Rechtstipp : Corona bedeutet juristisches Neuland für Unternehmen

Die Auswirkungen der Corona­-Pandemie auf das Wirtschaftsleben sind beispiellos – gerade die Industrie mit ihren internationalen Lieferketten steht vor dramatischen Herausforderungen. Angesichts des steigenden wirtschaftlichen Drucks kommt es nun zunehmend zu rechtlichen Streitigkeiten. Die Palette der Problemstellungen ist breit gefächert: von Lieferanten, deren Betriebe von Behörden stillgelegt wurden, bis zu Bestellern, die die Ware nicht mehr absetzen können.

Am Beginn der juristischen Diskussion steht meist „Force Majeure“ (höhere Gewalt). In Bezug auf Österreich hat der Oberste Gerichtshof dafür folgende Kriterien definiert:

(i) Ein von außen kommendes Ereignis – das können sowohl das Virus selbst als auch z. B. behördliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sein.

(ii) Unabwendbarkeit: Keine Abwendbarkeit mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln und durch die äußerste zumutbare Sorgfalt.

(iii) Außergewöhnlichkeit: Nicht jedes elementare Ereignis genügt dafür, meist braucht es „Jahrhundertereignisse“.

Insbesondere wenn nach Bekannt­ werden der Pandemie nicht auf anderes Sourcing ausgewichen werden konnte, werden die meisten Gerichte höhere Gewalt bejahen.

Dauerhaft oder nicht?

Kann der Lieferant aufgrund eines dauerhaften Hindernisses nicht leisten, liegt damit ein Fall „nachträglicher Unmöglichkeit“ vor. Dauerhaft ist ein Hindernis dann, wenn nicht annähernd abgesehen werden kann, ob bzw. wann es wieder wegfällt.

Unmöglich wird die Leistung in Corona­-Zeiten oft aufgrund von Hoheitsakten wie Ein­- und Ausfuhr­ verboten, geschlossenen Grenzen, der Beschlagnahme von Waren oder behördlichen Schließungen. Schwieriger sind die Fälle wirtschaftlicher Unmöglichkeit, wenn die Erbringung der Leistung unerschwinglich wird – es muss aber zu einer erheblichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Existenz kommen.

Bei einer nachträglichen Unmöglichkeit kommt es zu einer Aufhebung sämtlicher Verbindlichkeiten – der Schuldner wird von seiner Leistungspflicht befreit, der Gläubiger kann weder Erfüllung noch Schadenersatz fordern. Für die COVID-­Pandemie hat der österreichische Gesetzgeber sogar Konventionalstrafen ausgeschlossen.

Umgekehrt wird der Gläubiger von seiner Gegenleistungspflicht befreit und kann allfällige Vorausleistungen zurückverlangen.

Gibt es eine ernstzunehmende Chance, dass die Leistung zumindest zu einem späteren Zeitpunkt wieder möglich sein wird, führt höhere Gewalt hingegen zu Verzug. Dies wird vor allem jene Bereiche betreffen, in denen bereits wieder konkrete Daten für das „Hochfahren“ bekannt sind.

Gläubiger haben in diesem Fall ein Wahlrecht zwischen Erfüllung und Rücktritt vom Vertrag (unter entsprechender Nachfristsetzung). Schadenersatz kommt mangels Verschuldens nicht in Frage. Für Lieferanten bedeutet dieses Wahlrecht ein großes wirtschaftliches Risiko.

Wegfall der Geschäftsgrundlage

Wenn der Schuldner die Leistung zwar erbringen kann, diese für den Gläubiger aber aufgrund von COVID­19 nutzlos geworden ist, kann es zum Wegfall der Geschäftsgrundlage kommen. Ein typisches Beispiel sind ausbleibende Absatzmöglichkeiten aufgrund der Schließung von Geschäften.

Diese geschäftstypische Voraussetzung muss aber so selbstverständlich sein, dass sie keiner gesonderten Vereinbarung bedarf und der Vertrag ohne sie sinnlos wird.

In der Folge kommt es zur gänzlichen Beseitigung oder zu einer Anpassung des Vertrages, wenn die Leistung nach Beendigung der COVID­19­-Maßnahmen noch einen Zweck erfüllen kann.

Rechtsanwalt Prof. DDr. Alexander Petsche ist Partner bei Baker McKenzie und leitet die Praxis für Dispute Resolution.

Die Debatte um eine zweite Infektionswelle macht klar: Unternehmen werden dauerhaft viel Flexibilität beim Mitarbeitereinsatz benötigen. Ende September läuft die Corona-­Kurzarbeit aus – deshalb sollten Betriebe bereits jetzt nachdenken, welche flexiblen Arbeitszeitmodelle sie künftig verstärkt nutzen.

In Frage kommt die intensivere Nutzung der Gleitzeit, ein dauerhafter Wechsel von Vollzeit­ auf Teilzeitbeschäftigung oder auch ein blockweiser Mitarbeitereinsatz mit abwechselnden Arbeits-­ und Freizeitphasen. Ergänzend sollte der Gesetzgeber neue Modelle einführen, z. B. eine Art „Arbeit auf Abruf“ mit Basisgehalt.

Aber auch beim Mitarbeitereinsatz braucht es wohl mehr Flexibilität: Arbeitsort und Aufgabenbereiche können einseitig geändert werden, sofern der Dienstvertrag einen Änderungsvorbehalt enthält. Falls es zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kommt, muss aber der Betriebsrat zustimmen. Unzumutbare Änderungen können Mitarbeiter ablehnen. Auch Gehaltsreduktionen benötigen eine Zustimmung – das Unternehmen könnte sie aber per Änderungskündigung durchsetzen.

Bevor Betriebe geschlossen werden können, muss mit dem Betriebsrat beraten werden. Der kann einen Sozialplan einfordern, der typischerweise freiwillige Abfertigungen und Schulungsmaßnahmen enthält. Da sich die Leistungen aber an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Betriebs orientieren, werden sie derzeit eher bescheiden ausfallen.

Rechtsanwalt Dr. Philipp Maier, LL.M., leitet die Arbeitsrechtspraxis bei Baker McKenzie in Wien.