäre: Auch hier stellt sich die Frage, wie die Datenbrille technologisch am besten an die übrigen Systeme angebunden werden kann.

Marco Prüglmeier bezeichnet Augmented Reality als einen der Schwerpunkte der aktuellen Logistik-Forschung bei BMW. „Da es hier um den tatsächlichen mehrstündigen Einsatz im Arbeitsalltag geht, ist die Belastung der Mitarbeiter der zentrale Faktor. Und genau hier liegt noch ein Hauptproblem: Derzeit sind rund 160 Modelle auf dem Markt – und es kommen laufend neue hinzu –, aber ich kenne kein einziges, das einen problemlosen Acht-Stunden-Einsatz möglich macht. Wir gehen allerdings davon aus, dass auf diesem Gebiet in der kommenden Zeit viel passieren wird“, meint der BMW-Forscher.

Augmented Reality wird von vielen Seiten das Potenzial zugetraut, weit über den Einsatz etwa beim Picking hinaus zu wirken. Wie wäre es etwa, die Daten, die von der AR-Brille aufgenommen werden, gleich für die Qualitätskontrolle der Teile einzusetzen? Menschen, die bisher als reine Logistiker arbeiteten, würden somit zu einer Art Quality Gate im Prozess. Bei Schulungen, bei Wartungen, Reparaturen vor Ort – Augmented Reality dürfte auch das Service-Design nachhaltig verändern, völlig neue Geschäftsmodelle inklusive. Und für manche ein völlig neuer Arbeitsalltag.

Green Logistics: Kontinuität statt Big Bang

Technische Weiterentwicklungen verbessern die CO2-Bilanz. Gesteigerte Intelligenz in den Systemen wird den entscheidenden Schub geben.

Es ist eine Politik der kleinen Schritte. Nirgendwo in der Logistik wird von so vielen Seiten an einem Problem gearbeitet wie an der Ökologie. Immer wieder im Fokus: die Antriebstechnologie. Noch heuer will Daimler mit dem „Urban eTruck“ einen 25-Tonner in Kleinserie auflegen, der mit einer Batterieladung bis zu 200 Kilometer schaffen soll. Eine Reichweite also, die für die Verwendung im Verteilerverkehr ausreicht. 2020, so der aktuelle Stand, soll es mit der Großserie losgehen.

Auf verflüssigtes Erdgas setzen die Kollegen bei Iveco: Der im vergangenen Sommer vorgestellte Stralis NP soll nicht zuletzt dazu beitragen, das eher mäßige Image der Antriebsform nachhaltig aufzupolieren. Erdgasantrieb gerät auch wieder in den Fokus der Schiffsbauer. Angesichts der katastrophalen Umweltbilanz von Schweröl geraten die Reedereien unter Druck, sich nach Alternativen umzusehen. Spätestens nach der Festlegung der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO, dass Frachter in bestimmten Gebieten ab 2020 nur noch 0,1 Prozent Schwefel im Treibstoff haben dürfen, wird das Thema dringlich.

Viele Ideen verschwinden auch wieder – aber immerhin tauchen sie auf. Die Pläne zum Beispiel, Frachtschiffe mit gewaltigen Segeln auszurüsten, erhielt durch den jüngsten Rückzug von Volkswagen aus dem Ecoliner-Projekt einen empfindlichen Dämpfer. Auch originelle Ideen wie die Nutzung der Wiener U-Bahn für nächtliche Cargo-Transporte werden zwar bereits seit vielen Jahren ventiliert, kommen einer Umsetzung aber nicht näher. Den Big Bang in Sachen Green Logistics erwartet niemand, schrittweise Verbesserungen durchaus.

Enormen Schub sollte das Thema allerdings aus anderer Richtung erhalten: Geht die Vernetzung der logistischen Systeme im derzeitigen Tempo weiter, dürfte der Begriff „Optimierung“ neu aufgeladen werden. So liegt etwa der durchschnittliche Auslastungsgrad eines Lkw in der EU zwischen 62 und 63 Prozent – angesichts permanenter Optimierung der Routen ein erstaunliches Verbesserungspotenzial. Wenn über Abstimmung, Bündelung und frühzeitige Information echte synchromodale Transportnetzwerke entstehen, so ist dies eine massive Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit. In Verbindung mit technologischen Fortschritten ist für die nahe Zukunft also einiges zu erwarten.

Drohnen: Pizza? Oder doch Inventur?

Trotz ihrer hohen medialen Präsenz dürften Drohnen wohl eher ein Nischenthema der Logistik bleiben. In den Nischen könnten sie allerdings Relevantes leisten.

Manchmal kann Logistik sogar witzig sein. Das 45 Sekunden lange Youtube-Video zeigt eine Drohne, die in einen Ball aus Draht eingebettet ist. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit rollt das Ding durch ein Versuchs-Lager, hebt zwischenzeitlich vom Boden ab, um dann wieder sanft zu landen und weiterzurollen. Die rollende Transportdrohne „Bin:Go“ ist eine Entwicklung des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik. Die Vorteile: Den Weg zwischen Höhen-Einsätzen auf dem Boden zurückzulegen, senkt den Energieverbrauch, und die Metallstreben schützen Rotoren und Mitarbeiter.

Den Prototypen einer inventur-Drohne stellte kürzlich Linde auf der LogiMAT vor: An einen automatisierten Hochhubwagen gekoppelt, der sie mit Energie versorgt, erreicht die Drohne jene Bereiche, die oberhalb der „Augenhöhe“ des Partners liegen. Gemeinsam sollen die beiden völlig autonom Inventuren durchführen.

In die Medien schaffen es meist eher Drohnen aus dem KEP-Bereich. Kaum ein KEP- oder Postdienstleister, der nicht in den vergangenen Monaten damit an die Öffentlichkeit ging. Im vergangenen November kündigte sogar eine Fastfood-Kette Versuche in Sachen Pizzalieferung an.

Die meisten Logistik-Experten bleiben jedoch zurückhaltend: Dem Drohnen-Transport im Freien stehen – neben vielen ungelösten technischen Fragen – in erster Linie rechtliche Restriktionen im Weg. Flugverbotszonen in Reaktion auf den vermehrten Einsatz im Privatbereich dürften sich eher ausbreiten. Die Vorstellung also, dass irgendwann ganze Drohnen-Schwärme Schuhe und Fast-Food in die Ballungsräume transportieren, bleibt wohl Fiktion. Wenn überhaupt, werden sie eher als Chance für den Transport in entlegene Gegenden gesehen.

Spannender scheint der Bereich der Intralogistik. Setzt man Drohnen nicht als Material-Transporter, sondern – in Verbindung mit bildverarbeitender Technologie – als Aufnahmemedium für Informationen ein, könnten tatsächlich interessante Einsatzgebiete entstehen. Im Einzelfall wird sich aber wohl die Frage stellen, ob tatsächlich die Drohne das ideale Medium ist. Oder, wie Oliver Schauer es ausdrückt: „Wenn die Ladungsträger eines Tages Intelligenz besitzen und im Zusammenhang mit Inventur alle Informationen senden können, wozu dann eine Drohne?“

Dieser Artikel wurde bereits im April 2017 veröffentlicht. Nun haben wir ihn für alle Leser freigegeben.